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Regionalgefängnis

Hinter Gittern sind Schwerverbrecher oft angepasster als kleine Ganoven

Es liegt mitten in der Stadt, das Bieler Regionalgefängnis. Manche Bürger wissen gar nicht, dass es an der Spitalstrasse eine solche Anstalt gibt. Dabei hat es dort immerhin Platz für 44 Gefangene. Die meisten von ihnen sind Untersuchungshäftlinge, die manchmal monatelang eingesperrt sind. Da fällt es besonders ins Gewicht, dass das Gefängnis die Anforderungen eines modernen Knasts nicht mehr erfüllt.

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Marjorie Spart/pl


Wer als Besucher Einlass ins Bieler Regionalgefängnis begehrt, muss sich gebührend ausweisen. Besuche sind ohnehin nur auf Voranmeldung möglich. Die Identitätskarte wird am Empfangsschalter deponiert. Auch das Mobiltelefon wird dort sichergestellt und sorgfältig verwahrt. Sobald die schwere Gefängnistür ins Schloss gefallen ist, wähnt man sich in einer anderen Welt.

Nach der Eingangskontrolle durchschreiten die Besucher zwei Sicherheitsschleusen. Dann sind sie im inneren Bereich angelangt. Dort wartet Elisa Escobar Contreras. Die stellvertretende Gefängnisleiterin begrüsst die Reporterin zum vereinbarten Rundgang durch die über 130 Jahre alte Vollzugsanstalt. Es fällt auf, wie still es hier ist. «Ja, wenn man bedenkt, dass unsere Zellen voll belegt sind, mutet die ruhige Atmosphäre auf den Gängen seltsam an», sagt Escobar Contreras.
Die Insassen verbringen grundsätzlich den ganzen Tag in ihrer Zelle. Während einer Stunde täglich haben sie Anspruch auf einen «Spaziergang» in einem gesicherten Hof. Dort dürfen sie sich die Beine vertreten, frische Luft atmen und sogar Pingpong spielen. Für die meisten Häftlinge ist dieser Hofgang eine willkommene Abwechslung zum tristen Zellenalltag.


Fernseher und Zigaretten erlaubt
Das in die Jahre gekommene Gefängnis steht an der Spitalstrasse zwischen dem Gebäude der Kantonspolizei und dem Amtshaus, wo das Regionalgericht seinen Sitz hat. Die Anlage ist für 44 Eingewiesene eingerichtet. Ein Gebäudetrakt beherbergt fünf Plätze, die für Frauen reserviert sind. «Unsere Anstalt nimmt Männer und Frauen auf, weil wir in erster Linie ein Untersuchungsgefängnis und keine Einrichtung zum Strafvollzug sind», erklärt die stellvertretende Leiterin. Die meisten Insassen halten sich während einer Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft hinter Gittern auf.

Ein Team von 23 Angestellten, davon acht Frauen, betreut die Gefangenen im Schichtbetrieb. Das Gefängnis beherbergt auch eine Vollzugsanstalt für kurze Haftstrafen von maximal 30 Tagen. «Unter diesen Häftlingen befinden sich auch Personen, die eine Busse nicht bezahlt haben», weiss Jean Gerber, der seit 34 Jahren in der Bieler Vollzugseinrichtung tätig ist.

Das Gefängnis umfasst sechs Abteilungen mit je sieben Haftplätzen. Jede Abteilung besteht aus fünf Einzel- und einer Zweierzelle. Hinter den schweren grauen Zellentüren geht es spartanisch zu: Auf 7,6 Quadratmetern befinden sich das Bett, ein Tisch, ein Stuhl, sanitäre Anlagen sowie ein Bücherregal. Durch ein vergittertes Oberlicht dringt Tageslicht durch eine Milchglasscheibe. Mit einigen Verrenkungen kann man ein kleines Stück Himmel erspähen. Über eine Gegensprechanlage können die Häftlinge mit der Gefängnisaufsicht Kontakt aufnehmen.

Auf dem Tisch steht ein Fernsehapparat. Daneben steht fast immer ein Aschenbecher, denn die Häftlinge dürfen innerhalb ihrer Zelle rauchen. Für Elisa Escobar Contreras gelten diese kleinen Annehmlichkeiten nicht als Privilegien: «Die Insassen befinden sich im Freiheitsentzug. Das bedeutet aber nicht, dass sie gar nichts mehr tun dürfen.» Gerber stellt fest, dass fast alle inhaftierten Personen Raucher sind: «Indem wir das Rauchen erlauben, verhindern wir unnötige Spannungen und aggressives Verhalten. Schliesslich ist der Alltag dieser Menschen ohnehin schon recht prekär.»

