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Biel

Gärtnern und palavern

Der Gemeinschaftsgarten Biel gedeiht in jeder Hinsicht: Zehn Mitglieder des Trägervereins beackern den neuen soziokulturellen Schrebergarten, in dem es kein Gärtchendenken geben soll.

  • 1/5 Gärtnern und miteinander reden: Rolf Scherler vom Trägerverein vor dem Gemeinschaftsgarten, der noch mit einem Flechtzaun aus Weidenästen eingezäunt wird. Bilder: Tanja Lander
  • 2/5 Gärtnern und miteinander reden: Rolf Scherler vom Trägerverein vor dem Gemeinschaftsgarten, der noch mit einem Flechtzaun aus Weidenästen eingezäunt wird. Bilder: Tanja Lander
  • 3/5 Gärtnern und miteinander reden: Rolf Scherler vom Trägerverein vor dem Gemeinschaftsgarten, der noch mit einem Flechtzaun aus Weidenästen eingezäunt wird. Bilder: Tanja Lander
  • 4/5 Gärtnern und miteinander reden: Rolf Scherler vom Trägerverein vor dem Gemeinschaftsgarten, der noch mit einem Flechtzaun aus Weidenästen eingezäunt wird. Bilder: Tanja Lander
  • 5/5 Gärtnern und miteinander reden: Rolf Scherler vom Trägerverein vor dem Gemeinschaftsgarten, der noch mit einem Flechtzaun aus Weidenästen eingezäunt wird. Bilder: Tanja Lander
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Beat Kuhn


Er liegt im Madretschquartier, der Gemeinschaftsgarten Biel, genauer: am Passerellenweg, auf der Höhe der Hausnummer 18, direkt an der Bahnlinie nach Solothurn. Es ist Mittwoch, 16 Uhr. Immer dann ist bis 19 Uhr «Permanence», eine Art Wochentreff bei der «Werkzeugkiste plus». Den Zusatz «plus» hat sie, weil sie neben Werkzeug auch einen Tisch sowie zwei Sitzbänke und ein Sonnen-/ Regendach enthält. Ihr Schöpfer ist Rolf Scherler. Er ist Sekretär des Trägervereins (siehe Infobox) und betreut die «Permanence» seit dem Start des Gemeinschaftsgartens Anfang Juni fast im Alleingang. Nach bald drei Monaten würde er, der auch sonst noch mindestens zweimal pro Woche hier ist, nun gerne mal öfter ablöst als bis jetzt.

Gemeinschaftlich gärtnern
Um dem «Bieler Tagblatt» für eine erste Bilanz Red und Antwort zu stehen, sind an diesem Mittwoch ausserdem die Vereinsmitglieder Ruth Naef, Andreas Haller und der aus Togo stammende Koffi Owoussi da. Man habe der Stadt damals verschiedene Standorte vorgeschlagen, um die Aussichten auf Erfolg zu erhöhen, blickt Ruth Naef zurück (das BT berichtete). Und mit Genugtuung fügt sie hinzu: «Diese Wiese hier aber war immer unsere erste Wahl.» Für die Pacht sei «lediglich ein symbolischer Betrag» zu zahlen. Aus einer schönen Wiese mitten in der Stadt eine Anbaufläche für Gemüse und Früchte machen – das erinnert an die sogenannte Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg. Beim Gemeinschaftsgarten geht es jedoch nicht wie damals um eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. «Bei uns steht vielmehr die Gemeinschaft im Vordergrund», bringt es Naef auf den Punkt. Und damit meint sie sowohl das gemeinsame Gärtnern als auch das Gespräch miteinander. Hier werkelt nicht wie in einem Schrebergarten jeder für sich in seiner Parzelle, sondern alle gärtnern überall, je nachdem, was gerade ansteht.

Jeder sät und jeder erntet
In einen Nutzgarten umgewandelt werden darf ein Drittel der besagten Wiese, also eine Fläche von rund 600 Quadratmetern. Bei etwa 200 Quadratmetern ist das mittlerweile geschehen. Die anderen zwei Drittel bleiben Wiese. Laut Scherler dient diese primär für den Auslauf von Hunden. Die Grenze dazwischen wird durch einen sogenannten Flechtzaun aus Weidenästen markiert, der noch im Entstehen begriffen ist. Alle können mitbestimmen, was angebaut werden soll, jeder bringt Samen oder Setzlinge mit. Dabei besteht laut Andreas Haller der Anspruch, dass «nicht 08/15-Gemüse» angepflanzt wird, sondern dass es besondere Sorten sind. Kunstdünger ist im Übrigen tabu, hier wird nach «Bio»-Grundsätzen produziert.

