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Schulserie

«Jetzt bin ich sorgenfrei»

Im Sommer war Jeroen Müller ganz auf Autos eingestellt. Dann zog es ihm im Praktikum beim Zimmermann den Ärmel rein. Und jetzt hat er bereits eine Lehrstelle auf sicher.

Probelauf: 9.-Klässler Jeroen Müller übt hier das Bewerbungsgespräch. Bei der Lehrstellensuche kurz darauf überspringt er es glatt. Bild: Pedro Rodrigues

Janosch Szabo

Jeroen Müller, Schüler der Realklasse 9A des Oberstufenzentrums Mett-Bözingen, hat sich diesen Herbst auf die Überholspur begeben. Schneller als viele andere und abseits des Konkurrenz-Gerangels fand er für sich die ideale Lehrstelle. Man könnte auch sagen: der Beruf fand ihn. Er jedenfalls - ganz auf Automobilmechatroniker fokussiert - wusste darüber bis vor Kurzem nichts.

Zimmermann? Seine Mutter schlug es ihm vor, als er Ende Sommer auf Praktikumssuche war und mal noch in andere Berufsfelder reinschauen wollte. Jeroen klopfte bei der Habegger Bau AG in Bözingen an und bekam prompt eine Zusage für ein Schnupperpraktikum in der Abteilung Holzbau. Das war im September. Jetzt, zwei Monate später, sitzt er im Pausenraum derselben Firma und sagt rückblickend: «Es hat sich herausgestellt, dass ich geeignet wäre für diesen Beruf.» Weil das gar sachlich klingt, sollte man noch wissen: Jeroen sieht dabei sehr zufrieden aus. Er ist einfach kein Mann der grossen Töne.

Der Auftritt

Dabei hat er durchaus Beachtliches erreicht: durch sein Auftreten und motiviertes Mitarbeiten überzeugte er bei Habegger innert weniger Tage derart, dass ihm kurzum eine Lehrstelle versprochen wurde. «Jeroen ist gerühmt worden, als einer, der mitdenkt, mitanpackt und Ausdauer hat», sagt Simon Blaser, der im Betrieb für die Ausbildung verantwortlich ist. Er weiss das von den Arbeitern, mit denen der Jugendliche im September auf verschiedenen Baustellen war und mit denen er auch jetzt in einer zweiten Praktikumsphase wieder unterwegs ist. Selbst erlebe er ihn als freundlichen, hilfsbereiten, interessierten und aufgeweckten jungen Mann, so Blaser.

Dazu kam: Jeroen lieferte ein tadelloses Dokumentationsheft von seinem Praktikum ab. Wie alle Schnupperlehrlinge bei Habegger hatte er darin von jedem Arbeitstag einen Eintrag zu machen, musste Maschinen benennen, am letzten Tag einige mathematische Aufgaben lösen und schliesslich aufgrund minimaler Pläne einen sogenannten Zimmermannsknoten aus Holz herstellen. Simon Blaser sagt: «Was dabei herauskommt, sagt für uns viel aus über das räumliche Vorstellungsvermögen und das handwerkliche Geschick des Betreffenden.» Das aus dem Zeugnis herauszulesen, sei schwierig. Und: «Auch den Jugendlichen ist die Dokumentation eine Stütze. Sie integrieren sich dadurch im Betrieb, schon nur weil sie mit Mitarbeitern sprechen müssen, um an gewisse Informationen ranzukommen. Eine Woche lang nichts reden, geht hier nicht.»

So sagte Blaser am Ende der Woche zu Jeroen: «Wir sehen dich als Zimmermann.» Dieser ging daraufhin beschwingt in die Auswertungswoche, die Klassenlehrer Michel Laffer und Kollegin Fabienne Galli organisiert hatten. In einem Lagerhaus in Les Prés-d'Orvin hiess es für ihn und seine Klassenkolleginnen und Klassenkollegen: Standortbestimmung, Rückblick und Ausblick. Dazu gehörten auch Einzelgespräche. Lehrer Laffer eröffnete: «Die Rückmeldung zu deiner Woche als Zimmermann war ja der Hammer.» «Ja», erwiderte Jeroen, «und mir hat das Arbeiten dort eindeutig am meisten Spass gemacht.» Einmal sei er beim Zusammensetzen von Wänden dabei gewesen, einmal beim Einsetzen von Holzfaserplatten auf einem Dach, an einem anderen Tag hätten sie einen Boden in einem Haus angefangen. «Mir gefällt es, so zu arbeiten - viel draussen und immer wieder auf anderen Baustellen.» Die Berufe Koch und Zweiradmechaniker, in die er ja ausserdem reingeschaut habe, seien beide nichts für ihn. Deshalb, so Jeroen: «Mein Plan A ist jetzt ganz klar Zimmermann. Menschlich war es bei Habegger auch sehr gut, sie investieren viel Zeit in die Lehrlinge, schauen, dass man etwas zu arbeiten hat. Ich möchte mich dort für eine Lehrstelle bewerben.» Er sagte das sehr überzeugt. Laffer antwortete: «Ich hab ein gutes Gefühl, Jeroen.» Es sollte sich bewahrheiten.

