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Kolumne

Granges Nord gibt es nicht mehr

Kürzlich fuhr ich nach Basel. Lautsprecheransage: Zug nach Grenchen Nord, Delémont und Basel. Dann auf Französisch: Train pour Grenschen Nord, Delémont Basel.

Tobias Kaestli

Tobias Kaestli

Erst jetzt fällt mir auf, was die SBB offenbar schon vor einiger Zeit beschlossen haben: Jede Station hat nur entweder einen deutschen oder einen französischen Namen. Delsberg entfällt, Granges Nord gibt es nicht mehr. Schade, finde ich, und es wird mir bewusst: In unserer Region gibt es für jede Ortschaft einen französischen und einen deutschen Namen. Biel-Biennne, Mett-Mâche, Bözingen-Boujean, Friedliswart-Frinvillier, Orvin-Ilfingen, Vauffelin-Füglistal, Tavannes-Dachsfelden usw. Zugegeben, in manchen Fällen sind die deutschen oder die französischen Namen kaum noch in Gebrauch. Aber jetzt fördern die SBB diese Eingleisigkeit noch. Aus Rationalisierungsgründen wird vereinfacht. Biel hat glücklicherweise rechtzeitig vorgesorgt, als es den deutschen und den französischen Namen zur offiziellen Bezeichnung Biel/Bienne verschmolz.

Vereinfachung ist oft erwünscht, weil sie entlastet. Aber gleichzeitig ist sie eine Verarmung. Vielfalt der Namen und Begriffe transportiert etwas vom Reichtum der Geschichte. In unserem Gebiet wurde im frühen Mittelalter die keltisch-römische Bevölkerung von den einwandernden Alemannen und Burgundern überlagert. Letztere übernahmen die Sprache der Römer, die sich zu Französisch weiterentwickelte, die Alemannen behielten ihre germanische Sprache bei. So entstanden im schweizerischen Mittelland und im Jura zwei Sprachräume mit einer Sprachgrenze dazwischen, die aber sehr durchlässig war. Zwischen dem deutschen und dem französischen Sprachraum gab es eine breite Mischzone. Die Namen der neu entstandenen Siedlungen konnten einen alemannischen oder einen burgundischen Ursprung haben. Manchmal ist der deutsche Name vom französischen abgeleitet oder umgekehrt. Manchmal gab es auch zwei Ursprünge. Die Übersetzung von der einen in die andere Sprache konnte auf die ursprüngliche Namensform zurückwirken.

Ein interessantes Beispiel ist der Schintemärit in Reconvilier, der allen Rinder- und Pferdezüchtern im Kanton Bern und darüber hinaus ein Begriff ist. Auf Französisch heisst er Foire de Chindon. Der französische Name des Weilers Chindon bei Reconvilier ist also auf Deutsch zu Schinten geworden. Der Name Chindon aber geht seinerseits auf eine deutsche Form zurück. In mittelalterlichen Dokumenten heisst der Ort Zer Chindun, Derkinden oder Zchindun. Daraus wurde das französisch ausgesprochene Chindon und daraus die deutsche Form Schinten!
Meine Grossmutter benutzte alle Ortsnamen in der Umgebung von Biel je nach Umständen auf Deutsch oder auf Französisch. Auch wir Kinder brauchten meistens noch beide Namensformen. Wir gingen zum Aprilglockenpflücken auf die Ilfingenmatten oder zum Schifahren auf die Prés-d’Orvin. Heute spricht man nur noch von den Prés-d’Orvin und die Aprilglocken darf man nicht mehr pflücken. Dass der Chasseral einst auch Gestler hiess, weiss kaum noch jemand.

Was bringt es, solche Dinge in Erinnerung zu rufen? Sollen wir uns mit derart unnützem Wissen belasten? Ich meine, so unnütz ist es gar nicht, denn es ist einfach schön und bereichernd, in alten Dokumenten beispielsweise zu erfahren, dass einst die Bauern von Bözingen einen Streit mit denje-nigen von Füglistal durch einen in altertümlichem Deutsch abgefassten Schiedsspruch beendeten und später diejenigen von Boujean mit denen von Vauffelin einen ähnlichen Streit mit einem französisch gefassten Brief beilegten. Deshalb mein Weihnachtswunsch: Möge uns das Bewusstsein der deutsch-französischen Zweisprachigkeit als kulturelles Erbe unserer Region erhalten bleiben!

Info: Tobias Kaestli ist Historiker und lebt in Biel und Magglingen.

Stichwörter: Biel, Kolumne, Tobias Kaestli, SBB, Züge

Kommentare

cadetg

Ja, es ist schön, wenn wir die alten Flur- und Ortsnamen bewahren. Diese Geschichte hilft uns, die Gegenwart zu verstehen. Tobias Kästli hält ein wichtiges Fähnlein hoch. Sind die Namen aber nicht immer so rasch verschwunden und haben sie sich nicht immer so schnell verändert? Mein Grossvater hat in meinem Heimatdorf Flurnamen historisch recherchiert, vor etwa 30 Jahren. Er blickte etwa 100 Jahre zurück und siehe da, kaum etwas hatte sich nicht verändert, trotzdem das Dorf während dieser Zeit nicht wuchs und nur Landwirtschaft betrieben wurde. Also müssen wir die Geschichte kennen wollen, aber nicht aufhalten. Auch und gerade die Geschichte der zwei Sprachen, die eben nicht nur die Geschichte der Zweisprachigkeit ist.


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