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Biel

«Ich bin angewidert und empört»

Von Februar bis Mai erhielt Pierre-Yves Grivel, Schulleiter des Collège des Platanes, Todesdrohungen. Nun berichtet er über die Vorfälle, die ihn immer noch stark beschäftigen.

Pierre-Yves Grivel: Mit einer motivierten Vorwärtsstrategie will er die FDP wieder zum Erfolg führen. Die ersten Sonnenstrahlen zeigen sich hinter den Wolken. © Ruben Hollinger

(mas/rw) «Ich habe viel gelitten. Aber ich bin wie das Schilf. Ich beuge mich, aber ich zerbreche nicht.» Pierre-Yves Grivel spricht ruhig und wirkt sicher. Dies gilt sogar beim Durchblättern des umfassenden Dossiers mit den anonymen Briefen und den Todesdrohungen, die er seit Anfang Jahr erhalten hat. Zuerst waren es Postkarten ohne Text, aber mit aussagekräftigen und eindeutigen Bildern. Dann folgten die Briefe «voller Vorwürfe bezüglich meiner Arbeit und voller Drohungen».

Der Schulleiter des Collège des Platanes informierte zuerst seinen Vorgesetzten Peter Walther, Leiter der Abteilung Schule & Sport. Nach dem berühmten Tropfen befragt, der das Fass zum Überlaufen brachte, erklärt er: «Das war ein Brief an meine Gewerkschaft ‹Syndicat des Enseignantes et des Enseignants du Jura bernois› (SEJB). Darin wurde über meine Tätigkeit als Abgeordneter des Grossen Rates hergezogen. Ich reichte deshalb Beschwerde gegen Unbekannt wegen Drohungen, Beleidigungen und Verleumdungen ein», berichtet Pierre-Yves Grivel.

Dies war am 12. Februar. Der Schulleiter fühlte sich nicht nur in seiner Ehre gekränkt, sondern war auch tief erschüttert. «Ich war nicht ruhig. Am Abend liess ich meine Rollläden herunter. Wenn ich am Morgen meinen Briefkasten öffnete, zitterten meine Hände.» Seine Ängste hatten zur Folge, dass er sich zu Hause einschloss. «Ich ging nicht mehr aus, nahm nicht mehr an sportlichen oder öffentlichen Veranstaltungen teil. Ich dachte, draussen befinde sich jemand, der mich suche und mir etwas Übles antun wolle.»

Aus den eigenen Reihen
Stark verunsichert wandte sich Pierre-Yves Grivel an das Center Access, ein Anhör- und Beratungszentrum für Lehrkräfte. «Ich hatte zwei Sitzungen bei einer Psychologin. Es tat mir gut, mir alles bei einer schulexternen Person von der Seele reden zu können.» Der Schulleiter weist auch auf die Unterstützung hin, die er von seinen Lehrkräften erhalten hatte. «Sie standen voll hinter mir, als sie mich leiden sahen.» Bis anhin hatte Pierre-Yves Grivel nicht die Erlaubnis, über die Vorfälle zu sprechen. Die Geschichte deckt sich teilweise mit derjenigen eines Lehrers seines Collège. Nachdem dieser im Juni von der Polizei verhört worden war, gestand er, die anonymen Briefe verfasst zu haben. «Ich möchte die Sache zu einem Abschluss bringen und die Wahrheit über die Vorfälle berichten», erklärt der Schulleiter. Während langen Monaten hatte er starke Sorgen und lebte in völliger Unsicherheit.

Am Anfang wäre Pierre-Yves Grivel nicht auf die Idee gekommen, die erhaltenen Drohungen könnten etwas mit dem «seltsamen» Verhalten eines seiner nächsten Kollegen zu tun haben. Dieser drohte seit Anfang Jahr, «alles hochfliegen zu lassen». Dazu hatte er ein Dossier mit Beweisen angelegt, die auf zahlreiche Probleme im Schulbetrieb hinwiesen. Später musste Pierre-Yves Grivel feststellen, dass tatsächlich der besagte Lehrer für die anonymen Briefe verantwortlich gewesen war. Er hatte versucht, seine Kollegen gegen den Schulleiter aufzuhetzen. Bitter stellt Pierre-Yves Grivel fest: «Dieser Mann hatte mein ganzes Vertrauen und war mein Freund. Ich unterstützte auch seine Bewerbung an einer anderen Schule. Dann erfuhr ich auf indirektem Wege, was er seit Jahren über mich erzählte. Ich bin angewidert und empört. Dies umso mehr, da ausgerechnet er mir als Erster zu meinem exemplarischen Führungsverhalten bei gewissen Ereignissen gratulierte.»

Was erklärt die Krankheit?
Obwohl sich der besagte Lehrer derzeit in einer psychologischen Behandlung befindet, herrscht Unverständnis vor. Der Schulleiter macht ein grosses Fragezeichen: «Kann man wirklich alles mit der Krankheit erklären? Ich weiss, dass Liebe und Hass sowie Eifersucht nahe beieinander liegen.»

Wie Mitglieder des Lehrerteams berichten, versuchte die besagte Lehrkraft seit dem Vorfall im Dezember alles, um die Kollegen gegen den Schulleiter aufzuhetzen. Grivel bedauert, dass der Mann das Collège des Platanes nicht verlassen hat, um sich auf seine neue Tätigkeit an einer anderen Schule vorzubereiten. «Aus finanzieller Sicht kann ich die Haltung der Behörde verstehen. Aber es war für alle eine psychologische Folter.» Das Verhalten von Peter Walther in dieser Affäre stellt er jedoch stark in Frage. Dieser war als Erster im Besitze des berühmten Dossiers und unterliess es, Pierre-Yves Grivel umgehend mit den Unterstellungen zu konfrontieren. Dafür hielt er eine Sitzung mit allen Lehrkräften ab. Statt über die Vorfälle zu sprechen, erläuterte er die Funktionsweise des Collège. Als der Bildungsdirektor Cédric Némitz das Dossier erhielt, befragte er die beiden Beteiligten. Er stufte das Dossier als «überhaupt nicht aussagekräftig» ein. «Dies hätte vielleicht Peter Walther tun sollen, als er Ende 2012 mit dem Lehrer sprach.» Wie Cédric Némitz erklärt, erfolgte aber alles ordnungsgemäss.

Inzwischen blüht Pierre-Yves Grivel wieder auf und hat sich teilweise von der Geschichte erholt, die ihn sehr geprägt hat. Dem Prozess blickt er heiter entgegen. «Ich benötige Erklärungen und muss das Verhalten meines ehemaligen Kollegen verstehen.» Er freut sich, die Schule wieder auf Vordermann gebracht zu haben, als ob nichts geschehen wäre. «Somit habe ich mein Ziel erreicht.»

 

Vorgeschichte
Das Collège des Platanes wurde seit Ende 2012 von einem Lehrer auf Trab gehalten, der «ausflippte». Anschliessend erhielten verschiedene Lehrkräfte und der Schulleiter «verleumderische und beleidigende» anonyme Briefe (siehe BT vom 5. Juli). Am 26. Juni wurde der betreffende Lehrer von der Polizei verhört. Er stand unter Verdacht, die Briefe verfasst zu haben. Er wurde seiner Funktion enthoben und gestand die Fakten teilweise. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren.

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