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Wochenkommentar

Ja, liebe Zürcherinnen und Zürcher, wir sind stolz

BT-Chefredaktor Bernhard Rentsch kontert im Wochenkommentar ein Biel-Bashing, erschienen im Magazin der "NZZ am Sonntag".

Bernhard Rentsch

 

Eine klassische Breitseite gegen Biel. Diese wurde am letzten Sonntag im Magazin der «NZZ am Sonntag» abgefeuert. Etwas irritiert akzeptieren wir sie. Von Nehmerqualitäten spricht man dabei im Boxen, davon, dass wieder aufsteht, wer fällt. Auch das ist Biel.

Unter dem Titel «Nicht sauber, nicht leistungsorientiert und auch noch stolz darauf. Warum ist Biel so anders als der Rest der Schweiz? Und wie lange noch?» liefert Kollege Samuel Tanner das klassische Biel-Bashing. Auf immerhin acht mit grossformatigen Fotos ergänzten Seiten malt er ein Bild, das wir so vornehmlich aus der Zürcher Presse kennen, das aber dem wahren Kern nicht entspricht. Wenige Kontakte und wenige Standorte reichten dem Autor, der während seinem Studium am Literaturinstitut immerhin hier lebte, um so richtig in die Tasten zu hauen. Dem Vorwurf, nach einer Stippvisite zu urteilen, setzt er sich nicht aus. Dennoch ergibt seine Schreibe einen Verriss, wie man ihn weltweit über jede Stadt schreiben könnte. Die dunklen Ecken gibt es überall, Eigenbrötler und Lebenskünstler schlagen sich an ganz viel anderen Orten durchs Leben – auch in Zürich. Vielleicht wird bei uns halt jede und jeder geduldet und nicht versteckt. Vielleicht profitieren wir gar mehr von der Vielfalt, als dass diese uns schadet.

Viele bei uns nehmen das negative Image mit Gelassenheit und Humor, freuen sich an den wenigen positiven Passagen in einem Artikel sowie an einem Untertitel wie «Widerstandsnest». Ist doch gar nicht so schlecht mit Blick auf das, was in der «richtigen» Schweiz oder auf der weiten Welt passiert? Ganz PR-mässig ist anzufügen, dass nicht wichtig ist, wie über einen geschrieben wird – Hauptsache, es wird geschrieben. Ein ganz kleines bisschen beleidigte Leberwurst ist aber halt auch dabei.

Natürlich, Biel ist Meilen entfernt von der Perfektion. Biel ist nicht fertig, Biel ist an vielen Orten auch tatsächlich nicht wirklich sauber. Aber reicht dies, um ein gesamthaft komplett negatives Bild zusammen zu schustern? Reicht dies, um immer und immer wieder die Arbeitslosenquoten, die Kriminalstatistik und die Zahl der Sozialhilfebeziehenden zu bemühen? Könnte es nicht auch ganz anders tönen?

Biel ist weder Bundes- noch Kantonshauptstadt, Biel ist nicht Standort von Finanz- oder Pharmariesen. Doch ja, die Uhrenmetropole sind wir. Die Swatch Group, Rolex und viele andere weltbekannte Uhrenbrands werden mit der Seelandmetropole in Verbindung gebracht. «Biel ist etwas und nicht nichts» steht irgendwo im zitierten Artikel. Ja, genau. Man könnte zum Beispiel auch eine frisch gemähte Wiese auf dem Strandboden zeigen, den Verlauf der Schüss im Schüsspark, den modernen Kulturraum «Nebia», die Tissot Arena oder viele Landschaften in und um Biel. Jedoch: Auch da findet man immer wieder Abfall, komische Gestalten oder gar Nebel. Denn auch für dieses triste Wetterphänomen müssen wir hinhalten. Immerhin: Es soll Menschen geben, die Stimmungen im Nebel besonders attraktiv finden.

Das Verprassen von Vermögen ist keine Kunst – jede und jeder, der sich dem hergibt, muss früher oder später den Gürtel enger schnallen. Bei uns wird seit jeher auf kleinerem Feuer gekocht, da sind wir wenigstens ehrlich. Und wenn Grossprojekte wie der A5-Westast oder Agglolac zwar hart, aber immer fair und mit Anstand diskutiert werden, kann man das interpretieren, wie man will. Wir nennen es Diskussionsbereitschaft oder Demokratie. Wir nennen es ein Zusammen, im welchem die Starken und die Schwachen zu Wort kommen, in welchem oft der Kompromiss als «goldener Weg» gilt.

Ist es Neid, ist es Schadenfreude, ist es Mitleid? Was auch immer, wir brauchen nichts davon. Es geht uns gut, merci. Wer hierbleiben will, ist gerne willkommen. Wer gehen will, auch gut.

Übrigens: Es werden längst nicht alle Bielerinnen und Bieler diese Zeilen gut finden und eher der «Wahrheit» der «NZZ am Sonntag» huldigen. Kein Problem – auch Meinungsvielfalt gehört zu den Qualitäten einer Kleinstadt, die alles andere als perfekt, aber halt wirklich stolz ist.


brentsch@bielertagblatt.ch

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