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Fotografie

«Ich wollte in Biel Dinge 
zeigen, die man noch nirgendwo gesehen hat»

Danaé Panchaud hat bis vor Kurzem das Photoforum Pasquart in Biel geleitet. Dieses habe heute weltweit 
einen Namen, sagt sie. Und erzählt, wie sie zur Fotografie gefunden hat, was sie über Feminismus denkt und welches 
Bild sie als letztes geknipst hat.

Danaé Panchaud, abtrendende Direktorin Photoforum Pasquart. Bild:Barbara Héritier

Interview: Helen Lagger

Danaé Panchaud, Sie sind Museologin, Kuratorin und Dozentin. Wie unterscheiden Sie diese verschiedenen Rollen?

Danaé Panchaud: Für mich sind diese drei Bereiche stark miteinander verbunden. Natürlich ist das Unterrichten etwas anderes, als wenn ich mit den Kunstschaffenden zusammenarbeite. Aber ich kann bei allen Interaktionen, sei es mit den Studierenden oder den Kunstschaffenden, etwas für den jeweils anderen Bereich lernen. Als Museologin geht es vor allem darum, sich die Frage zu stellen, was die soziale und politische Rolle einer Institution ist. Das habe ich immer im Hinterkopf, wenn ich eine Ausstellung plane. Die Arbeit der Kuratorin ist sehr konkret, man stellt gemeinsam mit anderen etwas auf die Beine. 

 

Sie haben die Ecole de Photographie in Vevey besucht. Ist es richtig, dass Sie ursprünglich selbst Fotografin werden wollten?

Ja, genau. Ich habe diese Ausbildung gemacht. Ich hatte bereits ein sehr grosses Interesse an Fotografie. Es gibt eine gewisse Logik: Du interessierst dich für Fotografie, also machst du eine Fotoschule. Zumindest habe ich mit 18 Jahren so räsoniert. Der Prozess hatte mehrere Etappen, die mich verstehen liessen, dass ich nicht unbedingt selbst fotografieren will, sondern mit den Fotografien arbeiten möchte, dass meine Rolle eine andere sein könnte. Ich habe Verschiedenes ausprobiert, bis ich schliesslich ganz auf die andere Seite kippte. Heute bin ich nicht mehr als Fotografin aktiv. Ich dokumentiere höchstens manchmal unsere Ausstellungen und mache Selfies oder Erinnerungsbilder wie alle anderen auch.

 

Woher kommt dieses Interesse für die Fotografie? Erinnern Sie sich an ihr erstes Bild, das Sie aufgenommen haben?

Ich habe keine sehr genaue Erinnerung, woher dieses Interesse kommt. Doch ich erinnere mich sehr gut an meine frühen Experimente, noch bevor ich die Fotoschule besucht habe. Ich benutzte die Nikon meines Vaters, die er für eine Reise nach Singapur gekauft hatte. Wie die meisten Jugendlichen hatte ich die unterschiedlichsten Interessen. Aber ich erinnere mich daran, dass es mir wichtig war, diese Kamera wirklich richtig gut zu beherrschen. Ich wollte wissen, wie es funktioniert, umsetzen, was ich im Kopf hatte. Es war mehr als ein Hobby.

 

Was haben Sie aufgenommen?

Ich interessierte mich für Landschaften, Menschen oder experimentellere Dinge. Man experimentiert mit dem richtigen Ausschnitt, der Schärfe – es sind Fragen, die sich alle Fotografierenden stellen.

 

An dieser Fotoschule in Vevey haben Sie gemerkt, dass die Theorie Sie mehr fasziniert als wenn Sie selber fotografieren.

Nebst der Technik, die zum Teil recht anspruchsvoll war, gab es auch viele Kurse über die Geschichte der Fotografie und über Kunstgeschichte allgemein. Die haben mir die Augen geöffnet, was Kunst alles sein kann. Ich hatte bisher eher klassische Museen besucht.

 

Sie waren von 2018 bis 2021 Direktorin des Photoforum Pasquart. 
War diese Amtszeit von Anfang an 
limitiert?

Ja, dieses Mandat war von Anfang an auf sechs Jahre begrenzt. Ich hätte bis am Ende meiner Amtszeit bleiben können. Nach reichlicher Überlegung habe ich die Gelegenheit ergriffen, das Centre de la photographie Genève zu leiten.

 

Wie haben Sie das Photoforum 
geprägt?

