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Biel

Kampf um Zusammenhalt zu Legislaturbeginn

Das Stadtparlament startet heute Abend mit seiner ersten Sitzung in die neue Legislatur. Und es gibt Baustellen: Die Bürgerlichen kämpfen gegen die Aufsplitterung der Kräfte, um nicht an Einfluss zu verlieren. Dabei ist auch die Ratslinke mit sich selber beschäftigt. Dass sich die PSR von der SP-Fraktion loslöst, steht weiterhin im Raum.

Treffen in der Burg: Das im vergangenen Herbst gewählte Bieler Parlament tagt heute zum ersten Mal. Die Vorbereitungszeit hat nicht jeder Fraktion gereicht, um alle offenen Fragen zu klären. Daniel Mueller

Lino Schaeren

Heute beginnt der neue Bieler Stadtrat mit seiner ersten Sitzung die Legislatur 2017 – 2020. Er tut dies in neuer Konstellation: Bei den Wahlen im vergangenen September ist mit den Sitzgewinnen der Linken eine Pattsituation entstanden. «Eine Konstellation, vor der alle Respekt haben», sagt Stefan Kaufmann, Präsident der FDP-Fraktion.

Dies gilt für die bürgerlichen Kräfte im Stadtparlament umso mehr, nach dem die Parti Radical Romand (PRR) zum Jahresbeginn bekannt gegeben hat, sich von der FDP-Sektion abzuspalten und eine eigene Fraktion zu gründen. «Wir müssen aufpassen, dass die Bürgerlichen nicht auseinanderdividiert werden», sagt Kaufmann. Die Sorge, dass mit einer Verzettelung der Linken in die Hände gespielt wird, ist präsent.

Keine Zukunft für Kleinstfraktion?

Die Frage, wie man künftig zusammenarbeiten will, wurde vergangene Woche auch bei einem Treffen von rechten und bürgerlichen Parlamentariern diskutiert, zu dem die SVP eingeladen hatte. Wie können die Bürgerlichen, neu aufgeteilt auf die Fraktionen FDP, PRR und BDP/EVP, auch künftig koordiniert gemeinsame Nenner finden? Wohl in gemeinsamen Fraktionssitzungen. An diesem Montag jedenfalls haben FDP und PRR die erste Ratssitzung der Legislatur wie bisher zusammen vorbereitet.

Mit dabei war auch Andreas Sutter (BVP), der nach der Wahlniederlage der Mitteparteien mit BDP-Vertreter Reto Gugger und den beiden EVP-Stadträten die Fraktion BDP/EVP gebildet hat (das BT berichtete). Nach dem Treffen vergangene Woche kam er aber offenbar ins Grübeln. Diese Fraktion sei «ein Experiment», sagt Sutter, er erwägt nun die Möglichkeit, sich den FDP-Vertretern anzuschliessen, auch wenn «die Wahrscheinlichkeit klein» sei.

Von den Überlegungen Sutters überrascht wurden Christian Löffel (EVP) und Reto Gugger. Löffel sagt, für ihn sei immer klar gewesen, dass sich die neue Fraktion nach den ersten Monaten in der neuen Amtszeit hinterfragen werde, er gehe aber zumindest davon aus, dass man nun in der vereinbarten Viererbesetzung starten werde. Sollte Sutter abspringen, wäre die Fraktionsstärke nicht mehr gegeben. Die EVP, in der vergangenen Legislatur noch zusammen mit FDP, PRR und EDU im Stadtrat organisiert, wollte sich mit der neuen Zusammensetzung in Richtung Mitte orientieren.

Die Fraktion BDP/EVP trifft sich heute noch vor der ersten Ratssitzung zu einer Besprechung, um die offenen Fragen zu klären. Sutter sagt: «Ich gebe zu, meine Gedanken zur optimalen Zusammenarbeit kommen relativ spät.»

Auch wenn die Fraktion BDP/EVP bestehen bleibt, dürften deren Vertreter auch künftig gemeinsam mit FDP und PRR die Sitzungen abhalten. Eine eigene Fraktion zu bilden, sei taktischer Natur, sagt Sutter, es gehe um mehr Sichtbarkeit und um frühere Präsenz in den Debatten durch den Fraktionssprecher.

PSR fehlt im Präsidium

Nicht nur bei den Bürgerlichen gibt es am Tag der ersten Ratssitzung noch Unklarheiten. Die SP-Fraktion hat zwar am Dienstag Dana Augsburger-Brom als Fraktionspräsidentin im Amt bestätigt. Die Frage, ob die Parti Socialiste Romand (PSR) dem Beispiel der PRR folgt und sich von der SP-Fraktion lossagt, bleibt aber unbeantwortet. Caroline Jean-Quartier, bislang als PSR-Vertreterin als Vize im SP-Fraktionspräsidium, hat jedenfalls keine Lust mehr, dieses Amt weiter auszuüben. Den Verzicht Jean-Quartiers bestätigt auch Augsburger-Brom: «Die PSR-Vertretung im Fraktionspräsidium ist im Moment noch vakant, soll jedoch raschmöglichst besetzt werden», sagt sie. Ob dies geschehen wird, ist aber offen.

