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Wahlen 19

«Gleichstellung war mir immer wichtig»

Kurz vor dem zweiten Wahlgang hat Hans Stöckli (SP) all seine 18 000 Bleistifte verteilt, die er nach dem ersten Wahlgang noch hatte. Im Interview spricht er nicht nur über den Wahlkampf, sondern auch über sein Alter und die Gleichstellung.

Am 17. November geht es bei Hans Stöckli um die Wiederwahl in den Ständerat: «Ich hoffe, dass die nächste 
Lebensphase erst in vier Jahren beginnt.»

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Interview: Deborah Balmer

Hans Stöckli, wie schwer ist es Ihnen gefallen, nach dem 20. Oktober erneut aktiv zu werden und nochmals mit Vollgas Wahlkampf zu betreiben?

Hans Stöckli: Ich war auf den zweiten Wahlgang vorbereitet, weil ich immer damit gerechnet habe. Mein Team hat dann auch sehr schnell die nötigen Aktivitäten wieder aufgenommen. Wir sammelten Geld, Wahlkampfhelfer und Unterstützung. Ich hatte noch 18_000 Stöckli-Bleistifte, die jetzt praktisch alle weg sind. Gleichzeitig mussten wir ja jetzt einen rot-grünen Wahlkampf vorbereiten, zu dem Flyer, Plakate und Inserate gehören. Mein Team hat dann
zusätzlich zur Aktivierung der Wirtschafts-, Gesundheits- und Sportkreise auch noch kleine Ragusas organisiert, die nun mit den Flyern im ganzen Kanton verteilt werden. Erfreut war ich, dass zahlreiche Menschen mir für den zweiten Wahlgang ihre Unterstützung, auch eine finanzielle, zukommen liessen.

Ihre Familie hilft ja im Wahlkampf mit – hat sie nicht langsam genug?

Die wird sich sagen: Es ist das letzte Mal, dass wir Wahlkampf betreiben und mithelfen ist einfacher als nichts tun. Die Ausgangslage wurde im zweiten Wahlgang nicht einfacher, alles ist ja recht offen. Dass ich im ersten Wahlgang mit dem besten Resultat abgeschnitten habe freut mich zwar, heisst aber noch gar nichts. Die Unterstützung der Partei und insbesondere der Familie stärkt mich deshalb enorm: Alle helfen mit, auch meine Frau und meine Tochter sind jeden Tag bei der Verteilung des Wahlmaterials, bei der Planung und Koordination dabei, und die Söhne und ihre Partnerinnen sind ebenfalls engagiert.

Es ist bekannt, dass es eine Vereinbarung zwischen Ihnen und Regula Rytz gab, in der stand, wer nach dem ersten Wahlgang in der besseren Ausgangslage ist, kandiert für den zweiten Wahlgang. Sie wirkten nicht glücklich, als sie an der Medienkonferenz gemeinsam mit den Grünen das weitere Vorgehen bekannt gaben. War die Vereinbarung rückblickend zu wenig klar formuliert?

Nach dem Wahlerfolg sprach sich die Grüne Partei bereits am Sonntagabend dafür aus, dass auch ihre Kandidatin zum zweiten Wahlgang antreten wolle. Daher musste die Vereinbarung neu interpretiert werden. Nachdem ich die meisten Wählerstimmen geholt hatte, war ich für die Stichwahl gesetzt. Ich respektierte, dass auch Regula Rytz, die knapp vor Werner Salzmann den zweiten Platz erreicht hatte, zum zweiten Wahlgang antrat.

Gibt es denn nun genügend linke Frauen, die nicht nur Regula Rytz auf den Wahlzettel schreiben, sondern auch den Namen Hans Stöckli?