Tatsächlich warten Untersuchungshäftlinge auf eine Verfügung der Behörden. Sie wissen meistens nicht, wie in ihrem Fall entschieden wird und wie lange sie im Gefängnis bleiben müssen. «Dieses Warten ist recht belastend für die Betroffenen», bestätigt Gerber. Hier müsse das Vollzugspersonal mit offenen Karten spielen und den Häftlingen nicht noch zusätzliche Ängste vermitteln: «Wir sind verpflichtet, ehrlich zu informieren. Wir dürfen nie Versprechen machen, besonders dann, wenn wir die Aktenlage nicht kennen.»

Im Gefängnisbetrieb wird alles unternommen, um Spannungen und Konflikte zu vermeiden. So werden die Zellentüren der einzelnen Gefängnistrakte morgens und abends für 20 Minuten geöffnet. Dann dürfen die Insassen in den Gang hinaustreten und ihr Morgen- und Abendessen gemeinsam mit den anderen Häftlingen einnehmen. Während dieser Zeit wachen stets zwei Vollzugspersonen über das Geschehen.


Wenige Zwischenfälle
«Wir haben wenig Zwischenfälle oder Schlägereien», sagt Jean Gerber. Das liege wohl auch daran, dass widerspenstige Personen zur Mässigung ihres Fehlverhaltens in der Isolationszelle untergebracht werden können, glaubt der Vollzugsfachmann. Diese Zelle befindet sich im Untergeschoss und ist lediglich mit einem Bett ausgestattet. Rauchen und Fernsehen sind hier nicht erlaubt – wohl die empfindlichste Strafe für die Häftlinge. Es können bis zu 21 Tage Aufenthalt in der Isolationszelle verfügt werden.

Gerber wurde in den 34 Jahren seiner Tätigkeit noch nie von einem Gefangenen tätlich angegriffen. Ganz allgemein fühlt er sich bei der Arbeit nicht besonders gefährdet. «Klar gibt es ab und zu Beleidigungen und Drohungen, aber im Gegensatz zur Polizei wird das Betreuungspersonal von den Häftlingen nicht als ‹die Bösen› angesehen», sagt Gerber. Er ist überzeugt, dass der Schlüssel für ein ruhiges Gefängnisklima im respektvollen Umgang mit den Insassen liegt.

Dabei sei es wichtig, Vorurteile zu vermeiden. Deshalb interessiert sich der langjährige Aufseher bewusst nicht für die Delikte, die seinen Klienten zur Last gelegt werden: «Auf diese Weise behandeln wir alle Häftlinge gleich.» Im Übrigen macht Gerber eine erstaunliche Feststellung: Insassen, die sich für schwere Straftaten verantworten müssen, zeigen oft ein angepassteres Verhalten als kleine Delinquenten.

Auf dem Rundgang sieht die Reporterin einen Mann mit Eimer und Wischmopp; er reinigt fleissig den Fussboden. «Gefangene dürfen bei uns im Reinigungsdienst arbeiten, sofern ihr Verhalten eine solche Tätigkeit zulässt. Zuvor muss die Staatsanwaltschaft dafür eine Genehmigung erteilen», sagt Gerber. Die wenigen Jobs, die das Regionalgefängnis anbieten kann, sind sehr gefragt, denn sie lenken vom öden Zellenalltag ab. Aber besteht bei diesen Häftlingen womöglich eine höhere Fluchtgefahr? «Nein», sagt Gerber. «In meiner langen Karriere habe ich nur eine Flucht erlebt, und das war vor 20 Jahren». Damals hatte ein Insasse während des Hofgangs das Weite gesucht. Er war bei winterlicher Kälte durch die Schüss gewatet und hatte sich in einer Tiefgarage versteckt. Die Polizei konnte den unterkühlten Mann rasch aufgreifen. «Kein Wunder, denn er hatte seine Fussspuren im Schnee zurückgelassen», erinnert sich der Aufseher und lächelt.


Wenige Stunden oder monatelang
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich nach Gerbers Ansicht zwei Dinge im Strafvollzug wesentlich verändert: Zum einen sind die Sicherheitsvorkehrungen bedeutend schärfer geworden. Zum andern sieht sich das Personal zunehmend mit psychisch auffälligen Menschen konfrontiert: «Viele leiden an psychiatrischen Krankheiten, und das stellt uns vor besondere Herausforderungen.»

Der Tagesablauf im Gefängnis wird vorwiegend durch die Essensausgabe strukturiert. Die Mahlzeiten werden aus einem Wohnheim angeliefert. Zudem dürfen die Insassen ein Mal pro Woche eine Stunde lang Besuch empfangen. Dafür steht ein besonderes Besuchszimmer mit einer trennenden Glasscheibe zur Verfügung. «Körperkontakt ist nicht erlaubt. Und Kinder im Schulalter haben keinen Zutritt», sagt Gerber.

