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Bieler Wahlen

«Ich bin sehr enttäuscht»

Die Bieler Grossrätin Samantha Dunning (PSR) träumt von einer linken Stadtregierung mit einer weiblichen und französischsprachigen Mehrheit. Einen ersten Schritt in die Richtung macht sie mit ihrer Kandidatur für die Exekutive.

copyright:matthiaskäser/bieler tagblatt
  • Dossier

Interview: Deborah Balmer


Samantha Dunning, macht die Stadt Biel genug für randständige Menschen?
Samantha Dunning: (überlegt) Man kann natürlich immer noch mehr tun. Was randständige Menschen angeht, wird in Biel aber bereits einiges gemacht. Ich denke da etwa an den Einsatz der SIP, die in Biel unterwegs ist und mit den Menschen redet, die tags auf der Strasse leben. Dabei handelt es sich um wichtige Präventionsarbeit.


Ich frage, weil ich kürzlich Folgendes beobachtete: Ein Mann betritt ein Restaurant und sucht die zurückgestellten Tabletts ab. Er greift zu und schiebt sich eine Handvoll Essensreste in den Mund.
Was das angeht, braucht es Vereinbarungen mit den verschiedenen Geschäften. Ich denke an Nahrungsmittel, die noch nicht abgelaufen sind, aber sich nicht mehr verkaufen lassen. Man könnte sie den Leuten auf der Strasse anbieten. So eine Übereinkunft gibt es meines Wissens bereits mit der Gassenküche.


Was würden Sie als Gemeinderätin konkret ändern?
Man könnte Vereinbarungen mit weiteren Läden treffen. Wichtig ist, dass den Randständigen bewusst ist, was für Angebote es in der Stadt gibt. Generell bin ich gegen Verschwendung. Nahrung, die noch gut ist, darf nicht weggeworfen werden. Folgendes ist aber wichtig: Es gilt auch tolerant zu sein gegenüber Randständigen. In der Stadt braucht es auch künftig Orte, wo sie sich aufhalten können, ohne vertrieben zu werden. Auch diese Menschen gehören zu Biel. Wichtig ist weiter, dass der Gemeinderat in solchen Fragen gut zusammenarbeitet.


Welche Projekte würden Sie als Gemeinderätin noch in Angriff nehmen?
Die Stadt wird von ihren Bewohnern geschätzt. Trotzdem gibt es viele Sachen, die man in Angriff nehmen muss. Etwas sehr Wichtiges ist sicher die soziale Integration, das Zusammenleben der verschiedenen Bewohner der Stadt also. Gefördert werden kann das mit sozialen Projekten. Eine Idee wären städtische Gemüsegärten für die Bevölkerung zu gestalten. Die Quartiere könnten belebt und den Leuten schmackhaft gemacht werden, sich für die Stadt einzusetzen. Das würde auch helfen, der Stadt ein positiveres Image zu geben.

Gibt es weitere Themen?
Thema ist sicher auch der Kampf gegen die Armut. Wichtig ist hier die Zusammenarbeit mit den Firmen und den Schulen. Schüler müssen beim Übergang von der Schule ins Berufsleben begleitet werden. Auch der Bilinguismus ist wichtig: Als Romande sehe ich, dass es frankophone Jugendliche oft schwer haben, eine Stelle zu finden.   


Wünsche anzubringen ist ja auch deshalb schwierig, weil die finanzielle Lage der Stadt sehr angespannt ist. Was ist schief gelaufen?
Es gibt viele Faktoren, die da hineinspielen. Unter anderem gab es auf wirtschaftlicher Seite Veränderungen: mit dem starken Franken etwa, was sich auf Biel, eine Industriestadt, natürlich stark auswirkte. Dann spielt auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit eine Rolle, was zu weniger Steuereinnahmen führte.


Wo merken die Bürger im Alltag, dass es der Stadt finanziell schlecht geht?
Etwa am sinkenden Dienstleistungsangebot. Das sind zum Beispiel die steigenden Schülerzahlen in den Klassen, wobei hier natürlich auch der fehlende Schulraum eine Rolle spielt. Zudem erhalten kleine Institutionen weniger Subventionen. Das war etwa bei der Ludothek der Fall, die schlussendlich glücklicherweise doch noch gerettet werden konnte. Die Finanzlage betrifft also die gesamte Bevölkerung.


Fehlt es in der Stadt Biel an guten Steuerzahlern?
Es ist wichtig, dass wir mehr Familien in die Stadt bringen, die helfen, die Einnahmen Biels zu erhöhen. Dafür muss die Stadt für Familien attraktiver werden. In dieser Beziehung könnte noch mehr getan werden.