Jean-Quartier sagt, die Zusammenarbeit in dieser Zusammenstellung im Präsidium fortzusetzen, sei für sie nicht möglich gewesen, «ich wollte das nicht mehr machen». Auch eine andere Nomination sei für die PSR-Stadtratsvertreter nicht infrage gekommen. Als Grund gibt sie an, dass die Zusammenarbeit in der Fraktion derzeit «ganz schwierig» sei, nicht nur was die Fraktionsführung betreffe, sondern «ganz im Allgemeinen». Konkreter will Jean-Quartier nicht werden, wo fraktionsintern Differenzen bestehen, werde sie nicht öffentlich machen. Sie sagt nur, dass man als Minderheit, und damit meint sie die PSR, immer aufpassen müsse, gehört zu werden, was sich in den letzten vier Jahren als sehr schwierig herausgestellt habe.

Trotzdem beginnt die PSR die Legislatur heute gemeinsam mit der SP und der Juso in einer Fraktion. Die Frage, ob die welschen Sozialdemokraten aber bald eigene Wege gehen werden, beantwortet Jean-Quartier mit den gleichen Worten wie bereits am 3. Januar: «Es ist alles offen.» Damals hatte sie auf die Fraktionssitzung verwiesen, die am vergangenen Dienstag keine Klarheit gebracht hat.

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«Wir haben nach den Wahlen mehr Anspruch»

Die SP 
strebt einen dritten Sitz in der Geschäftsprüfungs-kommission an. Dieses Vorhaben könnte an der heutigen Stadtratssitzung für Wirbel sorgen.

Nach den Gesamterneuerungswahlen im vergangenen September haben sich die Fraktionspräsidenten getroffen und informell vereinbart, die Verteilung der Kommissionssitze auf die Fraktionen zu Beginn der neuen Legislatur nicht anzurühren. An diese Abmachung, die ohne Rücksprache mit den Fraktionen gemacht wurde, haben sich alle gehalten. Alle bis auf die SP. Diese will an der heutigen Ratssitzung einen zusätzlichen Sitz in der Geschäftsprüfungskommission (GPK) für sich beanspruchen.

Die Linke habe nach den Wahlen mehr Ansprung in den Kommissionen, begründet SP-Fraktionspräsidentin Dana Augsburger-Brom. Die SP/PSR/Juso-Fraktion hat deshalb mit Niels Arnold ein zusätzliches Mitglied für die GPK nominiert. Man wolle den GPK-Sitz, den man vor vier Jahren hat abgeben müssen, zurückholen, so Augsburger-Brom. Ein dritter Sitz für die SP wäre gleichbedeutend mit der Mehrheit in der siebenköpfigen GPK für die Ratslinke, da auch die Grünen einen Sitz für sich beanspruchen.

Mit ihrem Vorhaben stösst die SP auf bürgerlicher Seite auf Unverständnis. Er finde die Nomination der SP eine Anmassung, sagt FDP-Fraktionschef Stefan Kaufmann. «So gross war der Sieg bei den Wahlen nicht», sagt er. Kaufmann stört sich zudem daran, dass die SP den GPK-Sitz der Grünliberalen der rechts-bürgerlichen Ratsseite zurechne und nicht der Mitte. Die Bürgerlichen sehen die bisherige Verteilung der GPK-Sitze als ausgeglichen, während die SP die Konstellation als bürgerliche Mehrheit interpretiert.

«Schade, dass diese 
Legislatur so beginnt»

Die SP will also den GPK-Sitz von Sandra Gurtner-Oesch (GLP) oder jenen von Andreas Sutter (BVP) für sich gewinnen. Welchen der beiden Sitze man angreifen wolle, liess Augsburger-Brom gestern offen. GLP-Fraktionspräsident Max Wiher sagt, er würde das Vorgehen der SP bedauern: «Wir hatten ein Abkommen, das nun von der SP gebrochen wird.» Es sei schade, wenn die neue Legislatur so starte.

Ob das Vorhaben der stärksten Stadtratsfraktion eine Chance auf Erfolg hat, wird durch die Haltung der Grünen entschieden. Grünen-Fraktionspräsident Christoph Grupp sagte gestern, dass er das Wahlverhalten noch nicht definitiv kommunizieren könne, da die SP erst am Dienstag nominiert hat, während die Grüne Fraktion bereits am Montag zur Sitzungsvorbereitung zusammengetreten ist.

Keinen zweiten Sitz in der Geschäftsprüfungskommission nach den beiden Sitzgewinnen bei den Wahlen strebt die Fraktion SVP/Die Eidgenossen an, wie Präsident Pascal Fischer (Die Eidgenossen) sagt. Die Fraktion hat erneut Martin Scherrer (SVP) nominiert. Einen zweiten Sitz strebe man hingegen in der Kommission A5 an, sagt Fischer. In dieser hat bislang Martin Güdel (Die Eidgenossen) Einsitz. lsg

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In der Politik gibt es sie nur im Doppelpack

Mit Levin Koller und Miro Meyer nehmen ab heute zwei Juso-Vertreter im Bieler Stadtrat Einsitz. Die beiden, die sich selber am linken Rand der SP-Fraktion ansiedeln, wollen sich nicht in Zurückhaltung üben.