Ich denke, dass bereits mit meiner Vorgängerin Nadine Wietlisbach viel Neues ins Photoforum einkehrte. Ich habe diese Linie fortgeführt. Wir haben das Photoforum über Biel hinaus bekannt gemacht. Der Ort hat heute weltweit einen Namen. Die Schweiz hat allgemein viel zu bieten, was die Fotografie angeht, sei es mit den hier ansässigen Schulen oder den Institutionen. Das Photoforum hat einen speziellen Platz in der Szene. Es nimmt oft eine Brückenfunktion ein zwischen den grossen Museen in Lausanne oder Winterthur und den kleinen Off-Spaces, die es vielerorts gibt. Ich denke, dass mein Programm viele verschiedene Themen aufgriff, die man nicht sofort mit Fotografie verbindet. So haben wir 2019 das Thema «Parfum» verhandelt. Die Ausstellung über die zeitgenössische algerische Fotografie stiess im letzten Sommer trotz der Pandemie auf grosses Interesse.

 

Sie waren die zweite Frau, die das Photoforum geleitet hat. Nun kommt mit Jana Johanna Haeckel erneut eine Frau zum Zug.

Ja, das stimmt. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Haeckel als dritte Frau erst die fünfte Person ist, die das 1984 gegründete Photoforum leitet. Doch seit rund 2014 gibt es tatsächlich so etwas wie eine feminine Welle. Die Institutionen im Bereich der Fotografie werden zunehmend von Frauen geführt: Tatjana Frank im Musée de l’Elysee, Nathalie Hersdorfer im Musée des Beaux Arts in Le Locle ...

 

Sie sagten, Sie haben die Linie von Nadine Wietlisbach weiterverfolgt. Was haben Sie aber anders gemacht?

Ich denke, ich habe eine eigene Handschrift, obwohl ich thematisch sehr viele, verschiedene Ausstellungen gemacht habe. Es war mir wichtig, die unterschiedlichsten Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der Fotografie zu präsentieren. Wir hatten im Programm 
sowohl eher Konzeptionelles als auch eher klassische Fotografie, die beispielsweise Bezug auf die Uhrmacherei nahm oder Landschaften in den Fokus rückte. Diese Breite und Offenheit waren mir sehr wichtig. Es gab einen Fächer an Möglichkeiten, den ich dem Bieler Publikum offeriert habe. Es war mir ausserdem wichtig, in Biel Dinge zu zeigen, die man sonst noch nirgendwo gesehen hat. Wir sind kein Vorort von Berlin oder Paris ... oder Zürich. Sicher nicht von Bern. (lacht). Vieles, das hier gezeigt wurde, zirkulierte später anderswo. Die Herausforderung lag in der Frage: Wie kann man die internationalen Kunstschaffenden unterstützen und die Neugierde der lokalen Bevölkerung bedienen?

 

Können Sie für diese Premieren 
ein Beispiel nennen?

Ja. Wir hatten zum Beispiel die erste Einzelausstellung von Lisa Lurati. Oder die kürzlich präsentierte belgische Künstlerin Bénédicte Blondeau, ihr Projekt war auch eine Premiere.

 

Was war Ihr bisher ambitioniertestes Projekt?

Ich denke, das war – auch ein bisschen dem Zufall geschuldet – die Ausstellung über die zeitgenössische algerische Fotografie. Es war mitten in der Pandemie, ich konnte nicht reisen und viele involvierte Personen nicht treffen. Wir haben 40 Kunstschaffende vereint. Dieses Projekt aufrechtzuhalten und sogar zu erweitern, das war eine grosse Herausforderung. Es war ein bisschen «over the top». Ich war müde an der Vernissage (lacht). Aber ich bedaure es überhaupt nicht. Es gab ein schönes Echo sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

 

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Das Team ist klein. Es sind fünf Personen, die alle Teilzeit arbeiten. Mir ist wichtig, dass sich alle einbringen können – unabhängig von der jeweiligen Funktion. Die Rollen sind relativ klar. Jeder hat seine Verantwortlichkeiten. Ich habe auch die meinen, und es gibt Momente, in denen man Entscheidungen treffen muss, insbesondere in einer Ausnahmesituation, wie jene in der wir momentan stecken.

Mussten Sie coronabedingt Angestellte entlassen?

Nein, wir waren in einer sehr privilegierten Situation. Wir mussten zum Teil Kurzarbeit einführen, aber alle behielten ihren Lohn. Es gab jedoch viel Stress und Unsicherheiten sowohl für mein Team, wie für die Kunstschaffenden. Ein Projekt nach dem anderen musste abgesagt werden. Ich konnte nicht garantieren, dass wir im Dezember 2020 wieder offen sein würden. Wir mussten zwar Ausstellungen verschieben, konnten aber schliesslich wieder eröffnen und alle Projekte zeigen, die geplant gewesen waren. Die Auslese des «Prix Photoforum» 2020 konnten wir erst im Frühling 2021 zeigen, ein Residenzprojekt, das wir im Sommer realisieren wollten, fand schliesslich im Januar statt. Aber letztlich konnten wir den Betrieb aufrechterhalten.

