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Biel

Jetzt wird neu gerechnet

Der Campus Technik der Fachhochschule wird deutlich teurer als erwartet. Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) hütet sich davor, jetzt eine Zahl zu nennen.

Campus-Baugrube: Anstelle von Bauarbeiten dürfte hier im Sommer eine Zwischennutzung starten.  copyright: mattia coda/bieler tabglatt

Tobias Graden

Um dem Schlamassel auf den Grund zu kommen, war viel Aufwand nötig. 20000 Seiten Submissionsunterlagen habe man durchforstet, sagt Bernhard Gysin von der Dietziker Partner Baumanagement AG, die im Auftrag des Kantons die Geschichte des Campus der Berner Fachhochschule (BFH) in Biel durchleuchtet hat. Die Frage lautete:Was hat dazu geführt, dass die eingehenden Offerten von Totalunternehmungen um bis zu 125 Millionen Franken über den vom Kanton vorgegebenen Kostenrahmen lagen, sodass dem Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG) nichts anderes übrig blieb, als die Ausschreibung letzten September abzubrechen?

Die Gründe
Die kurze Antwort lautet: Vieles. So viel und an so vielen Ecken und Enden, dass es gar nicht möglich ist, die einzelnen Punkte zu rangieren, ihnen einen Frankenbetrag zuzuweisen und eindeutige personelle Verantwortlichkeiten festzustellen.
Die längere Antwort fällt ausführlicher aus. Die gestern von Bernhard Gysin vorgestellte Expertise umfasst 49 Seiten. Die Gründe für die massive Überschreitung des Kostenrahmens sind multifaktoriell, doch lassen sie sich laut den externen Experten in sieben Hauptursachen unterteilen:
• Hohe Ansprüche ans Gebäude: Der architektonisch attraktive Campus soll grossteils aus Holz gebaut werden, muss unterschiedlichste Nutzungen ermöglichen, viele Räume sollen flexibel nutzbar sein.
• Kostentreibende Projektänderungen: Während des Verfahrens seien immer wieder Vorgaben geändert worden, oder es gab neue zu berücksichtigen – beispielsweise jene, Holz aus dem Berner Staatswald zu verwenden.
• Enge Termine: Termine wurden «unrealistisch eng» gesetzt, was zu «überlappenden Planungen» geführt habe.
• Anspruchsvolle Projektorganisation: Das Amt für Grundstücke und Gemeinden arbeitet bei Grossprojekten mit externen Spezialisten zusammen, etwa im Controlling. Wegen knapper personeller Ressourcen habe das Amt dieses «bezüglich möglicher Terminrisiken und Mängel zu wenig eng begleiten können».
• Offene Rechtslage: Die Rechtsunsicherheit (fehlende Baubewilligung, laufendes Enteignungsverfahren) habe für die offerierenden Unternehmen ein wesentliches Kostenrisiko dargestellt – was sich sich entsprechend in den offerierten Preisen niederschlug.
• Knappe Kostenziele: Die Kosten seien von Anfang an zu optimistisch kalkuliert worden. Alle involvierten Experten hätten diese unterschätzt, zumal für den komplexen Bau keine Vergleichszahlen verfügbar seien.
• Detaillierte Ausschreibung: Um den engen Terminplan einhalten zu können, seien zu viele Details festgelegt und damit der (allenfalls kostensenkende) Spielraum der offerierenden Unternehmen zu stark eingeschränkt worden.

Die Forderungen
Bernhard Gysin drückt es mit einer Analogie aus der Autobranche aus:«Man hat einen VW gerechnet, aber einen Bentley bestellt.» Bereits werden denn auch politische Forderungen nach einer Redimensionierung laut. Die SVP verschickte gestern noch vor dem Mittag ein Communiqué, in dem sie der Erwartung Ausdruck verleiht, «dass der Steuerfranken so eingesetzt werden kann, wie dies die Steuerzahlenden erwarten». Das Projekt sei zu redimensionieren und es seien «realistische Planungshorizonte» zu schaffen. Die Verwendung von Schweizer Holz sei «selbstverständlich», auf «verteuernde statische Bauexperimente» sei aber zu verzichten. Herbert Binggeli, Rektor der BFH, wehrt sich allerdings gegen die Darstellung, man habe einen «Leuchtturm» bestellt (vgl. Interview rechts).
Gysin spricht vom «Fluch der ersten politischen Zahl»: Der Campus sei zu Beginn zu knapp berechnet worden, doch wenn einmal eine Zahl wie die 240 Millionen Franken in die Welt gesetzt sei, sei sie aus dieser nicht mehr wegzuschaffen. Im Gegenteil: Der Reflex in der Politik laute vielmehr, ob der Bau nicht auch günstiger gelinge. Die Experten von Dietziker haben jedenfalls die Submission auch gerechnet und kamen auf ähnliche Zahlen, wie sie in den Offerten der Totalunternehmen zu finden sind.

