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Oberflächenphysik

Interdisziplinarität als Klebstoff

Feinste Klebstoffgitter verbessern die Restaurierung von Kunstwerken. Die Methode wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Institut Alps und der Hochschule der Künste der Berner Fachhochschule weiterentwickelt.

Patrick Schwaller zusammen mit Mona Konietzny (links) und Karolina Soppa. Bild: zvg
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Marc Schiess

Stellen Sie sich vor, ein Stück Geschichte in Form eines historischen Gemäldes liegt vor Ihnen. Der Wert des Bildes ist unschätzbar hoch. Sie stehen nun vor der delikaten Aufgabe, die abgelöste Leinwand wieder anzukleben. Wir Laien würden nun wohl zur Tube Cementit oder gar zur Heissleimpistole greifen und damit am Kunstwerk einen Schaden anrichten, der sich nicht rückgängig machen liesse.

Deshalb gibt es Menschen wie Mona Konietzny und Karolina Soppa. Die beiden lehren und forschen an der Hochschule der Künste Bern (HKB) in der Vertiefung Konservierung und Restaurierung von Gemälden und Skulpturen. Ein Teil ihres Berufes besteht darin, Lösungen für spezifische Probleme zu finden, die beim Restaurieren eines Werks auftreten. Sie wissen, dass die Hitze des Leims aus der Heissklebepistole das Gemälde beschädigen und die Malschicht deformieren könnte. Oder dass flüssige Klebstoffe stark in das Gewebe einziehen können, es damit versteifen und sogar schneller degradieren lassen. Doch moderne Restaurierung von Gemälden sollte möglichst minim in den Originalzustand eingreifen und dabei mindestens 50 Jahre halten. Weiter sollte sich das Material möglichst wieder komplett entfernen lassen.

Weltweites Interesse an den Klebstoffgittern
Die Lösung sind Klebstoffgitter. Für die Restauratorinnen fertigt die APM Technica AG eine Gussform für ein 0,3 Millimeter feines Gitter. Das auf Klebstoffe spezialisierte St. Galler Unternehmen stellt die Gitter aus drei alterungsbeständigen, klar definierten Klebstoffen mit unterschiedlichen Löslichkeitseigenschaften her. Damit haben die beiden Restauratorinnen der HKB für ihre Zwecke ein Produkt, das den herkömmlichen flüssigen Klebetechniken weit überlegen ist. Das Interesse für die neuartigen Klebstoffgitter ist auf Fachkonferenzen weltweit spürbar. Nicht nur in der Gemälderestaurierung, auch im Bereich Papier, Textil und bei anderen Materialien wie Holz stellt sich die Problematik des Klebens. Die Nachfrage ist so gross, dass die APM Technica AG zum Ziel hat, die Klebstoffgitter dereinst industriell herzustellen.

Interdisziplinarität 
als Lösung
Doch die quadratischen Strukturen haben einen Nachteil. Oft weisen die Leinwände der alten Gemälde ebenfalls längliche oder gar quadratische Strukturen auf. Das führt dazu, dass der Klebstoff nicht mehr perfekt regelmässig verteilt wird.

Als Mona Konietzny (siehe Interview unten) bei einem interdisziplinären Mittagessen zwischen der Hochschule der Künste sowie dem Institut Alps der Berner Fachhochschule BFH das Problem erläutert, horcht Patrick Schwaller auf. Der Professor für Oberflächenphysik leitet am Departement Technik und Informatik das Institute for Applied Laser, Photonics and Surface Technologies Alps. Schwaller und sein Team sind sich gewohnt, interdisziplinär zu arbeiten: Ihre Partner stammen vom klassischen Maschinenbau über die Uhrenindustrie bis zur Medizinaltechnik. Für das Modifizieren eines Blechblasinstruments arbeitete das Alps-Team auch mit Musikern der HKB zusammen. Schwaller denkt bei der Fragestellung von Mona Konietzny an ein Fertigungsverfahren, welches er in seinen Forschungsprojekten nutzt.

Qualität als Herausforderung
Kurz darauf beschäftigen sich die beiden mit der Version 2.0. Auf Anraten von Konietzny werden die feinen Klebstofflinien nun hexagonal angeordnet. Die Bienenwabenformen verhindern künftig, dass Klebstoff ausschliesslich auf dem Gewebe zu liegen kommt oder nur in den Zwischenräumen landet. Die hexagonale Geometrie kann jedoch mit den bis anhin verwendeten Verfahren nicht in genügender Qualität hergestellt werden.

Genau auf solche Aufträge ist die Infrastruktur von Alps ausgelegt: Die Oberflächenspezialisten zeichnen die Struktur neu und stellen mittels fotolithographischer Verfahren innert einer Woche die optimierten Gussformen her. Etwas länger wird es noch bis zur industriellen Marktreife dauern: Ob brasilianische Gemälderestauratorinnen und indonesische Konservatorinnen bald ihre Kunstwerke mit den HKB-APM-Klebstoffgittern verstärken, ist vorderhand noch Zukunftsmusik.

Kompetenzen zusammenbringen
Sicher ist hingegen: Die niederschwelligen, informellen Treffen zwischen den einzelnen BFH-Departementen sind beliebt und werden noch etliche Fortsetzungen erfahren. Patrick Schwaller und sein Team vom Alps sind dafür sehr offen und tauschen sich zum Beispiel auch mit den Werkstoff-Fachleuten vom Departement Architektur, Holz und Bau AHB aus.

