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"Ich bin doch nicht wahnsinnig!"

Arbeitet der Bieler Stadtpräsident heimlich bereits am nächsten Autobahnprojekt mit Stadtanschluss? Erich Fehr nimmt Stellung zu den Vorwürfen des Komitees «Westast – so nicht» – und geht zum Gegenangriff über.

Auf der Bernstrasse reihen sich heute zu den Stosszeiten die Autos. copyright:petersamuejaggi/bielertagblatt
Interview: Lino Schaeren
Erich Fehr, planen Sie bereits an der nächsten Bieler Stadtautobahn?
Erich Fehr: Definitiv nicht. Es wird keine Stadtautobahn mehr geben. Ich weiss nicht, woher das kommt.
 
Das Komitee «Westast – so nicht» wirft Ihnen vor, nach dem Westast-Aus in der längerfristigen Planung einen Vorentscheid für den Juratunnel getroffen zu haben und erneut mit einem Stadtanschluss zu planen.
Wie man auf diese Idee kommt, ist mir schleierhaft.
 
Es gibt also weder einen Vorentscheid für den Juratunnel noch Pläne für einen neuen Stadtanschluss?
Nein. Im Dialogprozess sind alle Beteiligten einen Kompromiss eingegangen: Die Westast-Befürworter waren bereit, das Ausführungsprojekt mit Stadtanschlüssen zu begraben, und die Westast-Gegnerinnen haben sich im Gegenzug zur Schliessung der Bieler Lücke im Nationalstrassennetz bekannt. Geeinigt hat man sich auch, dass unterirdische Zufahrten ab der Hochleistungsstrasse in die Stadt möglich sein sollten, falls die Normen ändern. Also eine Art Parkingzufahrt ab der Nationalstrasse. Und ganz wichtig: Die verschiedenen Parteien haben sich zusammen mit den Behörden auf die Empfehlung einer Reihe von kurz- und mittelfristigen Massnahmen geeinigt.
 
Das Abschlusspapier des Dialogs wird aber ganz unterschiedlich gelesen: Die Autobahngegner verweisen auf die kurz- und mittelfristigen Massnahmen und fordern, dass erst nach deren Umsetzung und Überprüfung der Wirksamkeit an eine Nationalstrasse gedacht werden dürfe, wenn überhaupt. Die Wirtschaftsverbände hingegen pochen in erster Linie auf das Bekenntnis zur Schliessung der Netzlücke.
Es ist wichtig, dass wir zuerst die kurz- und mittelfristigen Massnahmen umsetzen und ein Monitoring dazu durchführen. Das dauert aber 10 bis 15 Jahre. Die Befürworter einer Umfahrung verweisen daher zu Recht darauf, dass es zu spät ist, erst in 15 Jahren an eine Nationalstrassenlösung zu denken, wenn sich zum Schluss erweisen sollte, dass eine solche tatsächlich nötig ist. Wir müssen daher gewisse Machbarkeitsstudien sofort machen. Das heisst aber nicht, dass wir im Hintergrund Nägel mit Köpfen für irgendeine neue Autobahn machen.
 
Noch einmal: Sie schliessen einen städtischen Autobahnanschluss bereits für die Planung einer neuen Autobahnvariante aus?
Ja, logisch. Ich bin doch nicht wahnsinnig! Das wäre ja dann faktisch einfach ein Nord-, statt ein Westast. Der Westast ist vor allem an den Anschlüssen gescheitert. Es wäre daher absurd, jetzt in der Juravorstadt neben der katholischen Kirche statt in der Seevorstadt einen neuen Anschluss anzudenken. Entsprechend gibt es auch keine solchen Beschlüsse. Wenn es die Schliessung der Nationalstrassenlücke dereinst tatsächlich brauchen sollte, geht es darum, den Transitverkehr aus der Stadt zu bringen. Die Feinverteilung in der Stadt, wie das einmal beim Westast mit den Anschlüssen gedacht war, ist vom Tisch. Das sagt übrigens auch der kantonale Baudirektor Christoph Neuhaus. Noch einmal: Ich weiss nicht, wie gewisse Leute dazu kommen, uns solche Absichten zu unterstellen.
 