 

Jetzt werden Sie Direktorin des 
Centre de la photographie Genève. Was macht den Reiz dieser Institution aus, und wie haben Sie die 
Entscheidung getroffen, diese Stelle anzunehmen?

Ich habe entschieden, mich zu bewerben, als diese Stelle ausgeschrieben war. Ich wollte mal schauen, es war anfangs nicht so, dass ich diese Position um jeden Preis wollte. Es ist für mich eine Gelegenheit, mich auf das in der Fotografie zu konzentrieren, was mich interessiert. In Genf liegt der Fokus stark auf der engagierten Fotografie, dem Dokumentarischen.

 

Kann man sagen, dass das Photo-
forum ein Sprungbrett für Ihre 
Karriere war?

Ja, unbedingt. Genau wie für meine Vorgängerin, die heute Direktorin im Fotomuseum Winterthur ist. Das Sprungbrett hat auch bei anderen Personen meines Teams funktioniert, die beispielsweise in der Vermittlung gearbeitet haben.

 

Wohnen Sie bereits in Genf?

Ich befinde mich mitten im Umzug. Ich habe in Genf studiert und gearbeitet. Ich habe bereits einige Kontakte dort. Meine Eltern bringen mir am Sonntag zwei Lampen (lacht).

 

Danaé – Ihren Vornamen trug eine Geliebte von Zeus. Hatten Ihre Eltern ein Faible für die griechische Mythologie?

Ja, das ist wohl so. Ich habe jedenfalls keine griechischen Wurzeln. Sie haben tatsächlich eine Vorliebe für die griechische Mythologie. So hat auch meine Schwester einen Namen aus dem Mittelmeergebiet. Sie heisst Naïma.

 

Die Kultur war wichtig in Ihrem 
Elternhaus?

Mein Vater hatte bereits als Jugendlicher eine grosse Kunst-Enzyklopädie gekauft. Meine Mutter ist ausgebildete Dekorateurin. Es gab bei uns immer jede Menge Dinge an der Wand, die sie von ihren Reisen mitgebracht hatten. Es gab viel visuelle Kultur bei uns zu Hause. Auch die Musik spielte eine Rolle. Es war für mich normal, Eltern zu haben, die Oper, Jazz, klassische Musik, Chansons oder auch Rock hörten. Wir hörten wirklich alles.

 

Was sind Ihre Ziele für die Zukunft? Wären Sie bereit, für Ihre Karriere 
ins Ausland zu gehen?

Ich habe bereits eine Zeit lang in London gelebt. Ich hatte keine klare Idee, wie lange ich bleiben würde. Die Stelle im Photoforum war schliesslich der Grund, warum ich nach Biel gekommen bin. Ich bin sehr offen für neue Möglichkeiten. Aber nicht sofort. In der Schweiz gefällt mir die vielfältige Fotografie-Landschaft. Wir haben viel Tradition, Institutionen und auch Museen mit Fotosammlungen. Sogar das Alpine Museum in Bern hat seine eigene Sammlung.

 

Sie publizieren auch Essays, haben unter anderem über die Suffragetten in England geschrieben. Wie wichtig ist Ihnen der Feminismus?

Ich denke, dass man eine Verantwortung hat, sobald man in einer öffentlichen Institution tätig ist. Man muss Anti-Sexistin sein – das ist das Mindeste (lacht). Man hat die Pflicht, auf eine Ausgewogenheit der Geschlechterverhältnisse zu achten. Es geht aber auch um eine gerechte Repräsentation allgemein. Diversität im breiten Sinne wird immer wichtiger. Viele Fragen werden jetzt ernst aufgenommen, die man lange als zweitrangig angesehen hat. In Biel sind wir voll auf Kurs – nicht zuletzt dank Felicity Lunn (Direktorin am Kunsthaus Pasquart, Anm. d. Red.), die bereits auf Parität geachtet hat, als es noch kein grosses Thema war. Wir sind gut aufgestellt.

 

Können Sie das mit Zahlen belegen? Wie viele Männer beziehungsweise Frauen haben Sie während Ihrer Amtszeit präsentiert?

