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Biel/Bern

Gefahr einer erneuten schweren Straftat ist zu gross

Peter Hans Kneubühl bleibt im Gefängnis: Das Berner Obergericht hat gestern seine Verwahrung bestätigt. Der 77-Jährige leide immer noch unter wahnhaften Ängsten, stellte das Gericht fest.

Peter Hans Kneubühl, hier beim erstinstanzlichen Prozess 2013, soll verwahrt werden. Bild: Keystone
  • Dossier

Lino Schaeren

Peter Hans Kneubühl streikt: Der Rentner, der 2010 in Biel auf Polizisten geschossen und einen von ihnen schwer am Kopf verletzt hat, ist diese Woche nicht vor Obergericht erschienen. Und das, obschon es um nichts weniger als um seine ordentliche Verwahrung ging. Kneubühl protestierte mit seiner Abwesenheit gegen die angeblich «korrupten Berner Behörden». Und so bekam der heute 77-Jährige gestern den Beschluss der Beschwerdekammer nicht vor Ort mit: Nach dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland glaubt auch das Obergericht an eine grosse Rückfallgefahr und wies die Beschwerde von Kneubühl gegen die Verwahrung ab. Der Bieler bleibt damit im Regionalgefängnis Thun, wo er auf eigenen Wunsch nach wie vor in einer U-Haft-Zelle sitzt, die er nur einmal täglich für eine Stunde Hofgang verlässt.

Beim Obergericht brieflich abgemeldet hatte sich Kneubühl erst am Mittwochmorgen kurz vor Verhandlungsbeginn. In seinem Schreiben hielt er fest, dass vor Gericht leider nur Personen anwesend seien, «die bereits gegen mich geurteilt haben». Kneubühl möchte sowieso nicht über seine Verwahrung verhandeln. Er verlangte viel mehr, dass sein ganzer Fall, der um 1992 mit einem Erbschaftsstreit mit seiner Schwester begann und 2010 mit der Schiesserei im Lindenquartier endete, noch einmal komplett neu aufgerollt wird. Und das, obschon ihm bereits 2014 rechtskräftig Wahnvorstellungen und deshalb Schuldunfähigkeit attestiert wurden – weshalb für ihn eine stationäre Therapie angeordnet wurde, auch kleine Verwahrung genannt.

Kneubühl verweigert jedoch bis heute jegliche therapeutische Behandlung. Er sagt, er sei nicht krank. Und er glaubt nach wie vor an eine grosse Verschwörung von Behörden, Justiz und Ämtern, die ihn verfolgten und vernichten wollten. So wird in seinem Weltbild offenbar jeder zum Feind, der nicht in seine Theorien und Auswüchse einstimmt.

 

Anwalt unerwünscht

Dazu gehört inzwischen auch sein eigener Pflichtverteidiger Sascha Schürch, der ihn seit rund drei Jahren vertritt. In seinem Brief vom Mittwoch ans Obergericht wird unter den «Befehlsempfängern», die er allesamt verklagt habe, jedenfalls auch Schürch geführt. Dieser bestätigt gegenüber dem BT, dass Kneubühl ihn tatsächlich mehrfach angezeigt habe – unter anderem wegen Nötigung, weil Kneubühl keine amtliche Verteidigung will. Im gestern Abend ausgestrahlten Beitrag von «Schweiz aktuell» gab er an, die Kontaktaufnahme von seinem Pflichtverteidiger zu verweigern, da er sich selber vertrete; er habe insgesamt bereits 5000 Seiten an Verteidigungsschriften verfasst.

Tatsächlich ist Kneubühls Abneigung gegen die amtliche Verteidigung nicht neu, er hatte bereits 2013 erfolglos versucht, seinen damaligen Pflichtverteidiger loszuwerden. Damals befragte er die als Zeugen geladenen Polizisten, die 2010 am Einsatz im Lindequartier beteiligt waren, vor dem Regionalgericht selbst; eine höchst ungewöhnliche Situation. Auch das Intermezzo mit Staranwalt Valentin Landmann dauerte 2017 nur wenige Monate.

Doch zurück zur Verhandlung vor Obergericht. Verteidiger Schürch hatte am Mittwoch geltend gemacht, dass die Rückfallgefahr bei Kneubühl längst nicht so hoch sei wie vom psychiatrischen Gutachter beschrieben; er halte ihn, so Schürch, für nicht übermässig gefährlich. Der Anwalt verlangte deshalb die Freilassung seines Klienten. Er führte zum einen ins Feld, dass die Rückfallgefahr alleine aufgrund des fortgeschrittenen Alters von Peter Hans Kneubühl abgenommen habe. Er zweifelte aber auch das psychiatrische Gutachten generell an: Dieses wurde lediglich aufgrund der Akten erstellt, der Gutachter konnte nicht mit dem 77-Jährigen sprechen.

Das sei allerdings einzig die Schuld von Kneubühl selber gewesen, hielt Jürg Bähler, der Vorsitzende der Beschwerdekammer, gestern der Verteidigung entgegen: Kneubühl hatte den Gutachter beim Versuch der Kontaktaufnahme schriftlich wissen lassen, dass er sich «zum Teufel scheren» solle; für «faschistische Ungeheuer» aus der Psychiatrie wie ihn gebe es in einer Demokratie keinen Platz. Laut Staatsanwalt Manus Widmer glaubt Kneubühl, dass die Psychiatrie die absolute Macht über die Justiz übernommen hat. Bähler schlussfolgerte: «Es ist tragisch, aber es war für den Gutachter nicht möglich, an Kneubühl heranzukommen.» Die umfangreichen Akten reichten laut Gericht jedoch aus für ein überzeugendes psychiatrisches Gutachten.