Auch das Ernten ist dann die Sache aller, wie Haller sagt: «Wer sieht, dass etwas reif ist, kann es mitnehmen, nach Absprache mit den anderen anwesenden Gärtnernden.» Im Garten aktiv ist etwa die Hälfte der 20 Vereinsmitglieder. Die Mitgliedschaft kostet 20 Franken im Jahr. Es ist also durchaus nicht nur ein menschlicher, sondern auch ein ökonomischer Gewinn, wenn man hier mittut.

Sich besser kennenlernen
Ziel des Gemeinschaftsgartens ist es, «soziokulturell integrativ zu wirken, das Bewusstsein für Ökologie und Natur zu fördern sowie mehr Lebensqualität, Attraktivität und Zusammenhalt ins Quartier zu bringen». Was das auf gut Deutsch heisst, sagt der Afrikaner in der Runde – auf Französisch: «In städtischen Quartieren kennen sich die Hunde besser als die Menschen.» Da sollen Gemeinschaftsgärten wie dieser Gegensteuer geben. «Und wenn man sich kennt, hat man auch weniger Angst», sagt der Mann, den sie hier «le philosophe» nennen.

Ausserdem solle der Gemeinschaftsgarten Städtern, die auf dem Land aufgewachsen sind, ermöglichen, wieder selbst etwas anzupflanzen. Und Jugendliche, «die Gemüse nur aus der Migros kennen», sollen hier ihre Kenntnisse der Natur verbessern. Für solche Zusammenhänge ist Owoussis Enkelin Idaia allerdings noch zu klein. Auf die Frage, was ihr denn hier am besten gefalle, zeigt sie aufs Dessert.
 

26 Projekte in der Schweiz

Der Bieler Gemeinschaftsgarten ist gemäss dem Verein Interkulturelle Gärten Schweiz eines von mittlerweile 26 Projekten dieser Art im Land. Interkulturelle Gärten sind dessen Definition nach «gemeinschaftliche und meist naturnahe Gärten, die von Migrantinnen und Migranten verschiedener Herkunft, Ethnie und Religion sowie von Einheimischen bepflanzt werden». Sie entstehen auf ungenutzten Arealen im Besitz der Allgemeinheit.

Solche Gärten haben laut dem Verein verschiedene positive Folgen: Einmal bringen sie den Städtern die Natur und den nachhaltigen Umgang mit dieser näher. Ferner tragen sie zur Vernetzung der Quartierbewohner bei. Denn da arbeiten Junge und Alte, Frauen und Männer, Ausländer und Einheimische zusammen und lernen sich kennen und verstehen. Im Umgang miteinander wird interkulturelle Kommunikation geübt, und allfällige Konflikte können vor Ort besprochen und gemeinsam gelöst werden.

Ein Hauptziel der Interkulturellen Gärten ist die Integration von Migranten. Flüchtlinge sollen buchstäblich «Wurzeln schlagen», denn oft können sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, da sie entweder keine Arbeitsbewilligung erhalten oder von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Arbeit im Garten kann ihnen eine Tagesstruktur, ein Gefühl für den Sinn des Lebens sowie eine soziale Eingebundenheit bieten.

Entstanden ist die Idee der Gemeinschaftsgärten vor über 30 Jahren in New York. Jene Community Gardens erwiesen sich als erfolgreiche Strategie zur Verminderung von schwelenden Konflikten in sozial benachteiligten Stadtteilen.

 


Im Garten reden statt unterm Baum palavern

• Getragen wird das Projekt vom Verein Gemeinschaftsgarten Biel L’arbre à palabres, der im Frühling 2011 gegründet wurde.
• Der französische Teil des Namens, welcher Baum zum Palavern bedeutet, kommt aus der afrikanischen Tradition, Versammlungen im Schatten eines zentralen Baumes mit grosser Baumkrone abzuhalten.
• Im September 2012 ersuchte der Verein die Stadt in einer Petition mit 531 Unterschriften um Abtretung eines geeigneten Stücks Land.
• Im März dieses Jahres beschloss der Gemeinderat, ihm die besagte Wiese zu überlassen. Es handelt sich um Bauland der Stadt, auf dem vorderhand nicht gebaut werden soll.
• Kontakt: Rolf Scherler, Mittelstrasse 23 in Biel.
 

 

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