Normalerweise war das Verhältnis 50:50. Es gab etwa dieses Jahr drei Einzelausstellungen, davon zwei von Frauen und eine von einem Mann oder auch mal umgekehrt. Wir haben keine Quoten, aber im Durchschnitt ist immer mindestens die Hälfte der Ausstellenden weiblich. Das war auch der Fall bei der Ausstellung zum «Prix Photoforum». Das hat sich natürlich ergeben. In der zeitgenössischen Fotografie hat man keine Entschuldigung. Es gibt genügend Frauen.

 

Welche Tendenzen stellen Sie fest, 
in welche Richtung entwickelt sich die zeitgenössische Fotografie?

Ein guter Indikator für Tendenzen ist der «Prix Photoforum», wo wir jeweils mehr als 100 Dossiers anschauen. All diese Projekte, oft von sehr jungen Fotoschaffenden, anzusehen, ermöglich es uns, zu erkennen, was gerade in der Luft liegt. Es gibt einen starken Trend hin zur engagierten Fotografie. Das muss aber nicht zwangsläufig etwas mit Fotojournalismus zu tun haben. Es gibt viele konzeptuelle Arbeiten, die sich stark mit Feminismus, mit Geschichtsschreibung mit Exklusion oder Migration beschäftigen. Das sind Fragen, mit denen sich heutige Fotoschaffende vermehrt auseinandersetzen. Ich denke, unser Programm hat diese Tendenzen widerspiegelt.

 

Sie haben in zahlreichen Jurys gesessen. Was macht für Sie ein gutes Bild aus?

Ich habe keine fixen formalen, technischen Kriterien, weil ich nicht denke, dass es eine einzige, richtige Art zu fotografieren gibt. Ein Bild, das stark ist, ist ein Bild, das etwas erzählt, das die Person, welche die Aufnahme gemacht hat, ausdrücken will. Leider gibt es keine Formel wie bei einem Kochrezept.

 

Zwei Fotoschaffende, die Sie speziell schätzen?

Ich bin nie vorbereitet auf diese Art Fragen (lacht). Ich finde, dass Lisa Lurati einen sehr überraschenden Ansatz hat. Es war die erste Künstlerin, mit der ich eine Einzelausstellung realisiert habe. Sie kreiert ein sehr eigenständiges Universum, das in sich geschlossen ist und doch sehr überraschend bleibt. Es bereitet mir grosse Freude, ihre Arbeit zu verfolgen. Es geht bei ihrer Arbeit um die Beziehung des Menschen zur Umwelt, aber auf sehr poetische Art und Weise. Die Kunst wird bei Lurati zu einer Form des Reparierens. Ich möchte auch Anne Morgenstern erwähnen. Ich werde sie in meiner ersten Ausstellung in Genf präsentieren. Sie hat eine visuelle Sprache, die absolut einzigartig ist. Sie hat eine grosse Sensibilität und betreibt durch die Fotografie eine Art Recherche rund um Repräsentation und Identität.

 

Können Sie bereits etwas sagen 
über diese erste Ausstellung, die sie in Genf realisieren werden?

Es wird die die erste Einzelausstellung von Anne Morgenstern sein und wohl auch das erste Mal, dass sie als Zürcherin in der Romandie gezeigt wird. Es geht um Verlangen, Körperlichkeit und Nonkonformismus. Ihre Arbeit ist sehr befreiend und emanzipatorisch. Morgenstern hat sehr unterschiedliche Menschen während langer Zeit fotografiert.

 

Wann wird Fotografie zu Kunst?

Für mich ist eine Fotografie Kunst, wenn sie das rein Nützliche überschreitet, eine andere Dimension betritt.

 

Haben die Sozialen Medien unsere Beziehung zur Fotografie verändert?

Die Fotografie wird immer mehr zum Kommunikationsmittel. Ich stelle das bei mir selbst fest. Anstatt etwas zu notieren, mache ich ein Foto. Es ist alles sehr demokratisch geworden. Jeder und jede kann heute ein gutes Selfie machen.

 

Was ist das letzte Foto, das Sie gemacht haben?

Ich habe den Blumenstrauss fotografiert, dem man mir zu meinem Abschied geschenkt hat.

 

 

Zur Person

  • Danaé Panchaud ist 1983 in Vevey geboren und in einem kleinen Dorf in der Nähe von 
Fribourg aufgewachsen.
  • Sie ist Museologin, Kuratorin und Dozentin.
  • Sie hat unter anderem in 
London gelebt und ihr dortiges Studium 2017 mit einem Master in Museologie abgeschlossen.
  • Sie war von 2018 bis 2021 
die Leiterin des Photoforum Pasquart. Neu ist sie die Direktorin des Centre de la photographie Genève. hl

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