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Biel

Hoffen auf den Schneeballeffekt

Berufliche Weiterbildung war noch nie so einfach wie heute. Vieles kann sogar über Onlinekurse erlernt werden. Die Hürden, die Angebote zu nutzen, sind jedoch nach wie vor hoch, wie sich an einer Tagung in Biel zeigte.

Was tun, damit sich Menschen weiterbilden? Der Staat soll mehr bezahlen, fordert der Schweizerische Verband für Weiterbildung. Symbolbild:Keystone

von Marc Schiess

Die globalen Megatrends wie Digitalisierung, Globalisierung und Flexibilisierung scheinen durch den nüchternen Saal des Bieler Kongresshaus zu schweben, als Professor Pierre Dillenbourg vom Westschweizer Standort der Eidgenössischen Technischen Hochschule die Erfolgsgeschichte der sogenannten «Mooc», der Online-Kurse, erzählt. «Weltweit haben sich für die Online-Kurse der EHT Lausanne zwei Millionen Personen angemeldet», sagt er.

Im Publikum sitzen Vertreter von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt. Ein Teil von ihnen hat als Stakeholder der schweizerischen Berufsbildung das neue Leitbild «Berufsbildung 2030» erarbeitet und Ende 2017 verabschiedet. Ohne konkrete Umsetzungsprojekte jedoch, bleiben Leitbilder toter Buchstabe. Deswegen die Konferenz. Das Bildungssystem der Zukunft ist flexibler, agiler und effizienter. Lebenslanges Lernen ein Muss.

Wie das aussehen kann, beschreibt Pierre Dillenbourg: «Wir haben keine Kontrolle, es ist ein offenes System und jede und jeder kann sich für einen Mooc anmelden.» Zwei Drittel der Kursteilnehmenden hätten bereits eine Arbeit. Man – die ETH – betreibe also quasi Weiterbildung, ohne es zu wissen, flachst der Professor. Doch die Digitalisierung schüre zu viele Erwartungen. «Ein guter Onlinekurs ist nicht voller super Videos, sondern interaktiv, Teilnehmer machen dort selbst spannende Dinge.» Auch könne man Moocs gemeinsam lösen und damit soziale Dynamik schaffen.

Geld als Hinderungsgrund

Die Weiterbildungsdynamik hingegen ist abhängig vom Ausbildungsgrad. In Zahlen: «75 Prozent derjenigen mit Hochschulabschluss bilden sich weiter, bei jenen mit Grundschulabschluss sind es nur ein Drittel», sagt Bernhard Grämiger. Der Direktor des Verbands für Weiterbildung SVEB verweist zudem auf ein Sonderproblem: Schweizweit seien zirka 550000 Personen im Alter zwischen 25 und 64 Jahren ohne Berufsabschluss. Diesen nachzuholen verhinderten vor allem zwei Gründe: fehlende finanzielle Mittel und kaum erwachsenengerechte Angebote. Für die Betriebe bestünden dazu keine finanziellen Anreize, Tiefstqualifizierten eine Grundausbildung zu bezahlen. Doch nur ein kleiner Anteil der Weiterbildung ist vollständig selbst finanziert. Wer in einem grösseren Unternehmen arbeitet, wird tendenziell mehr unterstützt: «Bei kleinen Unternehmen werden nur 35 Prozent gefördert, immerhin 53 Prozent sind es in Betrieben ab 250 Beschäftigten», so Grämiger.

Um die Anzahl der Erwachsenen, die einen Berufsabschluss nachholen, signifikant zu erhöhen, brauche es deshalb einen Systemwechsel in der Finanzierung, sprich: der Staat soll mehr bezahlen, auch an private Anbieter von Weiterbildungen.

Überschätztes Potenzial?

Im folgenden Podiumsgespräch zeigt sich, wo die Baustellen im Weiterbildungssystem liegen. Zum Beispiel, wie erbrachte Leistungen angerechnet werden sollen und wie der Zugang auf allen Ebenen vereinfacht werden könnte. Rémy Hübschi, Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI, spricht von einem Bottom-Up-Prozess. Es sei deshalb wichtig, die Basis abzuholen. Jürg Zellweger vom Schweizerischen Arbeitgeberverband SAV hegt diesbezüglich Zweifel und verweist auf die halbe Million Menschen ohne Berufsbildung: «Unter diesen hat es viele, die keinen Abschluss schaffen werden.»

Selbst wenn es einigen gelinge, den Fachkräftemangel löse man damit nicht, so der Ressortleiter Bildung des SAV. Von ungewohnter Seite Unterstützung erhält der Arbeitgebervertreter von der Bildungsverantwortlichen der Unia: Es sei eine schwierige Zielgruppe, sagt Joëlle Racine: «Oft sind es Frauen mit Migrationshintergrund über 50 Jahre, die keine Ausbildung aber Familie haben, nicht gerne zur Schule gingen und jetzt auf keinen Fall mehr die Schulbank drücken wollen.» Ein Hoffnungsschimmer sei, wenn eine Person eine Weiterbildung mache und dies dann weitererzähle. «Ein kleiner Schneeballeffekt.» Hübschi gibt zu bedenken, dass die Wege definiert wären. Doch es fehle noch etwas an Engagement. «Mit der Berufsbildung 2030 haben wir ein gutes System, dies zu ändern.»

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