Das weitere Vorgehen
Was nun? Das gesamte Projekt wird neu aufgegleist, es kommt zu einem umfassenden Relaunch. Der Regierungsrat hat eine Taskforce eingesetzt, welche die Projektarbeiten begleitet. Diese haben im April begonnen. Jeder Stein wird nochmals umgedreht, und dabei wird nach Möglichkeiten zur Kostensenkung gesucht. So wird beispielsweise untersucht, inwiefern etwa bei tragenden Elementen des Baus Beton statt Holz zu verwenden ist. Auch auf das ursprünglich angestrebte «Gold-Label» gemäss «Standard für Nachhaltiges Bauen Schweiz» soll verzichtet werden.
Bereits jetzt ist aber klar, dass der Campus nicht ohne Nachkredit realisierbar sein wird. Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) hütet sich angesichts des deutlich gewordenen «Fluchs der ersten Zahl» davor, bereits jetzt Aussagen darüber zu machen, wie hoch dieser ausfallen wird: Es werde sich um eine ein-, zwei- oder dreistellige Millionenzahl handeln. Der Baudirektor dürfte die Vorlage mit der Forderung nach einem personellen Ausbau des AGG verknüpfen. Dieses betreue heute mit 60 Personen ein jährliches Investitionsvolumen von 150 Millionen Franken. «Im Vergleich zu anderen kantonalen Hochbauämtern liegen wir damit an der unteren Grenze», so Neuhaus. Um alle anstehenden Grossprojekte bewältigen zu können – die BFH plant etwa auch einen Campus in Bern –, brauche es mehr Ressourcen.
Nötig werden aber auch organisatorische Änderungen sein. Neuhaus betonte gestern, es gebe nicht den einen Verantwortlichen – im Wissen, dass letztlich er die politische Verantwortung trägt. Die Experten von Dietziker formulieren es so: «Die notwendige Phase der Überarbeitung sollte in einem Setting umgesetzt werden, das alle Beteiligten mit entsprechenden Kompetenzen und kurzen Wegen unter klarer Führung einbindet.» Angesichts seines gestrigen Auftritts an der Medienkonferenz ist also davon auszugehen, dass Kantonsbaumeister Angelo Cioppi nun ganz klar der «Mr. Campus» sein wird.

Der Zeitplan
Die Verzögerung auf den Terminkalender ist erheblich. Statt wie geplant 2022 soll der Campus nun 2025 bezugsbereit sein. Für Cioppi ist dies das realistische Szenario – bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass es sich dabei um das derzeit bestmögliche handelt. Denn neben all den erwähnten Schwierigkeiten gibt es ja auch noch das Enteignungsverfahren gegen den Besitzer der letzten noch stehenden Liegenschaften auf dem Campus-Areal. Dieses ist noch nicht abgeschlossen. Sollte das Verwaltungsgericht der Stadt Biel das Enteignungsrecht absprechen und würde der Immobilienbesitzer in einem neuen Verfahren wiederum – wie er dies bislang getan hat – alle Rechtsmittel ausschöpfen, ist eine weitere Verzögerung um mehrere Jahre denkbar. Schlimmstenfalls könnte der Campus dann erst 2029 bezogen werden.
Abgeschlossen sind dagegen die von zwei beteiligten Totalunternehmen angestrebten Verfahren, die Beschwerde gegen den Abbruch der Ausschreibung eingereicht hatten. Sie haben die Fälle nicht weitergezogen.
 

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