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Auswanderer

Fehlt nur noch die Hochzeit

Im Frühjahr sind der Bieler Jean-François Schafroth und sein Partner Walter Lörtscher nach Portugal ausgewandert. Für die beiden geht damit ein Traum in Erfüllung. Nun wollen sie endlich heiraten.

Jean-François Schafroth (links) und Walter Lörtscher sind seit 35 Jahren ein Paar. Bild:ZVG/3+
Sarah Grandjean
 
Jean-François Schafroth und Walter Lörtscher sitzen in einem Wohnzimmer in der portugiesischen Stadt São Martinho do Porto, in Fussnähe zum Atlantik und zu ihrem zukünftigen Haus, drei Flugstunden von ihrer Heimat entfernt. Wobei – was heisst eigentlich Heimat? «Das hat für mich mehr mit Menschen als mit einem Ort zu tun», sagt Lörtscher am Telefon. Seine Familie sei Teil seiner Heimat, aber mit dem Kennenlernen neuer Menschen in Portugal werde bestimmt auch dieses Land Teil davon werden. Schafroth ergänzt mit leicht französischem Akzent: «Meine Heimat ist die ganze Welt.» Er habe keine Sehnsucht nach einem bestimmten Ort wie zum Beispiel den Schweizer Bergen, sondern vielmehr nach lieben Menschen. 
 
Jean-François Schafroth aus Biel und Walter Lörtscher aus Grosshöchstetten sind vor rund drei Monaten nach Portugal ausgewandert. Derzeit sind der 
58-Jährige und der 57-Jährige in der Sendung «Adieu Heimat – Schweizer wandern aus» von 3+ zu sehen. Seit 35 Jahren sind die beiden ein Paar, seit zehn Jahren leben sie in einer eingetragenen Partnerschaft.
 
Liebe auf den ersten Blick
 
Kennengelernt haben sie sich mit Anfang 20 in einem Schwulenclub in der Berner Altstadt. Damals habe es nicht viele Möglichkeiten gegeben, jemanden kennenzulernen, sagt Lörtscher. Man habe zum Beispiel ein Inserat in eine Zeitschrift setzen können – oder eben in den Ausgang gehen. Sie hätten sich «blitzartig» verliebt, erzählt Schafroth. Er lebte damals in Bellelay im Berner Jura, wo er eine Schule für psychiatrische Pflege besuchte. Gleich nachdem er die Abschlussprüfungen bestanden hatte, zog er zu seinem Freund nach Bern. Zusammen eröffneten sie im Berner Wankdorf ein Musikgeschäft, das sie zehn Jahre lang betrieben. Dann zogen sie in den Berner Jura, erst nach Tramelan, später nach Les Prés-d’Orvin.
 
In der Schweiz sei es ihnen zwar gut gegangen. Dennoch begannen sie, ihr Leben hier infrage zu stellen. Auslöser dafür war Schafroths Krankheit: Er leidet an der unheilbaren Lungenkrankheit Cystische Fibrose. Die beiden wollten etwas Neues zusammen erleben, und die Zeit drängte: «Wir konnten nicht warten bis zur Pensionierung», so Lörtscher. Erst dachten die beiden darüber nach, ihre Arbeitspensa zu reduzieren, um mehr Zeit für Reisen zu haben. «Aber das wäre ein Trostpreis gewesen», sagt er.
 
Getrennt sind sie fast nie
 
Und wieso Portugal? Das Paar hat auf seinen Reisen schon viele Orte kennengelernt. Die Männer sind mit einem Mietauto quer durch Kanada gefahren, haben Island und Lappland erkundet und sind mit Flugzeug, Zug und Schiff von Moskau an den Baikalsee gereist. Es ist ihnen auch nach 35 Jahren Beziehung wichtig, gemeinsam Dinge zu erleben. «Wir sind selten getrennt», so Lörtscher. 
 
Als sie entschieden auszuwandern, war klar, dass sie ans Meer wollten, was auch für Schafroths Gesundheit förderlich ist. Norwegen und Schweden wären infrage gekommen, wegen der langen Winter haben sie sich jedoch dagegen entschieden. Portugal schliesslich hat es ihnen landschaftlich angetan, die Menschen dort seien sehr offen. Auch sind die Lebenshaltungskosten deutlich tiefer als in der Schweiz. In São Martinho do Porto haben sie den perfekten Ort für sich gefunden. Dass Portugal Anfang Jahr bezüglich Corona als Hochrisikogebiet galt, konnte sie nicht aufhalten: «Wir mussten uns entscheiden: Ziehen wir die Notbremse oder gehen wir vorwärts», sagt Lörtscher. Die Entscheidung fiel ihnen nicht schwer. Sie haben in der Küstenstadt ein Grundstück gekauft und dort ein Haus bauen lassen. Jedoch haben sich die Bauarbeiten verzögert, weshalb sie im Moment noch in einer Ferienwohnung leben.
 