Das Komitee «Westast — so nicht» beruft sich dabei auf Sitzungsprotokolle der Behördendelegation, die es hat einsehen können. Das BT hat diese Akten ebenfalls gesichtet. Daraus geht klar hervor, dass Sie die Planung für eine langfristige Lösung auf den Juratunnel konzentrieren.
Das ist keine Planung! Wir sind derzeit dabei, abzuklären, wie eine Machbarkeitsstudie aussehen könnte. Dabei geht es um verkehrliche Frage, aber zum Beispiel auch um die Geologie. Aufgrund des Ergebnisses aus dem Dialogprozess ist dieses Vorgehen nur logisch. Man hat sich im Dialogprozess auch darauf geeinigt, dass es sich bei einem neuen Nationalstrassenprojekt um eine bergmännische Lösung handeln muss. Deshalb kommt eigentlich nur der Juratunnel oder der Alternativvorschlag der Westast-Gegnerinnen «Westast – so besser» infrage. Über «Westast — so besser» wissen wir schon viel, auch, weil der Tunnel durch den Westast-Perimeter führen würde. Wir wollen deshalb in einem ersten Schritt mehr zur Machbarkeit des Juratunnels erfahren, damit wir ähnliche Kenntnisse haben wie zur Variante, die unter Biel-West hindurch führt. C’est tout!
 
Und die Seelandtangente?
Die spielt in den derzeitigen Überlegungen keine Rolle. Im Dialogprozess hat man sich klar auf eine bergmännische Lösung geeinigt. Das wissen alle Beteiligten, da es so im unterzeichneten Schlussbericht steht.
 
Ist es denn politisch geschickt, bereits im ersten Jahr, nachdem der Westast begraben wurde, bereits wieder an einer Autobahn herum zu studieren?
Die Rede ist von einer Nationalstrasse, nicht zwingend von einer Autobahn. Es kann also auch eine zweispurige Strasse infrage kommen. Aber ja, dass wir uns diese Überlegungen machen, ist Teil des Kompromisses aus dem Dialogprozess. Entgegen dem, was von gewissen Personen erzählt wird, arbeiten wir parallel dazu auch an den kurz- und mittelfristigen Massnahmen. Nur kann man nicht erwarten, dass diese im Sommer 2021 gebaut sind, wenn das Westast-Projekt erst ein halbes Jahr zuvor abgeschrieben wurde. So schnell geht das nicht. Wir werden Anfang Dezember eine Übersicht zu den Massnahmen und zum aktuellen Stand präsentieren. Ich verfolge in der Leitung der Behördendelegation eine klare Linie und halte mich an das, was wir im Dialogprozess zugesichert haben. Das ist auch eine Frage der Fairness.
 
Glauben Sie Stand heute, dass es dereinst im Westen oder Norden von Biel eine neue Nationalstrasse brauchen wird?
Nicht, wenn sich die Mobilität tatsächlich verändert. Wenn sie sich weiterhin so entwickelt wie in den letzten 30 Jahren hingegen schon. Wir wissen heute nicht, ob lediglich eine Dekarbonisierung stattfindet, die Leute künftig also einfach alle mit Elektroautos unterwegs sein werden. Oder ob sich ein komplett neues Verkehrsverhalten etabliert. Ich persönlich vermute eher letzteres. Aber wissen kann ich das natürlich nicht.
 
«Westast — so nicht» wirft Ihnen vor, im Wahlkampf der Autolobby zuzuarbeiten. Die Bieler Wirtschaftsverbände haben Ihnen tatsächlich bereits Anfang Februar einen Brief geschrieben, in dem diese ihre «grosse Sorge» geäussert haben, dass die Netzschliessung in weite Ferne gerückt sei und forderten, die Planung einer neuen Umfahrung rasch an die Hand zu nehmen. Haben Sie sich unter Druck setzen lassen?
Überhaupt nicht. Haben Sie meine Antwort auf das Schreiben auch gelesen?
 
Nein. Den Sitzungsprotokollen lag leider nur der Brief bei.
Der übrigens auch nicht an mich, sondern an die Behördendelegation und an Baudirektor Neuhaus adressiert war. Ich habe aber in einer kurzen Mail an die Wirtschaftsvertretenden geantwortet, da damals bereits klar war, dass ich die Behördendelegation künftig präsidieren werde. Ich habe den Absendern geschrieben, dass sie etwas gar schnell unterwegs seien. Und dass wir bald die Reflexionsgruppe konstituieren werden, in der die Verbände Einsitz nehmen können (Fehr zeigt die Mail auf seinem Smartphone, die Red.). Das Bild, das die «Westast – so nicht»-Leute zeichnen, ist also sehr verzerrt. Wissen Sie, es gibt sehr viele Leute, die uns Briefe schreiben. Natürlich sind die Wirtschaftsverbände wichtige Partner. Deswegen verfallen wir aber noch lange nicht in Aktionismus. Es gibt divergierende Interessen unter den verschiedenen Gruppen, das ist klar. Aber es gibt keine Druckversuche. Von niemandem, auch nicht aus Wirtschaftskreisen.
 
