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Biel

Jugendbande hält Polizei in Atem

Ein junger Mann aus La Chaux-de-Fonds ist am Sonntagmorgen in Lausanne tödlich verletzt worden. Die Tat steht im Zusammenhang mit zwei verfeindeten Jugendbanden aus dem Neuenburger Jura und der Stadt Biel.

Grosseinsatz am Bieler Bahnhof: Am Sonntag ist es in einem Zug von La-Chaux-de-Fonds nach Biel zum Streit gekommen. Bild: zvg/Vincent Donzé

Anabelle Bourquin/pl/lsg

«Die Kumpel in La Chaux-de-Fonds kochen vor Wut. Das Ganze wird noch in einem Blutbad enden», glaubt Mehdi*. Er steht der Jugendgang «47» im Neuenburger Jura nahe und trauert um seinen 20-jährigen Freund. Der Kongolese starb am frühen Sonntagmorgen nach einer Auseinandersetzung mit der verfeindeten Bieler Bande «2CZ» in Lausanne.

Nun befürchtet Mehdi eine weitere Eskalation der Gewalt in der Seeländer Uhrenmetropole: «Sein Tod wird neuen Hass entfachen», ist er sich sicher. Die Rivalität zwischen den beiden Jugendgangs besteht seit Jahren. Als mehrere Mitglieder der «47er» im Gefängnis sassen, hatte sich die Lage beruhigt. Einige von ihnen hätten einen ordentlichen Lebensentwurf entwickelt, weiss der Neuenburger Insider.

Angereist, um zu kämpfen?

In der Nacht von Samstag auf Sonntag war eine Gruppe der streitbaren Chaux-de-Fonniers nach Lausanne gefahren, um dort zu feiern. Auch Mitglieder der Bieler «2CZ» befanden sich an diesem Abend allenfalls eher zufällig in der Waadtländer Kantonshauptstadt. Eine blutige Abrechnung zwischen den verfeindeten Gangs war offenbar nicht geplant. Mehdi stützt sich auf Aussagen der Familie des Opfers und bestätigt: «Unsere Leute wollten nur Party machen. Als die Bieler davon Wind bekamen, lauerten sie ihnen auf und zettelten eine Schlägerei an.»

Ob geplant oder nicht, die Begegnung der Rivalen endete böse. Ein Teil der «47er» war schon auf dem Heimweg. «Nur drei Mitglieder hielten sich noch in Lausanne auf, als sie von den Seeländer «2CZ»-Leuten angegriffen wurden», berichtet Mehdi. Die Diskussion sei ausgeartet, als ein Bieler das Messer zückte. «Mein Freund stellte sich dazwischen und erhielt einen tödlichen Hieb», so der Informant. Ein anderer Beteiligter, ein 21-jähriger Portugiese aus Le Locle, wurde nach Angaben des Neuenburgers vom selben Angreifer schwer an einem Bein verletzt. Sein Leben ist nicht in Gefahr. Nach der Tat seien die Bieler geflüchtet.

Der mutmassliche Täter ist 19 Jahre alt. Er wurde inzwischen von der Polizei angehalten. Der junge Mann ist strafrechtlich bekannt: Er hat soeben eine Haftstrafe für verschiedene Delikte, darunter Entführung und Freiheitsberaubung, abgesessen. Er soll nach der Entlassung eine elektronische Fussfessel getragen haben. Die Behörden konnten diese Massnahme allerdings nicht bestätigen.

Mehdi ist überzeugt, dass der getötete Kongolese auf dem Weg zur gesellschaftlichen Eingliederung war. Zwar kam auch er gerade aus dem Gefängnis, wie sein verletzter Kumpel aus Portugal. Beide hatten an der Entführung eines Bielers teilgenommen. «Aber sie waren nicht nach Lausanne gereist, um Streit zu suchen. Der eine hat sein Leben geopfert, um den anderen zu retten», bekräftigt Mehdi. Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass die beiden Jugendgangs seit Jahren Hass gegeneinander schüren.