Alle drei Monate in der Schweiz
 
Vieles sei planbar gewesen, so Lörtscher, aber nicht alles. Zum Beispiel sei es aufwendig gewesen, die Möbel nach Portugal zu transportieren, weil die Schweiz nicht EU-Mitglied ist. Solange man nicht in Portugal angemeldet und steuerpflichtig ist, muss man alles verzollen. Auch die Anmeldung bei der Krankenkasse habe sich kompliziert gestaltet: Schafroth behielt seine Schweizer Versicherung, musste sich aber trotzdem bei einer portugiesischen Krankenkasse anmelden. Wie er das genau anstellen sollte, konnte ihm bei der Schweizer Krankenkasse niemand so genau sagen. 
 
Alle drei Monate fliegt Schafroth für eine medizinische Untersuchung in die Schweiz. Dort bezieht er auch seine Medikamente, die er dann nach Portugal transportiert. Für Notfälle gebe es aber ein gutes Gesundheitszentrum in der Nähe. 
 
Neuer Alltag, neue Gewohnheiten
 
Die beiden sagen, die erste Zeit in Portugal habe sich eher wie Ferien angefühlt, nun seien sie aber dort zuhause. Sie sind im Alltag angekommen, haben neue Gewohnheiten angenommen. An bestimmten Tagen kaufen sie auf dem Gemüse- und Fischmarkt ein, jeden Tag gehen sie spazieren. Sie haben eine Freundin gefunden, mit der sie essen gehen und der sie im Garten helfen, und eine Schülerin gibt ihnen zwei Mal wöchentlich Portugiesischunterricht. Regelmässig gehen sie auf die Baustelle und begutachten die Fortschritte an ihrem Haus. Das Paar bereut seinen Umzug kein bisschen. Schafroth sagt: «Es gab noch keinen Tag, an dem ich dachte: Es wäre schön, wieder in der Schweiz zu sein.»
 
Aber eine Sache wussten die beiden nicht, als sie sich entschieden, nach Portugal zu ziehen: Die eingetragene Partnerschaft ist dort nicht gültig. In Portugal gelten sie beide ledig. Das hat rechtliche Konsequenzen. Wenn zum Beispiel einem von ihnen etwas passieren sollte, dürfte der andere ihn unter Umständen nicht im Spital besuchen und hätte kein Entscheidungsrecht. Auch sind Besitz und Erbe nicht geregelt. Aber dafür können sie – anders als in der Schweiz – in Portugal heiraten. Natürlich wollen sie dies nicht nur aus administrativen Gründen tun. «Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, hätten wir längst in der Schweiz geheiratet», sagt Lörtscher. Ob ihre Hochzeit wirklich klappt wie geplant, wird «Adieu Heimat» heute verraten.
 
Info: «Adieu Heimat» läuft heute um
20.15 Uhr auf 3+.
 
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So viele Schweizer lebten 2020 im Ausland 
 
Gemäss Bundesamt für Statistik lebten im letzten Jahr 4700 Schweizerinnen und Schweizer in Portugal. Im Vorjahr waren es noch 300 weniger. In den letzten 20 Jahren hat die Anzahl Auslandschweizer in Portugal stetig zugenommen. Bei einer Bevölkerung von 10,29 Millionen Menschen ist der Anteil Schweizerinnen in Portugal aber nach wie vor verschwindend klein (0,05 Prozent). Insgesamt lebten Ende 2020 776300 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. Das ist mehr als jede zehnte Person. Fast zwei Drittel von ihnen lebten in Europa. Das beliebteste europäische Auswandererland ist Frankreich mit seinen Überseegebieten, wo im letzten Jahr 200900 Schweizer Staatsbürger lebten. Zum Vergleich: So viele Menschen leben im Kanton Graubünden. Es folgen Deutschland mit 94 600 Auswandererinnen, Italien mit 50200, das Vereinigte Königreich mit 37700 und Spanien mit 24500. sg

 

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