Was genau?
Zum Beispiel, was ausserfamiliäre Betreuungsplätze betrifft. Das heisst nicht, dass gar nichts getan wird, aber es gibt Verbesserungsmöglichkeiten. Die Tagesschulen etwa befinden sich auf gutem Weg. Für Kleinkinder, die noch nicht zur Schule gehen, fehlen hingegen Betreuungsplätze. Besonders für Familien, die unregelmässige Arbeitszeiten haben, wird es schwierig. Ich spreche da beispielsweise von Eltern, die im Gesundheitsbereich arbeiten. Die benötigen teilweise am Abend oder in der Nacht einen Betreuungsplatz für ein Kind. Die städtischen Krippen haben heute sehr strikte Öffnungszeiten. Das reicht nicht.


Gibt es noch anderes?
Bei der Einrichtung von Plätzen muss man stärker an Familien denken. Hat es genügend Schatten, damit die Kinder in Ruhe spielen können? Ich denke da an den Zentralplatz, die Esplanade, den Neumarktplatz oder den Robert-Walser-Platz, die kinderfreundlicher sein könnten.


Man hört derzeit von der dynamischen Wirtschaftsentwicklung. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube tatsächlich, dass wir in die richtige Richtung gehen. Man könnte aber vermehrt besonders innovative Firmen ansiedeln. Firmen, die besonders sozial sind, was die Arbeitsbedingungen angeht. In der Altstadt gibt es neu einen Laden, der ohne Verpackungen auskommt. Das ist doch toll. Unternehmen, die in Nachhaltigkeit investieren, sollten gefördert werden. Es ist doch ein schöne Vorstellung: Die Stadt Biel auf dem ersten Platz der nachhaltigen Unternehmen. Dazu gehörte selbstverständlich auch die erwähnte Personalpolitik.

Kommen wir zur Sozialhilfe: Anders als versprochen, konnte die Sozialhilfequote nicht gesenkt werden.
Persönlich bin ich sehr enttäuscht. Man versprach uns Dinge. Am Ende wurde fast nichts davon eingehalten. Man präsentierte uns die Reorganisation der Abteilung Sozialhilfe. Das ist zwar gut, kam aber zu spät. Das hätte bereits im ersten Jahr der laufenden Legislatur getan werden müssen. So wüssten wir auch, ob die Reorganisation überhaupt Veränderung mit sich bringt. Persönlich hoffe ich, dass sie den Sozialarbeitern erlaubt, besser auf jeden einzelnen Fall einzugehen. Denn jeder Fall ist anders. So gibt es in Biel viele alleinerziehende Mütter, die Sozialhilfe empfangen, obwohl sie arbeiten. Da geht es eben nicht um die Integration in den Arbeitsmarkt, sondern es stellen sich andere Fragen: Kostet die Kinderbetreuung zu viel?

Die SP/PSR will bei den Wahlen nicht mitziehen, was Smartvote angeht. Begründung: Die Fragen zur Bieler Politik seien zu allgemein gehalten.
Es ist tatsächlich so, dass die Fragen bei Smartvote sich eher auf nationale und kantonale Fragen beziehen. Die Gemeindeebene fehlt. Wenn ich gefragt werden: Sind Sie für oder gegen die Neugestaltung des Bahnhofplatzes? Bin ich links, wenn ich mit Ja antworte? Bin ich rechts, wenn ich Nein sage? Das ist ohne genaue Erläuterung unklar. Smartvote ist zu einfach.


Wie soll der Wähler den Überblick behalten?
Man kann schauen, was ein Stadtrat in der letzten Legislatur für Vorstösse eingereicht hat. Noch besser:Man spricht persönlich mit den Kandidaten. Die PSR organisiert Apéros in den Quartieren. Da gibt es immer die Gelegenheit für Diskussionen. So findet man sehr schnell heraus, wie ein Kandidat tickt. Wichtig sind natürlich auch die Wahlversprechen, obwohl sie nicht immer eingehalten werden.


Sie sind seit drei Jahren Grossrätin. Weshalb haben Sie bereits wieder Lust auf ein neues politisches Amt?
In einer Demokratie ist es wichtig, dass verschiedene Kandidaten zur Wahl stehen. Das Volk muss eine echte Wahl haben. Als Frau, als Romande und zusätzlich noch als Linke musste ich einfach kandidieren. Stellen Sie sich vor: Ein Gemeinderat mit einer linken Mehrheit, mehreren Romands und mit mehrheitlich Frauen. Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Stadt.

Zur Person
Geboren 1987
Studierte Soziologin
Partei:PSR
Kandidiert auf der Liste der «SP, Juso und Gewerkschaften»
PS-Grossrätin seit Herbst 2013
Präsidentin der Députation francophone
Bieler Stadträtin von April 2010 bis Juli 2015
War Mitglied der Interkommunalen Kommission Agglolac  bal

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