Die «47er» benennen sich nach der Summe der zwei ersten Stellen der Postleitzahlen von La Chaux-de-Fonds (2300) und Le Locle (3400). Die Gruppierung besteht angeblich aus rund 40 Personen im Alter zwischen 10 und 25 Jahren. Es soll keinen Anführer geben; Eingeweihte berichten von einem «Führungskreis». Die Bezeichnung «2CZ» der Bieler Bande leitet sich ebenfalls von der Postleitzahl (2500) ab: «2 Cinq Zéro» oder zu Deutsch: «2 fünf null».

Die anhaltende Gewalt zwischen den beiden Gangs hat mehrfach für Schlagzeilen gesorgt: Es gab eine Schlägerei mit zwei Verletzten im Bahnhof Biel. Im November verlor ein 15-jähriges Mitglied der «47er» das Leben bei einem Unfall in Sugiez. Er war unter einen Zug geraten, als er gemeinsam mit Bandenmitgliedern auf dem Weg nach Murten war, wo eine Abrechnung mit den «2CZlern» stattfinden sollte.

Und Personen aus dem Umfeld der Bieler Bande lieferten sich am letzten Halloween und an Silvester in der Innenstadt Strassenschlachten mit der Polizei. Ebenfalls vergangenen Sonntag, also kurz vor der tödlichen Auseinandersetzung in Lausanne, kam es in Biel zu einem Grosseinsatz der Polizei am Bahnhof. Dies, weil Personen in einem Zug aus La Chaux-de-Fonds um Hilfe riefen, die sich bedroht fühlten, wie die Pressestelle der Kantonspolizei Bern bestätigt. Ausgangspunkt war auch hier offenbar ein Streit zwischen den verfeindeten Gangs – die Polizei hat am Bahnhof in Biel zahlreiche junge Männer kontrolliert und zwei leicht verletzte Personen mit auf die Polizeiwache genommen.

Entführungen und Schüsse

Im Frühling rächten sich die «47er» für einen missglückten Entführungsversuch durch die Bieler: Die Neuenburger entführten ihrerseits eine Person aus dem Kreis der «2CZ» im Kofferraum eines Autos. Daraufhin sannen die Seeländer abermals auf Rache. Sie stürmten einen Linienbus in La Chaux-de-Fonds, nachdem sie darin ein Mitglied der «47er» erkannt hatten. Bei der Aktion wurde eine Schreckschusspistole abgefeuert, was Panik unter den Passagieren auslöste. Der junge «47er» wurde von den «2CZlern» aus dem Bus entführt.

Mitte September hatten die rivalisierenden Gruppen eine Auseinandersetzung beim Fluo-Festival in Neuenburg geplant. Der Zusammenstoss wurde gemäss einer polizeilichen Quelle «vereitelt». Nach dem Todesfall in Lausanne befürchtet Mehdi eine neue Gewaltspirale: «Ich bin besorgt. Es kommt mir vor, als wolle jeder der Erste sein, der die Stadt des anderen zerstört.»

*Name der Redaktion bekannt.

 

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Die blutige Nacht von Lausanne

Am frühen Sonntagmorgen ist in Lausanne ein junger Neuenburger gestorben. Er erlag den Verletzungen, die er sich bei einem blutigen Streit in der Nacht zugezogen hatte. Beim Vorfall wurde eine zweite Person, die ebenfalls aus dem Kanton Neuenburg stammt, schwer verletzt.

Einer Meldung der Waadtländer Polizei ist zu entnehmen: «Kurz nach 4 Uhr alarmierte eine Personengruppe im Quartier Le Flon die Rettungsdienste, weil es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihr und anderen Personen gekommen war.»

Vor Ort trafen die Polizisten auf zwei stark blutende Verletzte. Die Ordnungshüter leisteten bis zum Eintreffen der Ambulanzfahrzeuge Erste Hilfe. Die Männer wurden in Spitalpflege verbracht. Der erste, ein 20-jähriger Bürger der Demokratischen Republik Kongo, erlag seinen Verletzungen im Thoraxbereich im Universitätskrankenhaus Chuv. Das zweite Opfer erlitt eine schwere Verwundung an einem Oberschenkel. «Sein Leben ist nicht in Gefahr», so Michel Gandillon von der Lausanner Stadtpolizei. Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung eröffnet. mhe/pl

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