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Biel

«Ich will nirgends dazugehören,
 aber überall dabei sein»

Es gibt kaum eine Bühne im Seeland, auf der er noch nicht gestanden ist. Remo Widmer moderiert, macht Lärm für die Künstlerinnen und Künstler, feuert die Menschen an. Der Bieler ist immer mit dabei – und doch am liebsten alleine.

In warmen Sommernächten packt sich der 33-Jährige seine Matratze und übernachtet im Garten. Bild: Matthias Käser
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Aufgezeichnet: Hannah Frei

So verlief eigentlich auch mein gesamtes bisheriges Leben. Schon als Kind war ich nie der Typ, der ein paar beste Freunde hatte. Ich brauchte keine Freunde, ich brauchte einfach alle, die ganze Klasse, die ganze Schule. Ich kam mit allen gut aus, enge Beziehungen habe ich hingegen nur wenige gepflegt. Ich bin ein Einzelgänger. Den Erwartungen, die entstehen, wenn man eine engere Beziehung eingeht, könnte ich nicht gerecht werden. Ich will nirgends dazugehören, aber überall dabei sein. Und dafür ist die Aufgabe eines Moderators und Animators perfekt.

Das erste Mal moderiert habe ich vor etwa zehn Jahren im Kultur Kreuz Nidau. Micha Sportelli und Steve Iseli haben dort ein Open-Mic organisiert. Sportelli suchte einen Moderator. Und er fragte mich. Daraus entstanden umgehend weitere Möglichkeiten, Anfragen für Breakdance-Battles, für Konzerte, für Projekte. Zum Reggae-Festival Lakesplash kam ich früh, etwa vor neun Jahren. Ein Moderator fiel aus. Und so stieg ich in diese Lakesplash-Familie ein. Was ich als Moderator genau mache? Ich motiviere das Publikum, stelle die Künstlerinnen und Künstler vor, unterstütze sie und trage damit dazu bei, dass der Abend spannender, wilder und schöner wird. Gesucht habe ich diese Jobs eigentlich nie, sie kamen immer zu mir. Es gibt wenige, die das machen. Fällt mal jemand aus, ist es schwierig, Ersatz zu finden – in Biel schon nur wegen der Sprache. Mein Französisch ist nicht top, aber für die Bühne reicht es.

Aber eigentlich komme ich aus einer ganz anderen Welt. Aufgewachsen bin ich in Aefligen bei Kirchberg. Schon als kleiner Junge hätte ich mit dem Hornussen anfangen sollen. Das macht man in dieser Gemeinde so. Aber mir gefiel das Basketballspielen viel besser. Und ich tanzte gerne. Wegen der Tochter einer Bekannten meiner Mutter fing ich mit sieben Jahren an, Rock’n’Roll zu tanzen – sie brauchte damals einen Partner. Dass ich später mit meiner nächsten Tanzpartnerin mehrmals Schweizermeister werden und unter die Top zehn der Welt kommen würde, hätte ich damals nicht für möglich gehalten. Wir reisten zehn bis zwölf Mal pro Jahr durch die halbe Welt, um an Wettkämpfen teilzunehmen. Wir waren gefesselt vom internationalen Niveau, es war viel mehr als ein Hobby. Doch mit etwa 18 Jahren begann meine Tanzpartnerin zu arbeiten. Und ich ging nach La Neuveville, um die Handelsmittelschule zu besuchen. So lebten wir uns auseinander. Und dann kam die Musik. Ich begann, zu rappen, lernte immer mehr Bieler kennen – und verliebte mich in die Stadt. Ich wusste: Sobald ich meinen ersten Lohn erhalte, will ich nach Biel ziehen. Mit 18 Jahren hatte ich meine erste eigene Wohnung an der Madretschstrasse. Dort habe ich zwei Jahre Biel gelebt, mit allem, was dazu gehört: die erste grosse Liebe, der erste Liebeskummer, die ersten Partys im Chessu, und ganz viel Kunst. Viel Tanz, viel Hip-Hop, viel Musik. Das war eine geile Zeit. Ich war damals extrem viel unterwegs, aber auch viel alleine. Es war eine Selbstfindungsphase, in der ich alles hinterfragte. Ich ging auf den Mont-Soleil meditieren, war suchend, wollte mich besser verstehen. Diese Zeit hat mir gezeigt, dass ich wegwill von einem 0815-Job, weg von regulären Arbeitszeiten. Ich wollte mehr. Mit MB2 Immobilien AG fand ich einen tollen Arbeitgeber, der mir viele Freiheiten gewährte – dort arbeite ich noch heute. Mit 20 Jahren begann ich dann mit der Animation, verbrachte die Sommer in Ibiza, die Winter in Laax. Ich weiss auch nicht recht, wie ich auf diese Idee gekommen bin. Wir machten nie Clubferien mit der Familie. Aber ich liebte die Bühne schon damals. Entertainment hat mich inspiriert. Menschen motivieren, ihnen Spass vermitteln, Freundschaften schliessen. Das fand ich toll, das war für mich Leben.

