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Interview

"Ich gebe der Gesellschaft gerne etwas zurück"

Sie ist ab Januar die Chefin von rund 1000 Mitarbeiterinnen: Glenda Gonzalez Bassi, Gemeinderätin für die welschen Sozialdemokraten, steht neu der Direktion Bildung, Kultur und Sport vor. Als Kind flüchtete sie mit ihrer Familie aus Chile

Mutter, Berufsfrau und Politikerin - Glenda Gonzalez Bassi war es stets wichtig, selbstständig zu sein. Bild: Peter Samuel Jaggi

Interview: Deborah Balmer

Glenda Gonzalez Bassi, mit dem neuen Jahr geht es los. Sie übernehmen als neu gewählte Gemeinderätin für die welschen Sozialdemokraten die Direktion Bildung, Kultur und Sport. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Zuteilung?
Glenda Gonzalez Bassi: Ich bin sehr zufrieden damit. Es ist angenehm, eine Direktion zu übernehmen, für die ich zweifellos die nötigen Kompetenzen mitbringe. Auch wenn es für mich kein Problem gewesen wäre, eine andere Direktion zu übernehmen.

Welche Direktion hätten Sie ebenfalls gerne übernommen?
Eigentlich wäre jede andere ebenso in Frage gekommen. Das spezielle im Wahlkampf war ja, dass man sich sozusagen auf einen Posten bewirbt, von dem man nicht genau weiss, wie er in den nächsten vier Jahren aussehen wird.

Was macht Sie besonders 
kompetent für die Aufgabe als Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion der Stadt Biel?
Sicher meine berufliche Erfahrung. Seit über 20 Jahren arbeite ich in der Berufs- und Erwachsenenbildung, bin Ausbildnerin. Zudem war ich seit einigen Jahren Geschäftsleiterin in der Institution, in der ich arbeitete. Das heisst, ich bringe Managementqualitäten mit.

Wie schwer ist es Ihnen gefallen, diese Stelle nach über zwei Jahrzehnten zu kündigen?
Das fiel mir wirklich sehr schwer. Wenn man so lange an derselben Stelle arbeitet, heisst das ja auch, dass die Arbeit sehr interessant ist. Sie gab mir über all die Jahre immer Sinn, und das ist etwas, was ich brauche.

Die Bildungsdirektion ist eine der grössten der Stadt. Sie 
beschäftigt rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter sehr viele Lehrpersonen der städtischen Schulen.
Die Schule steht mir allgemein sehr nah: Mein Mann ist Lehrer am Gymnasium in Biel. Als Ausbildnerin arbeitete ich sehr oft mit Heilpädagoginnen zusammen. Das heisst, ich bringe viel Verständnis und gleichzeitig Bewunderung für den Lehrerberuf mit und hoffe, dass ich dadurch das Vertrauen der Lehrpersonen gewinnen kann. Auch meine drei Kinder haben wie ich hier in der Stadt verschiedene Schulen besucht. Deshalb kenne ich schon heute sehr viele Lehrerinnen und Lehrer und ihren Berufsalltag.

Werden Sie sich persönlich in den Schulen vorstellen?
Ja, das werde ich, das ist mir wichtig. Als Direktorin sehe ich mich aber nicht zuoberst auf einer Pyramide. Es gibt einen Unterschied zwischen Autorität und Hierarchie. Es geht mir vielmehr um eine Zusammenarbeit. Ich denke, dass ich nicht sehr autoritär bin, ich habe aber meine Meinung und wenn ich von etwas überzeugt bin, dann setze ich mich durch.

Erstmals gibt es im Bieler 
Gemeinderat eine Frauenmehrheit. Was denken Sie, wie wird dies die Dynamik in der 
Exekutive verändern?
Tatsächlich sprechen mich sehr viele Leute auf die Frauenmehrheit an. Ich werde gefragt, was sich mit der neuen Konstellation wohl ändern wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Herangehensweise eine andere wird. Wir Frauen sind vielleicht etwas weniger empfindlich als die Männer. Natürlich passt die Frauenmehrheit nicht allen, genauso wie nicht alle mit der linken Mehrheit im Gemeinderat einverstanden sind.

Mit Lena Frank haben Sie ja Wahlkampf geführt.
Sie kenne ich bereits, ja. Aber auch Gemeinderätin Silvia Steidle kenne ich aus den letzten sieben Jahren im Bieler Stadtrat. Wir haben schon immer gut zusammen gearbeitet. Mein Eindruck ist, dass sie sehr viel Humor hat. Für mich ist das etwas Zentrales: Natürlich ist Politik eine ernste Sache, aber heisst auch Leben. Sei es im Beruf oder in der Familie: Ich habe stets versucht, den Humor nicht zu vergessen. Ich denke, dass der Wunsch aller fünf Gemeinderätinnen und Gemeinderäte generell eine gute Zusammenarbeit ist.