Diese Woche haben sich über 50 Frauen aus dem rotgrünen Lager auf dem Bundesplatz zusammen mit Regula Rytz und mir für ein gemeinsames Foto eingefunden. Das Foto wurde über die Sozialen Medien und in Inseraten weiterverbreitet mit dem Aufruf, «für echte Gleichstellung Hans Stöckli und Regula Rytz wählen». Ich habe in meiner gesamten Laufbahn immer Frauen gefördert, sei es in meiner Zeit als Gerichtspräsident oder als Stadtpräsident von Biel oder jetzt als Ständerat in Bern. Mein Abstimmungsverhalten oder mein Smartvote beweisen das klar. Gleichstellung bedeutet aber, wie es das Wort sagt, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind. Es ist also auch gerecht, wenn neben einer Frau auch ein Mann in den Ständerat gewählt wird. Umso mehr, weil ich ein Mann bin, der mit Tatbeweisen seine Haltung und sein Wirken für die Frauen belegt.

Zum Beispiel?

Ich habe etwa bei der Revision des Aktienrechts alle Anliegen zur Förderung der Frauenvertretung in den Verwaltungsräten unterstützt. Ich habe auch immer wenn möglich Frauen gewählt, auch in den Bundesrat. Ganz wichtig: In der AHV-Diskussion bin ich der Meinung, dass ein gleiches Rentenalter für Frau und Mann nur unterstützt werden kann, wenn gleichzeitig die unerklärlichen Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern beseitigt werden. Gleichstellung war für mich immer selbstverständlich und das hat einen tiefen, sehr persönlichen Grund.

Erzählen Sie.

Aus meiner Biografie heraus – meine Mutter war alleinerziehend, war es für mich immer klar, dass Frauen den Männern gleichgestellt sein müssen. Das war also immer meine Überzeugung und war nie Taktik. Als jungen Bieler Gemeinderat baten mich damals die SP-Frauen, mich als Präsident für das neue Eherecht einzusetzen.

Doch jung, grün und weiblich sein, sind derzeit erfolgversprechende Attribute, um gewählt zu werden. Wie fühlt man sich da als Mann in einem Alter, in dem andere schon pensioniert sind?

Ich fühle mich geistig sehr jung, bin gesund und «zwäg» und setze mich mit verschiedensten Themen auseinander. So habe ich mit der Klimajugend sehr viele interessante Gespräche geführt, auch während den Demonstrationen. Was man nicht vergessen darf: Fast die Hälfte der Ständerätinnen und Ständeräte wird ab der nächsten Legislatur neu sein. Ich bin ja derzeit auch Vizepräsident im Ständerat: Die Erfahrung und die Kontinuität ist etwas, was man nebst dem Neuen und dem Ergänzenden nicht vernachlässigen darf. In der ganzen Wahlkampagne hat nie jemand meine Politik im Ständerat kritisiert. Auch meine Fähigkeiten zum Brückenbauen sind weitherum anerkannt. Was man auch wissen muss: Auch wenn ich gewählt werde, wäre meine Altersklasse, die ab 65, im Ständerat untervertreten.

War es ein Fehler, dass die SP an den nationalen Wahlen mit einer Frauenliste antrat?

Mit den Geschlechterlisten hat die SP die Gleichstellung erreicht. Dieses Mal aber haben diese Listen zu einem Ungleichgewicht geführt. Das werden wir korrigieren müssen. Schon bei der Nominierung im Frühling hatte ich festgestellt, dass die Frauenliste eine grosse Dynamik ausstrahlte und als Ständeratskandidat war ich mehrmals mit den SP- Kandidatinnen auf Wahlkampftour. Die SP-Männer waren auch aktiv, aber kaum im Kollektiv.

Die grossen Sieger waren die Grünen. Was muss die SP tun, um sich von den Grünen abzugrenzen?