 

«Ich habe alles verloren»

Es sind solche schriftlichen Stellungnahmen des Rentners wie jene an die Adresse des Gutachters, die bei den Behörden, Ämtern und Gerichten in den letzten Jahren zuhauf eingegangen sind. Und das bis zuletzt. Bähler zitierte gestern aus einem Brief vom letzten Juni an die Beschwerdekammer des Obergerichts. Darin schrieb Kneubühl: «Ich habe jetzt 15 Jahre gegen diese Korruption gekämpft. Ich habe alles verloren, was man verlieren kann, bis auf mein Leben. Jeden Tag rechne ich mit einem neuen Mordversuch.» Das zeige exemplarisch, dass Kneubühl nach wie vor denke, dass die Behörden ihm nach dem Leben trachteten. Und das ohne jegliche objektive Basis, so Bähler.

Kneubühl will auch nach wie vor sein «gestohlenes» Elternhaus am Mon-Désirweg in Biel zurück, das ihm lange als sicherer Zufluchtsort gedient hatte und aufgrund des Erbschaftsstreits mit seiner Schwester zwangsversteigert wurde. Dass er das Elternhaus nach wie vor zurückfordert, machte er zuletzt in einem Brief vom Januar 2021 an die Beschwerdekammer klar. Bähler sagt, eine solche Forderung sei im Zusammenhang mit einem anderen Brief zu sehen, den Kneubühl bereits vor Jahren aus dem Gefängnis an die neuen Hausbesitzer geschrieben hat: «Ich kann Ihnen garantieren, dass ich nicht ruhen werde, bis der illegale Hausverkauf rückgängig gemacht worden ist und ich Ihnen den Hals umgedreht habe», hiess es darin. Gepaart mit der Tatsache, dass Kneubühl bis heute nicht verraten will, wo er auf seiner neuntägigen Flucht vor der Polizei sein Gewehr versteckt hat, spricht das nicht für seine Freilassung.

 

Wohl vor Bundesgericht

Zwar attestiert die Beschwerdekammer Kneubühl, dass er nicht generell zu Straftaten entschlossen sei. Der Gutachter, dem das Gericht in seiner Begründung folgt, sieht aber ein hohes Risiko, dass sich der heute 77-Jährige in Freiheit schnell wieder in einer Notsituation wähnt. So fühlte sich Kneubühl bereits Jahre vor der drohenden Zwangsräumung seines Hauses durch die vermehrt in Geschäften angebrachten Überwachungskameras bedroht. Er ging davon aus, dass diese installiert wurden, um ihn zu überwachen. Auch offenkundige Tierspuren im Garten deutete er als Zeichen für eine Beschattung.

Bereits zwei Jahre vor der geplanten Zwangsversteigerung war die unmittelbare Bedrohung durch die Behörden für Kneubühl offenkundig real: Er schrieb praktisch täglich, insgesamt 420 Mal, denselben Satz in seine Notizbücher: «Die Schweine sind den ganzen Tag nicht gekommen, ich durfte einen Tag länger leben.» Die neusten Briefe aus dem Gefängnis zeigten laut Bähler, dass Kneubühl die alten Ängste nicht abgelegt hat.

Für die Beschwerdekammer ist klar: Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich Kneubühl in Freiheit wieder in einer subjektiven Notsituation wähne und in seinem Wahn eine schlimme Straftat begehen könnte. Die Verwahrung sei zwar ein massiver Eingriff in die Grundrechte. Im Fall von Kneubühl sei sie aber verhältnismässig, sagt Bähler, weil das höchste Rechtsgut gefährdet sei: Leib und Leben.

Hans Peter Kneubühl hat die Möglichkeit, seine am Obergericht abgewiesene Beschwerde gegen die Verwahrung ans Bundesgericht weiterzuziehen. Laut Verteidiger Sascha Schürch ist wahrscheinlich, dass er dies auch tun wird, wenn man auf sein Verhalten in den bisherigen Verfahren abstütze; wohl allerdings ohne ihn. Schürch hat Kneubühl bis vor die höchste kantonale Instanz von Amtes wegen verteidigt und damit seinen Auftrag erfüllt. Aufgrund des eingangs erwähnten Verhältnisses ist es kaum wahrscheinlich, dass Kneubühl Schürch auch für eine allfällige Vertretung vor Bundesgericht mandatieren würde.

Sollte die Verwahrung dereinst in Rechtskraft erwachsen, scheint immerhin klar, dass Kneubühl nicht noch einmal eine Zwangsversetzung in eine andere Vollzugsanstalt droht. Markus D’Angelo als Vertreter der Bewährungs- und Vollzugsdienste sagte gegenüber dem BT, dass man nichts unternehmen werde, was Peter Hans Kneubühls Leben gefährde. Da Kneubühl bei einer Zwangsverlegung allenfalls erneut mit Hungerstreik reagieren würde, scheint eine solche ausgeschlossen. Man würde aber, so D’Angelo, mit ihm das Gespräch suchen, um eine Lösung für die bestmögliche Unterbringung zu finden.

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