Letztlich schwingt bei der Kritik an Ihnen in diesem Dossier immer auch das Thema Partizipation mit: Die Westast-Gegner, die mit ihrer Bürgerbewegung die Autobahn gebodigt haben, wollen nach ihrem Sieg von den Behörden transparenter informiert und vor allem in die künftige Planung mehr einbezogen werden.
Das stimmt. Aber es gibt sehr unterschiedliche Bedürfnisse zwischen jenen, die Sie als Bürgerbewegung bezeichnen, und den Fachorganisationen. Deshalb haben sich die beiden Lager wahrscheinlich auch getrennt. Die Fachorganisationen wollen jetzt an der Lösungsfindung mitarbeiten, auch jene, die ursprünglich bei «Westast – so nicht» dabei waren. Die Idee, man müsse jetzt die Behörden überwachen und kontrollieren, ist nur bei einem kleinen Teil der Involvierten präsent. Dabei ist die Überwachung der Behörden eigentlich nicht die Aufgabe eines Komitees. Die Exekutive wird vom Parlament überwacht und beide Gremien werden alle vier Jahre vom Volk beurteilt.
 
Sie sehen die Bürgerkomitees inzwischen also als eine Art lästige Wachhunde, die ihre Rolle falsch verstehen?
Nein. Aber ein Ampelsystem, wie es «Westast — so nicht» seit Kurzem einsetzt und das aufzeigen soll, welche Massnahmen alle noch nicht umgesetzt sind, ist nicht zielführend. Es verhärtet die Diskussion. Alle anderen Organisationen, und darunter eben auch die Fachverbände, die gegen den Westast waren, wollen sich jetzt mit Lösungen befassen und sich nicht unbedingt mit Kontrolle, Überwachung und Buchhaltung beschäftigen. Das führt zu gewissen Spannungen innerhalb der Reflexionsgruppe. Dabei ist auch wichtig, zu betonen, dass die eigentliche Partizipation nicht primär in der Reflexionsgruppe passiert. Die Gruppe ist zwar ein Scharnier nach aussen. Die Mitwirkung soll aber mit der Bevölkerung stattfinden. Das Zukunftsbild für Biel wurde im Dialogprozess in einem relativ engen Kreis erarbeitet. Es ist daher richtig, ein Dokument solcher Tragweite als erstes mit der Bevölkerung zu diskutieren, wenn es als Grundlage für alle weiteren Arbeiten dienen soll.
 
Sie selber haben in der Behördendelegation den Einbezug der Bürgerbewegungen in den weiteren Prozess gefordert, das ist in den Protokollen ersichtlich. Begründet haben Sie die Forderung damit, da sonst «Dolchstosslegenden» entstehen könnten. Die Dolchstosslegende ist eine Verschwörungstheorie, die Ende des Ersten Weltkriegs entstand. Und die von den Nationalsozialisten sodann dazu verwendet wurde, um unter anderem gegen die Demokratie zu hetzen. Ein missglückter Vergleich, nicht?
Das finde ich nicht. Es ist wichtig, hier zu betonen, dass es dabei einzig um «Westast – so nicht» geht und um niemand anderes. Es gab bereits Anfang Jahr Anzeichen dafür, dass es innerhalb des Komitees die Frage diskutiert wird, ob sich der Verein auflösen soll. An uns wurde dann die Idee herangetragen, dass wir das Komitee vom weiteren Prozess ausschliessen sollten, damit der Verein seine Arbeit einstellen muss, ihm also die Existenzgrundlage entzogen würde.
 
Wer hatte diese Idee?
Sowohl ursprüngliche Befürworter als auch Gegner des Westast-Projekts. Ich habe klar gesagt, dass das nicht infrage kommt. Weil es sonst eben so dargestellt würde, dass die Behörden «Wesast – so nicht» hinterrücks erledigt hätten. Man wollte uns dazu überreden, als Behörden über das Schicksal einer Organisation mitzuentscheiden. Das fand ich falsch und sehe das auch heute noch so. Es war alleine an den Komiteemitgliedern, zu entscheiden, ob «Westast – so nicht» weiter bestehen soll, unabhängig von der Mitarbeit in einer Reflexionsgruppe. Daher habe ich mich von Anfang an dafür eingesetzt, dass auch Bürgerkomitees darin Einsitz nehmen können. Auch wenn sich jetzt zeigt, dass die Konstellation nicht ganz einfach ist, da «Westast – so nicht» ein anderes Rollenverständnis hat als die übrigen beteiligten Organisationen.
 
Sind Sie froh, hat sich «Westast – so nicht» nicht aufgelöst?
Ich bin grundsätzlich an der Zusammenarbeit mit allen interessiert. Das ist jedoch etwas schwierig, weil «Westast – so nicht» derzeit nicht ziel- und dialogorientiert handelt. Das ist schade. Ich würde mir wünschen, dass auch das Komitee konstruktiv an den Diskussionen teilnimmt. Ich nehme auch von Fachverbänden wahr, die sich gegen den Westast positioniert hatten, dass sie sich einen anderen Ansatz wünschten. Weil, und das ist ganz wichtig: Ich mache mir Sorgen, dass das ständige Behördenbashing letztlich alle Mobilitätsprojekte in der Region gefährdet.
 
