Sie sind hier

Abo

Mein Montag

«Ich würde gerne einmal eine Schweizer Hochzeit fotografieren»

Bei Szenen die an Bollywood-Filme erinnern, ist er der Mann hinter der Kamera. Wochentags arbeitet Nadarasa Jeevakanth in einer Gravurfabrik. An den Wochenenden fotografiert er tamilische Feste.

Im Hintergrund glitzert die Dekoration. Partyfotograf Nadarasa Jeevakanth für einmal vor der Linse. Bild: zvg
  • Dossier

Aufgezeichnet: Mengia Spahr

Ich heisst mit vollem Namen Nadarasa Jeevakanth aber schreiben Sie Jeeva, sonst erkennen mich meine Schweizer Kollegen nicht. Sie sagen mir "iewa", richtig wäre "iiwa". Es stört mich jedoch überhaupt nicht, wenn man meinen Namen falsch ausspricht.
Von Montag bis Freitag arbeite ich bei «Schüll Gravuren» im Büro und an der Graviermaschine. In der kleinen Bieler Bude gravieren wir Schilder für Gebäudetechnik- und Industrieunternehmen sowie für Privatkunden. Wenn etwas gebaut wird, müssen sämtliche Rohre und Ventile angeschrieben werden. Da kommen unsere Plaketten zum Einsatz. Gravieren ist nicht einfach. Man muss die Schilder richtig einspannen, den richtigen Text eingeben, den richtigen Fräser auswählen und die Tiefe der Gravur richtig einstellen.

Mein grosses Hobby ist die Fotografie. Als ich vor über zehn Jahren bei «Schüll Gravuren» die Stelle antrat, ging ich mit meiner Kamera zum damaligen Chef . Dieser fotografierte selber viel. Er zeigte mir vieles und schickte mich in der Pause los, um Fotos zu machen. So habe ich immer mehr gelernt. Es braucht Zeit, bis man gut wird, bis man die Kameraeinstellungen kennt und mit den Lichtverhältnissen umgehen kann. Ich mache alles manuell.

Auch mit dem jetzigen Chef ist das Verhältnis super. Wenn ich einen Fotoauftrag erhalte – auch ganz spontan – heisst es immer «ist gut, du kannst frei machen». Meine Brüder und ich betreiben «ATJ Photo und Video Swiss». Wir werden gebucht für Geburtstage, Hochzeiten und Erstkommunionen, wie sie christliche Tamilen feiern. Oder für eine Puberty Ceremony, mit der Hindus bei Frauen den Übertritt ins Erwachsenenalter zelebrieren. Beim Filmen ist mein Bruder hinter der Hauptkamera. Er hat damit schon Mitte der neunziger Jahre begonnen. Wir machen vor allem Hochzeitsvideos, dazu benutzen wir auch Drohnen – kann man alles mieten. Pro Jahr haben wir normalerweise 10 bis 15 grosse Aufträge. Wegen Corona läuft natürlich gerade nichts. Im letzten Jahr fotografierten wir vielleicht drei Feiern.

Meine Mutter, meine vier Geschwister und ich kamen 1993 während des Kriegs in die Schweiz. Ich war sieben Jahre alt. Damals gingen viele meiner Verwandten nach Deutschland oder Kanada ins Exil. Einige haben Sri Lanka auch schon vorher verlassen. Mein Vater kam bereits 1984 hierher. Eine Familie aus dem Kanton Baselland hat ihn bei sich aufgenommen. Sie hat an die Verwaltungen geschrieben, ihm geholfen Arbeit in Lyss zu finden und die Familie nachzuholen. Wir durften dann alle im Haus dieser Familie wohnen. Der Mann brachte uns Kinder zur Schule. Mein Vater pendelte. Um seinen Arbeitsweg zu verkürzen, zogen wir schliesslich nach Nidau, wo ich noch heute mit meinen Eltern, meinen Schwestern, meinem Bruder, meiner Frau und unserem Kind lebe.

Als Kind verbrachte ich sämtliche Schulferien bei der Familie in Baselland. Sie hatten kein Auto und wenn wir dort waren, gingen wir wandern. Wir haben wohl alle Berge in Baselland erklommen. Für uns war alles neu und ich war noch klein. Das war super: Draussen herumrennen – da ist man frei. Heute fahre ich viel Velo.

