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Corona-Blog

Hör auf, mich zu nominieren

Ist gut, ich verstehe es ja: Dir ist langweilig und Du brauchst eine Beschäftigung. Versuche es doch mit Online-Jassen oder lade ein paar Freunde zur Video-und-Bier-Konferenz ein. Ich bin mir auch sicher, dass es auf Netflix eine Serie gibt, die Du noch nicht gesehen hast (Tipp: Mindhunter). Aber hör bitte auf, mich für irgendwelche Aktionen zu «nominieren».

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Michael Lehmann, Redaktor

Hatten wir das nicht schon mal? Doch, da gab es doch mal etwas, was sich Ice Bucket Challenge nannte. Sechs Jahre ist das schon wieder her. Damals wolltest Du, dass ich mir einen Eimer voll Wasser über den Kopf kippe, um auf die Krankheit ALS aufmerksam zu machen – wie denn sonst? Doch sind wir damals nicht alle stillschweigend übereingekommen: Schön ischs gsi; schön, ischs verbi? Offensichtlich nicht.

Ganz aufgehört hat es ja nie. Doch jetzt sind diese «Challenges» wieder besonders hoch im Kurs. Nun willst Du, dass ich mit Klopapier herumjongliere, dass ich meine Lieblingsfilme aufzähle oder dass ich ein Bild aus meiner Kindheit mit all meinen virtuellen Freunden teile. Ist doch lustig, sagst Du. Eine nette Abwechslung in dieser trostlosen Coronazeit.

Schau, auch ich habe mich schon über ein altes Foto eines Kollegen amüsiert, auf dem er mir mit seinem von Spaghettisauce verschmierten Schwabbelgesicht entgegen grinst. Aber auch Du musst zugeben, irgendwann hat man genug
Babyfotos gesehen. Nicht?

Alter Miesepeter, sagst Du. Es zwingt dich ja niemand mitzumachen? Jein. Denn auf die Nominationen folgt meist ein Zusatz. Entweder auch Du postest ein Bild oder Du spendest an eine gemeinnützige Organisation, las ich zuletzt. Ist ja für einen guten Zweck, sagst Du. Warum hast Du dann ein Babybild hochgeladen, statt zu spenden, frage ich.

Aber eigentlich hast Du ja recht. Was rege ich mich da über Nichtigkeiten auf? Es gibt ja ein ganz einfaches Rezept, mich nicht damit befassen zu müssen. Ich verlasse die sozialen Medien, diesen Ort der unechten Interaktion. Ich gehe raus und rede wieder von Angesicht zu Angesicht mit meinen Freunden, danach gehen wir alle zusammen ein Bier trinken und … Ach ja, stimmt, das sollte man momentan unterlassen. Schaue ich mir halt nochmals an, wie meine Kollegen als Kleinkinder ausgesehen haben. Ist ja schon irgendwie herzig.

mlehmann@bielertagblatt.ch

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