Wie kommen Sie darauf?
Mit der ständig schlechten Darstellung der behördlichen Verkehrspolitik wird Verunsicherung gesät. Dadurch werden auch Projekte wie die Neugestaltung der Bieler Nord- und Südachse gefährdet, welche die Absenderinnen der Kritik eigentlich unterstützen. Ich empfehle deshalb dringend, weiterhin zusammenzuarbeiten und gemeinsame Lösungen zu suchen.
 
Das erschliesst sich mir nicht. Wie soll zum Beispiel die Umgestaltung des Bieler Kreuzplatzes durch die Kritik an der Arbeit der Behördendelegation gefährdet werden?
Die Neugestaltung des Kreuzplatzes ist ein städtisches Projekt. Dabei wird es auch um verkehrliche Fragen gehen. Ein bestimmter Teil des rechten Lagers wird deshalb die Anpassungen im Stadtparlament naturgemäss ablehnen. Wenn gleichzeitig ständig aus jenen Kreisen, die Veränderungen eigentlich wünschen, die Arbeit der Behörden unter Beschuss genommen wird, entsteht plötzlich eine unheilige Allianz. Oder zumindest grosse Verunsicherung: Die einen sind dagegen, weil sie die Massnahme ablehnen und die anderen, weil sie nicht einverstanden sind, wie sie durch die Behörden erarbeitet wurde. Im Parlament findet sich vielleicht trotzdem eine Mehrheit. Wenn wir aber mit einem solch vergifteten Klima in eine Volksabstimmung müssen, wird es schwierig.
 
Das Misstrauen in die Behördenarbeit ist auch historisch bedingt. Das inzwischen spektakulär gescheiterten Westast-Projekt mit Stadtanschlüssen ging ebenfalls auf eine Planung unter regionaler politischer Führung zurück. Mit der «Gruppe Stöckli» gab es auch damals eine Art Begleitgremium, das im Rückblick als Feigenblatt bezeichnet wird. Was haben Sie aus dem Vorgehen Ihres Vorgängers Hans Stöckli für Lehren gezogen?
Die Art und Weise, wie gearbeitet wurde, entsprach den Standards von damals. Wie auch das Westast-Projekt den Standards von damals entsprach. Wir sind aber inzwischen von der Frage, wie man ein verkehrliches Problem lösen kann, in eine gesellschaftspolitische Debatte übergegangen. Das ist eine komplett andere Ausgangslage. Es braucht heute mehr Partizipation. Es ist aber auch richtig, dass am Schluss die zuständigen Behörden entscheiden. Partizipation heisst, Ideen einfliessen lassen, die Leute abholen. Partizipation heisst aber nicht, dass zum Schluss die Bevölkerung ausserhalb der ordentlichen Wege entscheidet. Entscheiden tun die gewählten Behörden und wenn das der ordentliche Weg vorsieht auch das Stimmvolk. Die Partizipation soll dazu führen, dass die Behörden mithilfe der Teilhabe Lösungen erarbeiten, die mehrheitsfähig sind.
 
Heisst das, dass sich die hiesige Bevölkerung auf jeden Fall frühzeitig zur Nationalstrassenfrage wird äussern können, bevor ein allfälliges nächstes Ausführungsprojekt ausgearbeitet wird?
Ja. Die Frage ist in welcher Form, da die Nationalstrassen nach Bundesgesetz nicht einem Volksentscheid unterliegen. Es gibt aber Instrumente, mit denen das trotzdem möglich ist. Das ist eine von vielen Erkenntnissen aus der Westast-Debatte. Etwas möchte ich aber noch festhalten.
 
Bitte.
Auch wenn das von gewissen Personen bisweilen bestritten wird: Ein Charakterzug von mir ist die Verlässlichkeit. Wir haben im Dialog etwas ausgehandelt, das jetzt umgesetzt wird. Punkt. Es geht nicht an, dass ein Teil der Gegner des Westasts jetzt trotz erzielter Einigung versucht, das Ganze zu ihren Gunsten neu zu interpretieren. Denn man muss schon sehen: Die ursprünglichen Autobahn-Befürworter mussten mit dem geschlossenen Kompromiss die viel grösseren Kröten schlucken als die Gegner. Und wenn wir ihnen zugesagt haben, dass wir eine Machbarkeitsstudie für einen bergmännischen Tunnel schnell aufgleisen, dann machen wir das jetzt auch. Was keinesfalls heisst, dass gleichzeitig nicht auch die kurz- und mittelfristigen Massnahmen in Angriff genommen werden.

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