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Biel

«Jugendliche unterstützen – das ist unser Job»

27 Jahren hat Charlie Schaller in der Villa Ritter gearbeitet. Nun geht der Jugendanimator in Pension. Der gelernte Maurer war massgeblich an der Renovation des Jugendtreffs beteiligt. Möglicherweise wird er noch in zehn Jahren positive Feedbacks erhalten.

Maurer, Polier, Vikar, Gassenarbeiter in Paris: Charlie Schaller hat viel gesehen und gemacht, bevor er Jugendarbeiter wurde. Mit ihm verliert die Bieler Villa Ritter eine Institution. Bild: tanja lander/bieler tagblatt

Pierre-Yves Theurillat/rw

Der 65-jährige Charlie Schaller ist die Galionsfigur der Villa Ritter. Nun verlässt der Kapitän sein Schiff. Die Pensionierung macht ihm keine Angst und er nimmt das Ganze mit Humor: «Die Gefahr, dass ich mich langweile, besteht nicht. Jugendliche hatte ich inzwischen zur Genüge», scherzt er.

Fast Priester geworden

Im Jahr 1975 wurde der Jugendtreff gegründet. Dieser war zuerst in der Villa Fantaisie angesiedelt, bevor 1979 die Villa Ritter zum neuen Standort gewählt wurde. Im April 1989 wurde Charlie Schaller als Jugendanimator angestellt. Der gelernte Maurer arbeitete anschliessend als Polier. 1983 wurde der Handwerker, der über einen eidgenössischen Fachausweis als Baupolier verfügte, in Moutier zum Vikar ernannt.

Statt sich zum Priester weihen zu lassen, heiratete er. Aus der Ehe gingen zwei Kinder – ein Knabe und ein Mädchen – hervor. Die beiden sind inzwischen 29 und 27 Jahre alt. Der aus Corban im Val Terbi stammende Charlie Schaller verliess Courrendlin und liess sich in Loveresse nieder, wo er bis heute wohnt. Sechs Monate nach seinem Stellenantritt in der Villa Ritter wurde der Lehrer Michel Oeuvray ebenfalls als Jugendanimator eingestellt.

Beide gelangten als Handwerker zum Einsatz, als das neue Gebäude erstellt wurde. Dieses wurde im Jahr 2007 eingeweiht. Die Zusammenarbeit von Charlie Schaller und Michel Oeuvray sollte über 20 Jahre dauern.

«In erbärmlichem Zustand»

«Als ich meine Stelle antrat, befand sich das Haus in einem erbärmlichen Zustand. Man hatte den Eindruck, als würde es sich um ein besetztes Haus beziehungsweise einen Schlupfwinkel für Drogenabhängige handeln. Wir wurden auf allen Ebenen kritisiert und stellten fest, dass die Villa Ritter ein neues Image erhalten musste. Entweder musste sie neu aufgebaut werden oder wir mussten uns für einen anderen Standort entscheiden. Die Villa war eine Ruine. Ich war überall am Ausbessern», erinnert er sich. Als der Besitzer Konkurs machte, kauften die beiden Sozialarbeiter das Gebäude.

Im Laufe der Jahre nahm die Zahl der Besucher in der Villa Ritter ständig zu. Die Jugendlichen diskutierten, übten sich in Rap oder Breakdance oder spielten Billard, Tischfussball oder Pingpong. «Wir hatten es mit Hunderten von Jugendlichen zu tun. Die jungen Erwachsenen, die uns am Anfang aufsuchten, waren anders als diejenigen von heute», stellt er fest. Charlie Schaller führt diese Veränderung unter anderem auf das Internet und den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel zurück: «Die Begegnungen sind virtueller geworden.»

Manche wurden berühmt

Zu seinen Schützlingen gehörten auch der Künstler Seyo oder der Profi-Schlagzeuger Luigi Galati. «Galati war übrigens vor meiner Ankunft in der Villa Ritter anzutreffen und er ist immer noch da. Inzwischen erteilt er den Jugendlichen Schlagzeugunterricht», berichtet er.

Verschiedene Jugendliche in der Villa Ritter hätten Erfolgsgeschichte geschrieben. «Einer wurde zum Besitzer und Direktor einer Fabrik. Bis im Alter von 23 Jahren war die Villa Ritter sein grösstes Hobby. Ein anderer ist beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten tätig. Andere wiederum hatten leider nicht dieses Glück. Sie starben an einer Überdosis oder bei einem Unfall», so Schaller.

Charlie Schaller stellt fest, dass die Dankbarkeit manchmal auf sich warten lässt. «Die positiven Feedbacks erhalten wir manchmal 10 oder 15 Jahre später.»

«Keine Lektionen erteilen»

Für Schaller ist klar: «Die Adoleszenz ist eine heikle Phase. Man lehnt vieles ab, hat wenig Bezugspunkte. In dieser Zeit stellen die Jugendlichen fest, dass Rahmen stabilisierend wirken können. Einer dieser Rahmen kann sein, sich gegenseitig treffen zu können.» Die Jugendlichen seien darauf angewiesen, dass man sie unterstütze und ihnen zuhöre. «Das ist unser Job», so Schaller. «Wir müssen anwesend sein und Ratschläge erteilen. Unser Zentrum ist nicht obligatorisch wie die Schule. Wir sind nicht da, um ihnen Lektionen zu erteilen. Die Jugendlichen sind hier, um sich diese selber zu holen.»

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«Charlie Schaller hinterlässt uns ein tolles Erbe»

Zum Nachfolger von Charlie Schaller ist Vincent Beuret ernannt worden. Der aus den Freibergen stammende Erzieher lebt seit zehn Jahren in Biel. Seit Januar steht er in der Villa Ritter im Einsatz. Beuret verfügt über einen Master in Sozialarbeit und einen CAS in Gesundheitsförderung und Prävention. Bis zu seinem Stellenantritt in der Villa Sutter war er in der Schulsozialarbeit in Madretsch tätig. «In der Villa Ritter geniessen die Jugendlichen viele Freiheiten. Die Villa steht allen offen. Wir wissen, dass sie unsere Grenzen testen werden. Ich bin aber überrascht, wie sehr sie den Ort respektieren. Hier wird rege über die kulturellen Unterschiede der Jugendlichen diskutiert», so Beuret. Obwohl das Zentrum eigentlich französischsprachig sei, werde es auch von vielen Deutschschweizern aufgesucht. «Charlie Schaller hinterlässt uns ein tolles Erbe», sagt der neue Sozialarbeiter. Und weiter: «Wir arbeiten an einem interreligiösen Projekt. Dieses soll den Jugendlichen die Gemeinsamkeiten zwischen den drei grossen monotheistischen Religionen aufzeigen. Es entwickelt sich gut.» pyt/rw

Link: www.villa-ritter.ch

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