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Biel

«Ferienkinder» passieren Biel in Kriegszeiten

Im Zweiten Weltkrieg hat auch in Biel der Ausnahmezustand geherrscht. Die Gründe dafür waren nicht immer bewaffnete Soldaten oder Sparmassnahmen. Am 24. Juli 1942 sorgte die Durchfahrt von 1100 französischen «Ferienkindern» für Aufregung.

Das Rote Kreuz und der Luftschutz verteilen Suppe, Tee, Brot und Würste an die vermeintlichen Ferienkinder aus dem besetzten Frankreich. copyright/ bt/a
  • Dossier

Hannah Frei

Im Juli 1942 war das «Bieler Tagblatt» gefüllt mit Kriegsberichten. In fast jeder Ausgabe dominierten Titel wie «Der Krieg im Osten» und der «Der Ägyptenkrieg» die Front. Der Zweite Weltkrieg sorgte dafür, dass das Lesen der Zeitung kaum Unterhaltung brachte. Doch zwischen Berichten über die Anzahl Kriegsopfer an verschiedenen Fronten versteckte sich in der Ausgabe vom 24. Juli 1942 eine scheinbar auflockernde Geschichte: «Durchfahrt und Verpflegung französischer Ferienkinder.»

Der Ausnahmezustand
Die Durchfahrt eines Extrazuges aus der damals gefährdeten Küstenzone des besetzten Frankreichs löste in Biel einen Ausnahmezustand aus. Obwohl der Zug aus Frankreich nur knapp eine halbe Stunde in Biel verweilte, bevor er weiter nach Basel fuhr, wurde der Zugang zum betroffenen Perron bereits «geraume Zeit» zuvor durch das Militär abgesperrt.

Insgesamt 1100 Kinder und 50 Begleiterinnen befanden sich in diesem Zug, der aus zwölf französischen Personenwagen und einem Rotkreuzwagen bestand. Da Biel der erste Halt in der Schweiz für die jungen Passagiere war, wurden sie am Bieler Bahnhof mit Nahrungsmitteln und Getränken versorgt. Dafür wurden der Luftschutz und zusätzlich 80 «Damen» des Roten Kreuzes aufgeboten. Doch die Türen der Wagen mussten während des Aufenthalts verschlossen bleiben. Denn die Kinder und Betreuer hatten sich noch keiner sanitarischen Untersuchung unterzogen. Beim Eintreffen des Zuges wurden daher lediglich alle Fenster geöffnet, um die Speisen und Getränke den Passagieren zu übergeben. So streckten die Kinder beide Hände aus dem Fenster, um Suppe, Tee, Brot und Würste entgegenzunehmen.

Wahrscheinlich war es für sie die erste richtige Mahlzeit seit Langem. Es wurde festgehalten, dass unter den Kindern «viele waren, denen ungenügende Ernährung und Ungewissheit des Schicksals und Besorgnis um ihre und ihrer Familien Zukunft arg zugesetzt hatte».

Flucht in die Ferien
Der Text über die Durchfahrt lässt erahnen, dass die Szenerie am Bieler Bahnhof den darüber berichtenden Journalisten und die Zuschauer berührte. «Es war ein ergreifendes Bild, das sich den Zuschauern bot, ein flüchtiger Schatten des Weltgeschehens, ein bereits spürbar ausgeglättetes Bild jenes Kriegselendes, das sich nimmersatt durch unsere Gegenwart hindurch schleicht», schreibt er.

Der im Titel verwendete Begriff «Ferienkinder» weckt falsche Hoffnung, die am Ende des Artikels zunichte gemacht wird. Denn obwohl der Grund für die Reise als Ferien bezeichnet wird, ist dem Artikel zu entlocken, dass sich die Kinder wahrscheinlich auf der Flucht befanden. Die Kinder würden in der Stadt Basel und im Baselland unter ihren Pflegeeltern verteilt werden. Weiter sei die Aufenthaltsdauer für die Kinder unterschiedlich: «Die einen werden länger, andere kürzere Zeit in unserem Lande sich aufhalten können.» Der Aufenthalt soll den Kindern eine Festigung ihrer Gesundheit bringen, sodass sie ihren Eltern berichten können, «dass sie gut aufgehoben sind». Es ist davon auszugehen, dass der Begriff «Flüchtlinge» zu dieser Zeit nicht öffentlich verwendet werden durfte. Denn bis Ende 1942 bestand für die Schweiz immer noch die Angst vor einem deutschen Einmarsch und die Aufnahme von Flüchtlingen war daher ein riskantes Unterfangen. Diese Angst rückte Ende 1942 aufgrund von Abkommen mit dem Deutschen Reich in den Hintergrund.

Biel im Zweiten Weltkrieg
In den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1945 war Biel aufgrund der Lage am Jurafuss ein Zufluchts- und Durchgangsort für viele zivile und militärische Flüchtlinge. 1942 war Guido Müller Stadtpräsident und setzte sich gemäss Berichten der Stadt Biel für die Flüchtlinge ein, indem er Kollekten zu ihren Gunsten organisierte. Doch trotz dem Aufschwung der landesweiten Solidarität gab es in Biel Widerstand gegen die fremden Flüchtlinge. Im zweiten Band der «Bieler Geschichte», der 2013 publiziert wurde, steht geschrieben, dass die humanitären Gesten «nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass es in Biel wie überall in der Schweiz zu rassistischen Vorfällen kam».

Was mit den «Ferienkindern» nach ihrer Reise geschah und ob sie jüdischer Herkunft entstammten konnte nicht ermittelt werden. Es bleibt zu hoffen, dass sie ihre Eltern wiedersehen konnten.

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