Sie sind hier

Abo

Unteres Ried

Gemeinderat knickt nach massiver Kritik ein

Mit dem Unteren Ried wollte die Stadt einen Teil des Erbes der berühmten Malerfamilie Robert einem Altersheimneubau opfern. Jetzt ist die Regierung aber über den Widerstand aus der Bevölkerung gestolpert.

Das Robert-Haus wird nicht abgerissen. copyright:matthiaskäser/bielertagblatt

Lino Schaeren
Wer in Biel aus der Ebene ins Ried hochsteigt, wähnt sich längst nicht mehr auf Stadtgebiet. Es ist die grosse Qualität dieses Raums: Nur wenige Schritte vom städtischen Leben entfernt liegt ein malerisches Idyll. Dass dem auch heute noch so ist, ist vor allem der berühmten Bieler Malerfamilie Robert zu verdanken. Sie hatte sich hier auf dem Landgut eingerichtet und das Landschaftsbild vor städtischen Einwirkungen geschützt, ehe das bauliche Erbe an die Einwohnergemeinde verkauft und in ein Altersheim umfunktioniert wurde. Als solches fungiert das Ried bis heute, die Bauten entsprechen aber nicht den heutigen Betriebsanforderungen. Das Haupthaus des Robert-Ensembles, das Untere Ried, sollte deshalb einem Neubau weichen: Das im Januar publizierte Siegerprojekt eines Architekturwettbewerbs sah den Abriss des 270-jährigen Landguts vor.
Der Aufschrei in der Bieler Bevölkerung war gross, die Kritik an den Plänen massiv. Schutzorganisationen warnten: Hier wird ein Juwel zerstört. Und tatsächlich: Der Gemeinderat ist aufgrund des Widerstands eingeknickt. Er hat an seiner gestrigen Sitzung beschlossen, das Neubauprojekt zu sistieren. Stattdessen hat er die Direktion Bildung, Kultur und Sport von Glenda Gonzalez Bassi (PSR) beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie die städtischen Alterszentren ohne das Projekt im Ried weiterentwickelt werden könnten. Konkret heisst das: Der Gemeinderat hat dem Druck aus der Bevölkerung nachgegeben und verzichtet vorerst darauf, das Siegerprojekt aus dem Architekturwettbewerb weiterzuverfolgen.
Denkmal einer Familie
Der Entscheid der Stadtregierung ist ein Sieg für die Anwohner und Institutionen, die im Frühjahr trotz pandemischer Einschränkungen auf der Strasse gegen die Abrisspläne mobilisiert hatten. Eine Petition für den Erhalt des Unteren Ried wurde innert Kürze von 2600 Personen unterzeichnet. Unterschriften gesammelt hatte auch Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, der das historische Gebäude als «Denkmal einer Künstlerfamilie» und den geplanten Abriss als «Schandtat» bezeichnete. Entsprechend erfreut zeigte er sich gestern Abend über die neuste Wendung im Kampf um den Erhalt des Robert-Erbes. «Es spricht für den Gemeinderat, dass er massiver inhaltlicher Kritik Rechnung trägt», sagt Rodewald. Er attestiert der Stadtregierung eine bürgernahe, dialogorientierte Politik und die Grösse, auch einmal Fehler einzugestehen.
Letzteres allerdings tut der Gemeinderat nicht wirklich. Baudirektorin Lena Frank (Grüne) verweist darauf, dass die getätigten Abklärungen und das Wettbewerbsverfahren absolut korrekt abgelaufen seien. «Aus baulicher Sicht haben wir uns nichts vorzuwerfen.» In seiner offiziellen Mitteilung unterstreicht die Stadtregierung zudem, dass aus ihrer Sicht mit dem Wettbewerbsergebnis «eine respektvolle und fundierte Lösung für den Fortbestand des Alterszentrums Ried» gefunden worden sei. Das Projekt sei jetzt aber derart stark kritisiert worden, dass er sich zur Sistierung veranlasst sah.
Überhaupt einen Altersheim-Neubau im Ried-Idyll vorgesehen hatte der Gemeinderat, um eine gewisse Vielfalt im Angebot der städtischen Alters- und Pflegezentren zu erhalten. Das am Waldrand gelegene Ried sollte die im Stadtgebiet gelegenen Alterszentren Redernweg, Cristal und Schüsspark ergänzen. Für den Erhalt des Altersheims im Ried sprach zudem die stadteigene Alterssiedlung, die 1957 rund um das Robert-Haus gebaut wurde. Diese verfügt über keine eigene Grossküche und ist deshalb auf die Altersheiminfrastruktur angewiesen.
Gegen Ausdehnung der Stadt
Nun wäre es naheliegend gewesen, dass diese Alterssiedlung einem Neubau weichen muss. Da sie im kantonalen Bauinventar als schützenswert eingetragen ist, ist sie aber praktisch unantastbar. Das um mehr als 200 Jahre ältere Robert-Haus gilt hingegen aufgrund vorgenommener baulicher Veränderungen nur als erhaltenswert und kann deshalb nach Ansicht der Denkmalpflege abgerissen werden. Jürg Saager, Leiter der Bieler Hochbauabteilung, umschrieb die Ausgangslage im Januar so: «Älter heisst nicht in jedem Fall schützenswerter.» Bei dieser Auslegeordnung hatte die Stadt aber offenkundig die Emotionen nicht miteinkalkuliert, die ein Abriss des ehemaligen Landguts der Malerfamilie Robert hervorrufen würde.
Wie es mit diesem weitergehen sollte, wenn das Altersheim dereinst tatsächlich ausziehen sollte, ist unklar. Die Möglichkeiten sind beschränkt, weil die Bauten in einer Zone für öffentliche Nutzung liegen.
Das Altersheim ist heute nicht nur im Unteren Ried einquartiert, sondern auch im Oberen Ried. Die beiden historischen Gebäude bilden, zusammen mit dem ehemaligen Pächterhaus, einem Ateliergebäude und dem Falbringenhof, ein von der Familie Robert geprägtes Ensemble. Der Bieler Kunstmaler Léo-Paul Robert hatte 1890 das gesamte Gebiet Falbringen ersteigert: Er wollte die wegen der Ausdehnung der Stadt drohende Überbauung des Idylls verhindern. Dieser Schutz vor möglichen Überbauungen hält bis heute an – auch, weil das Gebiet dank einer Volksinitiative 1995 grösstenteils ausgezont wurde.

Nachrichten zu Biel »