Heute habe ich für mich den perfekten Rhythmus gefunden: Ich arbeite jeweils von Montag bis Donnerstagmittag im Büro. Den Rest der Woche bin ich Moderator, Barmann, Animator, Helfer, Bastler, Organisator. Zurzeit arbeite ich regelmässig am Summer Now, präsentiere die Künstlerinnen und Künstler und helfe, wo es mich braucht.

Die Sommermonate sind jeweils intensiv. Deshalb gönne ich mir seit zwei Jahren drei Monate Pause im Winter und gehe nach Thailand. Dort gibt es alles, was ich brauche. Super Wetter, eine super Atmosphäre, grossartige Menschen, die kommen und gehen. Bei der Immobilien-Firma bin ich zu 40 Prozent angestellt. Das reicht mir, um mein Leben zu finanzieren – ich wohne mit acht Menschen und unserer Katze Cookie in einer WG und brauche nicht viel. Für die Animationen verlange ich oft nichts – oder nur wenig. Ich sehe das als meinen Beitrag für die Kultur, für die Jugend, für die Zukunft. Und ich will mich bei den Auftritten nicht verstellen müssen. Wenn mir jemand sagt, ich müsse meine Cap für die Moderation ablegen, dann lehne ich ab.

Obwohl ich auf der Bühne stehe und laut bin, geht es nie um mich. Es geht um die Künstlerinnen und Künstler, um das Publikum. Ich rücke sie ins Licht, genauso wie der Ton- oder der Lichttechniker. Ich präsentiere andere, nicht mich selbst. Ich nehme mich auch nicht all zu wichtig. Es ginge ja auch ohne Moderator. Ohne Publikum, ohne Künstlerinnen, ohne Tontechniker ginge jedoch nichts.

Wenn ich privat an ein Konzert gehe – was sehr selten vorkommt – halte ich mich eher im Hintergrund auf. Am liebsten irgendwo oben, wo ich alle sehen kann, die Bewegungen der Menschenmassen. Ich würde nie wild vor der Bühne tanzen. Da würde ich mich wohl vom besten Moderator nicht dazu animieren lassen.

Meine Stimme versagt regelmässig. Ich habe absolut keine Ahnung, wie ich mit ihr umgehen muss. Mit Atemtechnik oder Sprechübungen habe ich mich nie auseinandergesetzt. Bei mir kommt alles aus dem Bauch heraus. Wenn ich während einer Veranstaltung die Stimme verliere, mache ich einfach weiter, so gut, wie es halt noch geht. Und ich versuche immer, etwas Lustiges daraus zu machen.

Nach der Moderation bin ich meist extrem erschöpft. Alle Energie ist weg. Es kam auch schon vor, dass ich danach Zuhause weinen musste, weil ich völlig überwältigt war. Von all den intensiven Begegnungen, der Liebe, der Energie. Nicht, dass das schlimm gewesen wäre. Ich war einfach nur durch. Und ich brauchte Zeit, um den Abend zu verarbeiten und am nächsten Tag wieder bereit zu sein.

Und ja, auch ich bin manchmal schlecht drauf, eigentlich gar nicht mal so selten. Aber ich zeige es den Menschen nicht. Negatives gibt es bereits genug. Ich will Positives streuen. Sobald ich jemanden treffe, stellt mich das automatisch auf. Vielleicht setze ich in diesen Momenten auch manchmal eine Maske auf. Aber einfach, weil ich keinen Sinn dahinter sehe, jemanden herunterzuziehen. Ich mache das ja auch für mich. Wenn ich Freude vermittle, kommt in der Regel auch Freude zurück. Und für mich ist freundlich sein der einfachste Weg. Würde ich jemanden wütend machen, würde mich das genauso beschäftigen. Das wär anstrengender.

Ich brauche auch niemanden, um zu reden, wenn es mir schlecht geht. Das mache ich mit mir alleine aus. Dann nehm ich mir Zeit, setzt mich an den See, und verarbeite die Probleme. Das sind für mich eigentlich auch die intensivsten und spannendsten Momente. Ich würde mich als melancholischen Menschen bezeichnen. Ich mag die traurigen Momente, die ruhigen, die sich sehnenden.

Künftig würde ich gerne im Winter länger wegbleiben, jeweils ein halbes Jahr in Thailand verbringen. Dort mache ich allerlei, bastle Schilder für die Bars und Läden, helfe aus, mache jeden Tag etwas anderes. Ich habe mir dort ein zweites Zuhause aufgebaut. Aber solange ich in Biel noch Freude vermitteln kann, werde ich immer wieder hierher zurückkommen. Wenn es mich irgendwo braucht, dann mach ich das. Nicht unbedingt, weil ich das für mich tun will, sondern, weil es Sinn macht. Es macht Sinn, dass Menschen tanzen, dass sie Freude haben, dass sie Musik fühlen. Wenn ich dazu beitragen kann, ist das viel wert.

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