Die SP hat grüne Themen bearbeitet, bevor es die Grünen überhaupt gab. Wir waren mitverantwortlich, ja teilweise sogar federführend, bei der Umsetzung von Umweltanliegen. Doch einmal mehr hat sich an den Wahlen bewahrheitet: Wer grün im Namen trägt, wird als Original betrachtet, obwohl das eigentlich gar nicht stimmt. Ich persönlich lege nun beim zweiten Wahlgang Themen wie die Sicherung der Altersvorsorge, Zahlbarkeit der Krankenkassenprämien, Zugang zum Gesundheitssystem, Prävention in den Vordergrund. Diese Themen stehen im Sorgenbarometer der Menschen übrigens vor der Umweltproblematik.

Wie grün sind Sie selber? Als Bieler Stadtpräsident waren sie zumindest immer mit dem Velo unterwegs.

Seit ich angestellt bin, fahre ich immer mit dem Velo zur Arbeit. Das war schon so, als ich noch als Gerichtspräsident arbeitete, und auch später als Gemeinderat und als Bieler Stadtpräsident. Selbstverständlich fahre ich auch mit dem Velo an den Bahnhof. Übrigens nicht, weil das grün ist, sondern weil es gescheit ist. Zwei unserer drei Kinder können nicht einmal Auto fahren, meine Frau geht konsequent zu Fuss in die Stadt. In die Ferien reisen wir praktisch immer mit dem Zug, weil das am bequemsten ist. Und, darauf bin ich stolz, seit einigen Monaten habe ich ein eigenes Kraftwerk auf dem Dach, das den Strom für das Haus und das warme Wasser produziert. Damals unterstützte ich in Biel die Energielabels. Und bei der Stadtentwicklung war die Nachhaltigkeit ein entscheidendes Kriterium. Heute werde ich eigentlich nur hinsichtlich der geplanten Umfahrung kritisiert.

Wenn Sie die Autobahn schon von sich aus ansprechen: Sind Sie denn nun für oder gegen den Westast?

Das ist eine alte Geschichte. In meiner Zeit als Stadtpräsident haben wir gesehen, dass es sehr schwer ist, die Verbindung zwischen Brügg und dem See nach Neuenburg herzustellen. Deshalb haben wir etappiert und zuerst den Ostast bauen lassen. Beim Westast gingen wir zur Entlastung der Wohnquartiere davon aus, dass es Anschlüsse im Zentrum braucht. Das wird nun in Frage gestellt und deshalb ist die Studie am Laufen. Ich unterstütze, wie gesagt, die Lösungen, die zu einer Verbesserung der Situation führen.

Das Komitee «Westast – so nicht!» hat Sie sogar zur Nichtwahl empfohlen, weil Sie nicht klar Position beziehen würden.

Ich bin froh, dass der Vorstand diese Woche beschlossen hat, mich im zweiten Wahlgang zu unterstützen. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass das offizielle Projekt einem Stresstest unterzogen wird. Aber solange der ergebnisoffene Prozess dauert, ist es sicher nicht angebracht, sich schon festzulegen.

Hans Stöckli wird nochmals Ständerat: Was bedeutet das für die Region?

Ich werde sicher weiterhin die Interessen der Frankophonen vertreten, die fest mit mir rechnen. Im Hintergrund habe ich immer sehr viel für die Stadt getan, etwa dazu beigetragen, dass die Autobahnschilder endlich zweisprachig beschriftet werden. Dafür habe ich mich sogar persönlich bei Bundesrätin Simonetta Sommaruga eingesetzt. Nächstes Jahr wäre ich zudem Ständeratspräsident, da ist man Botschafter seiner Heimat. Das würde die Möglichkeit ergeben, unsere Region und den Kanton als innovativen und zweisprachigen Brückenkanton national in den Fokus zu rücken.

Und wenn es nicht klappt, dann fehlt Ihnen eine grosse Bühne?

Jede Wahl ist mit einem Risiko verbunden. Ich hoffe aber natürlich, dass die nächste Lebensphase erst in vier Jahren eintritt.

Stichwörter: Hans Stöckli, SP, Ständerat

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