Das Angebot

Einzig: Wäre Jeroen etwas schneller gewesen, hätte es noch besser kommen können. Denn erst einmal liess er Zeit verstreichen. Und als er dann sein Bewerbungsschreiben einreichte, hatte die Habegger Bau AG die Lehrstelle für 2014 justum vergeben. So blieb nur mehr die Möglichkeit, dem Jugendlichen, den man ja gerne einstellen wollte, eine Lehrstelle für 2015 anzubieten. Das Spezielle daran: Habegger garantiert Jeroen, den Platz für ihn freizuhalten. Er kann sich derweil jederzeit lösen. Einzige Bedingung: im nächsten Sommer muss er definitiv Bescheid sagen, ob er die Stelle antreten wird oder nicht. Simon Blaser sagt dazu: «Wir wollen ihm einerseits Sicherheit geben, andererseits die Offenheit lassen, sich weiter umzusehen. Er befindet sich in einer wichtigen Phase des Lebens. Die Berufswahl beeinflusst die gesamte Zukunft eines Menschen.»

So wurde es Jeroen eröffnet. Und dieser zögerte nicht lange. Bald darauf sass er mit seinen Eltern bei Simon Blaser und Fritz Salzmann im Büro, um Details zu klären. Besprechung statt Bewerbungsgespräch. So schnell kann es gehen. Thema war beispielsweise die kurz bevorstehende Anpassung der Zimmermanns-Lehre von drei auf vier Jahre. Zur Sprache kam aber auch das Zwischenjahr nach der obligatorischen Schulzeit, das Jeroen bevorsteht. Es nutzen, um im Ausland Französisch oder Englisch zu lernen, schlug Blaser vor. Der 9.-Klässler aber überlegte es sich anders und hat sich unterdessen entschieden, das 10. Schuljahr zu machen. Die simple Begründung: «Schulisch sollte ich mich noch etwas steigern.»

Wieder klingt das sehr überzeugt. Lehrer Laffer freuts: «Ich werde Jeroen bedingungslos für das 10. Schuljahr empfehlen.» So positiv, wie er gegenüber dem Lernen eingestellt ist, sei das keine Frage. Schon im Sommer vor einem Jahr, beim Wechsel der Lehrkräfte, habe Jeroen die Chance gepackt und angefangen, Vollgas zu geben. Wie überzeugend und schnell er nun eine Lehrstelle fand, hat aber auch Laffer überrascht. «Das ist eine richtige Erfolgsstory», sagt er und hofft, sie möge einen positiven Effekt auf die Klasse haben. «So etwas mitzubekommen, kann auf die anderen überschwappen und für viele beflügelnd sein. Andererseits kann es auch einen höheren Druck auf die Mitschüler ausüben, welche noch nichts haben. Es geht nun darum, diese aufzufangen, zu ermutigen und eng zu begleiten.»

Und Aufwind können jene, die jetzt kurz vor ihren ersten Bewerbungsgesprächen stehen, gebrauchen. Hinstehen und für sich Werbung machen, verlangt Mut. «Für die Jugendlichen ist das etwas ganz Neues», sagt Fabienne Galli zu diesem Schritt aus dem Klassenverband hinaus in die Berufswelt - «plötzlich ganz auf sich gestellt zu sein.» Deshalb sei es in der Intensivwoche in Les Prés-d'Orvin vor allem darum gegangen, ihnen das nötige Selbstvertrauen zu geben und das Wissen, wie das Ganze abläuft - bis in die Details notabene. Also von der Zusammenstellung eines idealen Bewerbungsschreibens bis hin zur Bedeutung des Händedrucks. Einen kompletten Postenlauf, um sich in die einzelnen Elemente zu vertiefen, hatte die Lehrerin dafür aufgebaut. In Rollenspielen übten und reflektierten die Schüler daraufhin x-fach, was sie gelernt hatten. Fabienne Galli sagt rückblickend: «Ich bin überzeugt, dass sie davon profitiert haben und damit für kommende Vorstellungsgespräche gewappnet sind.»

Die Entscheidung

Der Ernstfall wird es zeigen. Insbesondere jene Buben der Klasse, die in die Automobilbranche wollen, stellen sich dabei einer grossen Konkurrenz. Sie bewegen sich in einem Umfeld, in dem es weit mehr Bewerber gibt als Lehrstellen. Den Test des Automobilgewerbeverbands haben sie unterdessen absolviert und wissen daher, ob sie sich als Automobilassistent, -fachmann oder als -mechatroniker bewerben können. Nun gilt es, auch persönlich zu überzeugen. Dazu gibt Michel Laffer seinen Schülern mit auf den Weg: «Geht beim Betrieb persönlich vorbei, verlangt den Ausbildungsverantwortlichen und drückt ihm das Dossier mit einem Selbstwertgefühl, das Eindruck macht, in die Hand.» Nur so könne man sich von der grossen Masse abheben und hervorstechen.

Oder man macht es wie Jeroen: wendet sich von den Top Ten der beliebtesten Berufe ab, findet etwas anderes, das einem zusagt, zeigt Einsatz und erhält, mit noch etwas Glück, prompt eine Lehrstelle versprochen. «Jetzt bin ich sorgenfrei, habe nicht mehr diesen Druck», sagt der 9.-Klässler. Er wirkt dabei sehr zufrieden.

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