In Nidau musste ich eine Klasse wiederholen – wegen der Sprache. Jeden Mittwochnachmittag, wenn ich schulfrei hatte, besuchte ich eine Familie in Port. Die Frau half mir bei den Hausaufgaben. Unsere Freunde aus Baselland hatten den Kontakt hergestellt. Mein Vater hat immer gearbeitet und für die ganze Familie gesorgt. Wir Kinder haben uns dann wirklich Mühe gegeben, auf eigenen Beinen zu stehen. Alle haben einen Beruf erlernt. Ich habe das Bürofachdiplom und anschliessend die kaufmännische Ausbildung gemacht.

Mein Schwager betreibt hauptberuflich einen Partyservice mit tamilischem Essen. Oft sind wir am selben Ort im Einsatz. Ich spielte auch schon mit dem Gedanken, die Partyfotografie zum Beruf zu machen, aber wenn ich sehe, wie gross der Konkurrenzdruck ist, kann ich es mir nicht vorstellen, davon leben zu können. Deshalb ist es gut, wie es ist. Man fotografiert für Verwandte und Kollegen, kriegt etwas dafür und bleibt befreundet. Normalerweise sortiere ich nach einem Fest die Bilder aus und bearbeite sie. Doch manche Auftraggeber wollen einfach, dass ich ihnen die Speicherkarte abgebe. Diese schicken sie nach Sri Lanka oder Indien, dann werden die Fotos dort bearbeitet.

Zu tamilischen Festen sind oft zwischen 200 und 500 Gäste eingeladen. An meiner Hochzeit waren es etwa 400 Personen. Viele kannte ich nicht persönlich, weil es sich um Kollegen meines Vaters handelte. Früher wurde nicht so gefestet wie heute. Geburtstage werden erst seit 10 oder 15 Jahren gross gefeiert. Ich weiss nicht genau, weshalb das in Mode gekommen ist. Die Fotografie spielt wahrscheinlich eine Rolle. Viele wollen Bilder von sich, die sie auf Facebook und Instagram veröffentlichen können. Gerade die Jugendlichen mögen das. Ganz neu sind Baby-Shower-Feste bei schwangeren Frauen. Das kommt wohl aus Amerika.

Die Vorbereitungen für die Partys sind aufwendig und teuer. Man muss einen geeigneten Saal mieten – etwa eine Mehrzweck- oder Turnhalle –, Essen und Getränke organisieren, Dekorationen anbringen und natürlich Fotografen buchen. Dazu gibt es Musik: DJs, Karaoke oder Livemusik. Ich selber trinke keinen Alkohol, aber das sehen nicht mehr alle so streng. Es gibt oft alkoholische Getränke für die Jüngeren.

Als Fotograf bin ich manchmal die ganze Zeit auf der Bühne. Da muss man sich gut kleiden. Wir Männer ziehen Hemden an. Die Kleidung der Frauen ist spektakulärer. Sie tragen Sari, sind geschmückt und geschminkt. Es gibt in der Region tamilische Kleiderläden, in denen sie die Kleider ausprobieren. Das braucht manchmal schon etwas Zeit, bis sie eine Wahl getroffen haben.

Am liebsten fotografiere ich Hochzeiten. Diese bieten verschiedene interessante Szenen und die Braut ist immer wunderschön. Hochzeiten sind aber auch am aufwendigsten in der Vorbereitung. Die Feier beginnt manchmal schon morgens um fünf und dauert bis am Abend. Das ist anstrengend, aber auch schön. Es ist lustig, manchmal merke ich gar nicht, wie schnell der Tag vorbei ist. Gerne würde ich auch für Feste von Schweizerinnen und Schweizern gebucht werden. Ich möchte beispielsweise gerne einmal eine Schweizer Hochzeit fotografieren.

Immer am Montag erzählen Menschen aus der Region, 
wie sie ihren Alltag erleben.

Stichwörter: Mein Montag, Fotograf, Hochzeit

Nachrichten zu Biel »