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Biel

«Ich befürchte eine Eskalation, die niemandem nützt»

Das Wagen-Kollektiv Escargot Noir weigert sich, seinen Standplatz im Bözingenfeld zu räumen. Bleiben die Fronten verhärtet, kommt es zur polizeilichen Räumung.

Das Kollektiv bleibt standhaft: Die Stadt werde durch gigantische Bauprojekte für gute Steuerzahler attraktiv gemacht, während Randgruppen verdrängt und ausgeschlossen wurden, schreibt Escargot Noir in einem Protestbrief. Bild: lsg

Lino Schaeren

Power Integrations Switzerland baut in Biel seinen neuen Hauptsitz. Der Stadtrat hat im Februar einem Landverkauf im Bözingenfeld für die Realisierung des Projekts zugestimmt, wenn auch mit knapper Mehrheit. Für das Bauwagen-Kollektiv Escargot Noir, das sich 2011 auf der Parzelle niedergelassen hat, bedeutet dies: Bis Ende Mai muss der Platz geräumt sein. Doch die bisher geduldeten Landbesetzer weigern sich, ihren Standort aufzugeben.

Das hat am Wochenende eine Demonstration in Biels Innenstadt deutlich gemacht, zu der das Kollektiv aufgerufen hatte und an der sich laut Behördenangaben zwischen 70 und 100 Personen beteiligt hatten. Zwar hat seit dem Stadtratsbeschluss im Februar ein Austausch zwischen der Stadt und Escargot Noir stattgefunden. Von Erfolg gekrönt war dieser aber nicht, weshalb es immer wahrscheinlicher wird, dass der Wagenbauplatz Anfang Juni polizeilich geräumt wird. «Ich befürchte eine Eskalation, die niemandem nützt», sagt Biels Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR).

Zur Räumung verpflichtet
Escargot Noir empörte sich bereits im Februar über die Pläne der Stadt, die Parzelle am Längfeldweg an die Power Integrations Switzerland zu verkaufen. Dem Kollektiv wurde daraufhin eine Fristverlängerung gewährt, anstatt der 31. März wurde neu der 31. Mai als Stichtag ausgegeben. An der Haltung der Bewohner von Escargot Noir hat das nichts geändert: In einem Schreiben, in dem die «schwarzen Schnecken» zur Demonstration vom vergangenen Wochenende aufriefen, beklagen sie die «global wütende grausige Gentrifizierung», die mittlerweile auch in Biel sichtbar sei. Die Stadt werde durch gigantische Bauprojekte für gute Steuerzahler und Firmen attraktiver gemacht, auf der Strecke blieben sozial- und ökonomisch Benachteiligte, Randgruppen und Subkulturen, die verdrängt und ausgeschlossen würden. «Die Stadt Biel hat uns weggeplant und ein weiteres Mal ein autonomes Projekt durch einen Vertrag mit einer grossen Firma zerstört.»

Was Escargot Noir offenbar besonders sauer aufstösst: Auf der Parzelle, die das Wagenbau-Kollektiv besetzt hält, will Power Integrations Switzerland gar nicht bauen. Zumindest vorerst nicht.

Tatsächlich dient der heutige Wagenbauplatz beim Projekt der Firma aus dem Bereich der Leistungselektronik als Installationsplatz und für die Altlastensanierung. Wirklich überbaut wird der Platz erst bei einer allfälligen Erweiterung des neuen Hauptsitzes. Die Stadt hat sich im Kaufvertrag mit Power Integrations Switzerland aber dazu verpflichtet, dass bei Landübergabe alle Mietverhältnisse und die Landbesetzung durch Escargot Noir beendet sein werden. «Das Bözingenfeld dient als Entwicklungsschwerpunkt für Unternehmen, nicht für alternatives Wohnen», sagt Silvia Steidle. Das Bauwagen-Kollektiv hingegen fordert, auf der Parzelle bleiben zu dürfen, bis auf dieser tatsächlich gebaut wird und lehnt eine «Verdrängung auf Vorrat» ab.

Nie Gebühren bezahlt
Laut Biels Finanzdirektorin habe die Stadt Hand geboten, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Und das mehrfach. «Wir verfolgen eine Politik des Dialogs», sagt Steidle. Ziel sei es, für das Kollektiv einen alternativen Standort zu finden. Das hatte die Bieler Gemeinderätin auch im Stadtrat noch einmal betont. «Dazu brauche ich aber Partner, die sich mit Namen hinstellen und bereit sind, eine Nutzungsvereinbarung zu unterzeichnen.» So wie dies bereits mit der Schrottbar und dem Pianokollektiv gehandhabt werde. Steidle spricht von einer Gleichbehandlung der Gruppierungen, die hergestellt werden müsse; Escargot Noir habe sich seit der Besetzung des Grundstücks etwa stets geweigert, die Grundgebühren für Wasser und Abfallentsorgung zu zahlen. Toleriert wurden die Besetzer in den letzten rund neun Jahren trotz fehlender Nutzungsvereinbarung gleichwohl.

Fragen zu den Plänen der Stadt, einen alternativen Standort zu finden, bleiben von den «schwarzen Schnecken» unbeantwortet. Auch im Schreiben zum Demonstrationsaufruf äussert sich das Kollektiv nicht dazu. Wohl aber zum Umzug der Schrottbar: Im vergangenen September vermeldete der Gemeinderat, dass auch dieses Wagenbau-Kollektiv bei der A6-Autobahnbrücke im Bözingenfeld aufgrund von Bautätigkeit keine Zukunft hat.

Als Ersatz hatte die Stadtregierung 180000 Franken für die Herrichtung eines 5000 Quadratmeter grossen Areals am Goldgrubenweg gesprochen; wobei die Schrottbar in den nächsten fünf Jahren 140000 Franken zurückzahlen muss. Auf demselben Grundstück ist auch das Pianokollektiv zuhause. Escargot Noir schreibt nun, dass mit dem Umzug der Schrottbar «die beiden legalisierten Wagenplätze der Stadt zusammenghettoisiert» würden; daraus lässt sich zumindest ableiten, dass die Gruppe kein Interesse haben dürfte, an denselben Standort umzuziehen.

«Wir bleiben alle!»
Silvia Steidle hofft indes weiterhin auf eine gütliche Lösung. «Ich wünsche mir, dass wir die Gespräche wieder aufnehmen können.» Doch die Uhr tickt. «Ich brauche das Gelände am 31. Mai. Hat das Kollektiv das Areal bis dahin nicht freiwillig verlassen, kommt es zur Räumung», sagt sie. Ein Szenario, das die Stadt laut der Finanzdirektorin gerne vermeiden möchte. «Indem es den Dialog ablehnt, verunmöglicht Escargot Noir aber eine andere Lösung», so Steidle.

Tatsächlich scheint die autonome Wagenbaugruppe gewillt, es im Streit mit der Stadt darauf ankommen zu lassen. «Wir bleiben alle! Wir werden uns nicht in Luft auflösen!» heisst es zum Ende des Protest-Schreibens von Escargot Noir.

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