Der Professor für Oberflächenphysik sieht denn in der Interdisziplinarität und im Geist an der BFH eine grosse Stärke: «Es ist selten, dass es derart leicht ist, so unterschiedliche Kompetenzen an einem Ort zu finden und zusammenzubringen». Dann gehe es meist sehr schnell: «Wir fangen niederschwellig an und sind direkt genug, zu sagen: Komm, wir probieren mal.»

Link: www.hkb.bfh.ch/de/forschung/referenzprojekte/klebstoffgitter

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Mona Konietzny ist Senior-Assistentin Konservierung und Restaurierung an der BFH-Hochschule der Künste: Ein Gespräch über Authentizität und digitale Restaurierung.

Mona Konietzny, wie viel des Materials eines alten Gemäldes, zum Beispiel der über 500 Jahre alten Mona Lisa, ist normalerweise noch original?
Mona Konietzny: Da sind sicher noch Bestandteile original, aber als Besucher ist nicht klar, was original ist, wenn man einmal draufschaut. Oftmals sind diese alten Kunstwerke schon sehr stark beschädigt. Viele Kunstwerke in Museen haben Überarbeitungen oder zumindest Restaurierungen erfahren, die dafür sorgen sollen, dass man als Besucher ein geschlossenes Erscheinungsbild des Kunstobjekts erhält. In der Skulpturenrestaurierung ist es etwas anders, da akzeptiert man mittlerweile auch Fehlstellen. Leinwände, wo nur noch einzelne Schollen drauf sind, sieht man hingegen noch fast nicht. Hier arbeiten wir daran, dass wir das Original soweit schätzen lernen, dass wir auch einen beschädigten Zustand als erhaltenswert und ästhetisch empfinden können. Weil das viel authentischer ist.

Sind nur noch Fragmente erhalten, geht doch der eigentliche Inhalt des Bildes verloren?
Das kann sein.

Das spielt dann keine Rolle?
Es kommt drauf an, was man als erhaltenswert empfindet: Ist es das Material selbst oder ist es der Inhalt? Beide tragen dazu bei, dass ein Kunstwerk «funktioniert», sowohl die Idee als auch das künstlerische Material sind essentiell. Würde es also eine Verfälschung bedeuten, wenn ich es rekonstruieren würde? Wenn die Rekonstruktion zum Beispiel Formen vervollständigt, die Lesbarkeit einfach verbessert, ohne dass ich viel interpretiere, ist das vertretbar. Unser Ziel ist, dass wenn wir etwas hinzufügen, es lesbar ist. Die Restaurierung bleibt sichtbar als Restaurierung.

Wie zeigt sich das?
Das Verfahren wird seit etwa 70 Jahren entwickelt. Man setzt zum Beispiel für Retuschen kleine Punkte oder kleine Striche, die im normalen Betrachterabstand als geschlossene Schicht erscheinen und die originale Malerei behutsam ergänzen, um sie lesbar zu machen. Bei kürzerer Distanz sieht man dann die Ergänzung. So machen wir unsere Arbeit transparent. Auch die Klebstoffgitter (siehe Artikel oben, Anm. der Redaktion) sind eine tolle Sache. Die bleiben als nachträgliche Zutat auch erkennbar.

Wann muss eine Leinwand verklebt werden? Was für eine Rolle spielt der Leim?
Zum einen bei älteren Verklebungen, die sich an den Randbereichen lösen. Oder bei neuen Leinwandverklebungen, wenn das Textil so fragil geworden ist, dass es seiner Trägerfunktion nicht mehr nachkommen kann. Die Leinwand unterliegt Alterungsprozessen: Das Gewebe versprödet, es wird brüchig. Um es zu stabilisieren, wird es hinterklebt. Das heisst, man klebt ein anderes Textil, eine zweite Leinwand oder ein Vlies, darauf. Der Leim ist dabei die Brücke.

Wie verwenden Sie die in der BFH entwickelten Klebstoffgitter genau?
Die Klebstoffgitter werden auf der Klebestelle platziert und erst dann mit einem Lösemittel oder mit Wärme aktiviert.

Was sind die Vorteile?
Einerseits wird der Klebstoff sehr homogen verteilt, was sonst nicht möglich ist. Anderseits können wir die Klebkraft durch die Aktivierung einstellen. Je nachdem wieviel Lösemittel oder Wärme man draufgibt, klebt es stärker oder schwächer, es ist kontrollierbar und einstellbar, in der Regel auch besser reversibel.

Fast eine exakte Wissenschaft also?
Das ist unser Anspruch, deswegen sind wir auch eine Wissenschaft. Wir testen an standardisierten Geweben. Jetzt ist aber jedes Kunstwerk anders – die Gewebestruktur, die Materialien, die Alterung. Oft sind noch ältere Klebeschichten drauf, die das Eindringverhalten auch beeinflussen. Wir haben Anhaltspunkte, testen diese dann aber deswegen noch an winzig kleinen Stellen des Originals.

Ist die Digitalisierung bei der Restaurierung von Kunstwerken ein Thema?
Bei uns spielt die Digitalisierung für die Veranschaulichung von möglichen Rekonstruktionen eine Rolle. Beispielsweise gab es in Dresden ein Porträt eines Reformators, der kein Gesicht mehr hatte. Man trug verschiedene seiner Porträts zusammen und machte daraus digital eine Art Durchschnittsgesicht. Mittels winziger Farbteile auf dem Original konnten die Proportionen rekonstruiert und das Ganze gemerged werden. Heute wird auch die digitale Retusche verwendet, die ohne das Original zu beschädigen, darauf projiziert wird. Interview: Marc Schiess

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