Dem Regionalgefängnis steht überdies ein Seelsorger zur Verfügung. Obwohl längst nicht alle Häftlinge der christlichen Kultur angehörten, würden die Dienste des Pfarrers allseits geschätzt. «Hier geht es vor allem um die Möglichkeit, sich auszusprechen. Der zwischenmenschliche Kontakt ist wichtiger, als die Religion», weiss der erfahrene Gefängnismitarbeiter.

Die Dauer einer Untersuchungshaft ist sehr unterschiedlich. Je nach Aktenlage kann der Freiheitsentzug nur wenige Stunden dauern. Aber manchmal muss ein Tatverdächtiger mehrere Monate hinter Gittern ausharren. Escobar Contreras, zählt als stellvertretende Gefängnisleiterin rund 2000 Ein- und Austritte pro Jahr. Eine derartige Frequenz erfordert von den Gefängnismitarbeitern ein hohes Mass an Organisation.

* * * * *

«Nicht mehr mit den geltenden Normen vereinbar»

Elisa Escobar Contreras ist seit einem Jahr stellvertretende Leiterin des Bieler Regionalgefängnisses. Sie fühlt sich immer noch in einer «Lernphase»: «Bei der Bewirtschaftung einer Justizvollzugsanstalt treten immer wieder besondere Situationen auf, für die wir eine Lösung finden müssen.» Escobar Contreras nennt den Fall eines Insassen, der auf ein Atemgerät angewiesen ist. Immerhin umfasst die Apparatur einen Sauerstofftank und einige Meter Schläuche. Hier gelte es, das Risiko für eine Selbst- oder Fremdgefährdung abzuschätzen.

Die Kaderfrau hat laufend mit solchen Fragen zu tun, aber mit steigender Erfahrung kann sie auf bewährte Vorgehensweisen zurückgreifen. Im Justizvollzug hat die Sicherheit Vorrang. Deshalb müssen alle Prozesse daraufhin überprüft und umgesetzt werden. Das führt zu komplexen Abläufen, und darin sieht Escobar Contreras ihre grösste Herausforderung.

Die 44-jährige Bielerin ist diplomierte Sozialarbeiterin. Sie schloss auch ein Managementstudium MBA ab. Beim Kanton Bern arbeitete sie auf der Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste – bis sie sich für die Kaderstelle im Bieler Regionalgefängnis bewarb. «Mich hat der Strafvollzug schon immer angesprochen. Gleichzeitig wollte ich die unbekannte Welt der Gefängnisse näher kennenlernen», sagt Escobar Contreras. 

Heute ist die stellvertretende Leiterin vor allem für die Mitarbeitenden sowie für gefängnisinterne Fragen verantwortlich. Wenn es die Situation erfordert, spricht sie auch Sanktionen gegen Häftlinge aus. Aber ihr grösstes Anliegen ist das Gefängnisgebäude selbst: Sie setzt sich mit aller Kraft für einen Neubau ein.

Bei einem Rundgang macht Escobar Contreras auf riesige Risse in den Mauern aufmerksam. Tatsächlich steht das im Jahre 1887 errichtete Gebäude auf Holzpfählen, an denen der Zahn der Zeit beharrlich genagt hat. Das Ergebnis ist gut sichtbar, denn das Gebäude ist nicht mehr stabil. Und das wiederum hat Auswirkungen auf die Sicherheit im Vollzug.

Escobar Contreras zeigt eine Tür, die das Treppenhaus mit einem Gemeinschaftsraum verbindet. Über der Schwelle hat sich ein breiter Spalt gebildet: «Hier könnte man problemlos einen Finger durchstecken», sagt sie. Und beklagt sich, dass ihre Mitarbeiter einen grossen Teil der Arbeitszeit mit der Reparatur derartiger Mängel verbringen müssten.

Ausserdem seien die Gefängnisanlagen nicht mehr mit den geltenden Normen vereinbar. Die Grundfläche der Zellen erfülle die Minimalanforderungen nicht. Auch sei die Lüftungsanlage ungenügend dimensioniert, sodass es zu Schimmelbildung komme. «Die Zeit ist wirklich gekommen, ein neues Gefängnisgebäude zu bauen, das die aktuellen Standards im Justizvollzug berücksichtigt», sagt Escobar Contreras.

Aber das Problem liege wie immer beim lieben Geld. Zudem fehle der Wille, ein solches Projekt an die Hand zu nehmen. «Es war immer schwierig, auf der politischen Bühne Ausgaben in Millionenhöhe für ein Gefängnis zu vertreten», sagt die stellvertretende Leiterin des Regionalgefängnisses. mas/pl

 

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