Welche Reaktionen haben Sie nach Ihrer erfolgreichen Wahl erhalten?
Viele freuen sich, dass die Frauen nun durch mehrere Generationen vertreten sind. Ebenso, dass wir Gemeinderätinnen ein Beispiel sind für andere Frauen. Ich kann zeigen, dass ich als Frau, Mutter und Berufsperson legitimiert bin, in die Politik einzutreten. Das ist ja noch immer nicht ganz selbstverständlich. Das Problem ist, dass Frauen oftmals viel stärker kämpfen für Job, Kinder und die Partnerschaft. Nicht selten ist es noch immer nicht ganz selbstverständlich, dass wir Frauen trotz Kinder arbeiten wollen. Die Väter arbeiten zwar Teilzeit, nutzen dann aber die freie Zeit, um sie qualitativ mit den Kindern zu verbringen oder Sport zu treiben. Mütter hingegen würden sich das nie erlauben: Sie gehen in dieser Zeit einkaufen oder kümmern sich um die Familie, etwa um die Kinder irgendwo abzuholen oder zum Arzt zu bringen.

Sie haben drei Söhne, die schon etwas älter sind. Haben Sie, als die Kinder kleiner waren, stets gearbeitet?
Ja, ich arbeitete immer 70 Prozent. Mir war das wichtig, ich bin so erzogen worden. Meine Mutter sagte mir stets: Es ist wichtig, dass du selbstständig bist. Meine Kinder profitierten davon und wissen heute: Das Leben ist nicht nur einfach, sondern vielschichtig. Unsere Familie ist sehr politisch. Mir persönlich ist es wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, schliesslich hat mir die Stadt Biel sehr viel gegeben.

Sie kamen als Kind mit ihren Eltern als Flüchtlinge aus  
Chile in die Schweiz. Wie hat Sie das beeinflusst?
Es war mein Vater, der Flüchtling war. Aber es stimmt, ich bin in Chile geboren und habe die ersten Jahre dort verbracht. Das hat mich sicherlich kulturell beeinflusst, aber eben auch politisch. Ich war immer offen für verschiedene Kulturen und Sprachen. Ich rede neben Französisch auch Spanisch, Italienisch, Englisch und Deutsch: Ich bin Bielerin, Schweizerin und auch Chilenin.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit in Chile und die erste Zeit in der Schweiz?
Ich erinnere mich beispielsweise an Demonstrationen für Präsident Salvador Allende. Es wurde viel gesungen, die Menschen unterstützten ihn. In Chile war unsere Familie stets von vielen Menschen umgeben. Als wir dann in die Schweiz kamen, es war Januar und es lag viel Schnee, waren wir plötzlich die meiste Zeit drinnen. Das war ungewohnt. Ich was damals sechs Jahre alt. Später, während der Militärdiktatur, reiste ich mit meiner Mutter noch immer regelmässig in mein Heimatland. Mein Vater durfte als Flüchtling in dieser Zeit nicht mehr zurückkehren. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mich ermahnte, nicht zu laut zu reden in der Öffentlichkeit. Als Kind bekam ich also mit, was Freiheit bedeutet. Die Freiheit zu reden, zu denken. Das war eigentlich der Anfang meiner politischen Laufbahn.

Wie lange dauerte es dann noch, bis Sie in eine Partei eintraten?
Meine Eltern waren stets sozialistisch, das gehört also zu meinem Leben. In den Parti socialiste Romand trat ich aber erst vor sieben Jahren ein, also vor den Wahlen in den Stadtrat. Aber auch als 20-Jährige engagierten wir uns für linke Anliegen, waren aber überzeugt, dass dies besser geht, wenn man in keiner Partei und keinem politischen Amt eingebunden ist. Das war Mitte der 1980er-Jahre: Es ging um Frauenrechte, um den Atomausstieg.

Sie sind heute auch eine wichtige Vertreterin der Romands in Biel.
Die Romands gehören genauso zu Biel wie die Deutschsprachigen. Für mich ist dies mehr als nur eine Sprachenfrage. Es geht um das Zusammenleben und den gegenseitigen Respekt. Ebenso um die Kultur der andern, so kann man gemeinsam wachsen. Als ich damals in der Stadt Neuenburg studierte, fiel mir auf, wie speziell und einmalig der Bilinguismus in Biel doch ist. Wir haben hier eine besondere Offenheit. Es ist sehr wichtig, dass die jungen Menschen die Chance erhalten, davon zu profitieren. Die Zweisprachigkeit ist in der Schule und der Berufsbildung äusserst zentral. Heute kann man beispielsweise eine Verkäuferinnenlehre in vielen Firmen nur auf Deutsch absolvieren. Das muss sich noch ändern, denn die Romands und die Deutschschweizer sollen die gleichen Möglichkeiten haben.

Bitte vervollständigen Sie zum Schluss noch folgende Sätze: Das Projekt Agglolac...
... ist ein grosses Vorhaben, das noch diskutiert wird.

Sparen in der Kultur ist für mich ...
... unsinnig. Vor allem zurzeit wäre das falsch. Kultur ist für die Gesellschaft sehr wichtig. Und nicht zuletzt ist Kultur auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor.

Die Corona-Pandemie ist ..
... für uns alles eine grosse Herausforderung, um nicht zu sagen, eine Katastrophe. Vielleicht aber auch eine Möglichkeit, um über die Zukunft nachzudenken.

Sport bedeutet mir ...
... ein Teil des Ganzen. Bildung ist wichtig für den Kopf, Kultur für das Herz und Sport für den Körper. Ich freue mich, als Vorsteherin der Direktion mehr darüber zu erfahren. In Biel werden mehr als 40 verschiedene Sportarten betrieben und es gibt mehr als 150 unterschiedliche Sportvereine. Mehr als 1200 Kinder sind in Biel Mitglied in einem Sportverein.

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