Sie sehen sich in der Rolle eines Wachhundes. Nach ihrer Wahl für die Bieler Jungsozialisten (Juso) in den Bieler Stadtrat nehmen Levin Koller und Miro Meyer heute an ihrer ersten Parlamentssitzung teil. «Wir werden der SP auf die Finger schauen», sagen der 22-jährige Koller und der 23-jährige Meyer. Die Vertreter ihrer Mutterpartei hätten in den vergangenen vier Jahren aus der Oppositionsrolle heraus im Stadtparlament eine gute linke Politik gemacht, attestieren die Jungpolitiker. Nach dem die Linke bei den Wahlen zulegen konnte und nun nicht mehr die Rolle der Ratsminderheit zu spielen habe, wolle man dafür sorgen, dass dies so bleibt.

Die Jungsozialisten hatten mit ihren beiden Sitzgewinnen bei den Bieler Wahlen vom vergangenen September massgebend zum Sieg der linken Parteien beigetragen. Man habe sich gedacht, dass man der Linken helfen könne, indem man bei den Jungen Wählerinnen und Wählern mobilisiere. Koller und Meyer hatten aber nicht mit einem derartigen Erfolg auf Anhieb gerechnet, schon gar nicht damit, dass es für beide reichen würde. «Die Wahrscheinlichkeit, dass wir beide gewählt werden, sahen wir bei fünf Prozent», sagt Koller. Denn Wahlen seien bei den Jungsozialisten eigentlich nicht so zentral. «Wir sind gut im Unterschriftensammeln», sagt Koller und lacht.

Dass Koller und Meyer jetzt im Stadtrat gemeinsam in Erscheinung treten, erscheint dennoch irgendwie logisch. Denn auf politischer Ebene gibt es Koller und Meyer eigentlich nur im Doppelpack.

Für starke städtische Institutionen

Die beiden lernten sich beim Unterschriftensammeln für die Schaffung des Bieler Jugendparlaments kennen und traten der Juso Bielingue bei. Es war der Einstieg in die aktive Politik für die damaligen Sekundarschüler. Die beiden teilten in den folgenden Jahren politische Ansichten – und Interessen. Koller und Meyer besuchten zusammen das Gymnasium am Bieler Strandboden, begannen gemeinsam das Studium der Umwelt- und Naturwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, an der sie derzeit den Masterstudiengang absolvieren. Den Wahlkampf bestritten sie in den sozialen Medien mit einem gemeinsamen Profil.

Doch für was stehen die beiden in Biel eigentlich ein? Für starke städtische Institutionen, sagt Meyer, Koller pflichtet bei und sagt, Privatisierungen gelte es um jeden Preis zu verhindern. Die beiden wollen sich für ihre junge Wählerschaft einsetzen, für Umweltschutz einstehen. Und für Freiräume kämpfen, die der alternativen Kulturszene und jenen zu Gute kommen, die sich ohne Profitabsichten für die Menschen einsetzen.

Die Bieler Jungsozialisten bereiten derzeit eine Initiative für die Zwischennutzung von leer stehenden Liegenschaften auf Bieler Boden vor. Die Unterschriftensammlung für die Gemeindeinitiative, die Institutionen wie «Stand up for Refugees» bei der Suche nach Räumlichkeiten unterstützen soll, werde bald beginnen. Meyer und Koller wollen sich von Beginn an im Bieler Parlament nicht in Zurückhaltung üben. Im Wahlkampf warben die Jungsozialisten mit dem Slogan «jung, laut, links», entsprechend wollen sich die beiden Gewählten nun Gehör verschaffen. Sich zu Wort melden, nur damit auch er etwas zu einem Geschäft gesagt hat, werde er aber nicht, sagt Meyer. «Uns ist wichtig, dann die unangenehmen Fragen zu stellen, wenn etwas unseren politischen Vorstellungen zuwiderläuft.»

Den Austausch weiterhin pflegen

Mit Provokation, so Koller, könnten sie nichts anfangen. Und Meyer sagt, er habe Mühe damit, sich selber als Politiker zu klassifizieren. Politik sei für ihn Mittel zum Zweck. «Ich mache Politik, um etwas verändern zu können, nicht, damit ich mich Politiker nennen darf.»

Heute begehen die beiden Jungpolitiker ihren Einstieg in die Parlamentsarbeit, sie wollen sich allerdings nicht nur darauf konzentrieren. «Wir hoffen, dass sich das politische Engagement jener, die uns gewählt haben, nicht auf das Einwerfen unserer Liste beschränkt», sagt Meyer. Eine Vertretung für die Jungen im Stadtrat sei zwar wichtig, ebenso aber auch, dass sich die junge Bevölkerung für Politik interessiere und mitrede. Jugendliche dazu zu animieren, am politischen Geschehen teilzuhaben, ist den beiden wichtig.

Am 4. Februar organisieren Koller und Meyer deshalb eine öffentliche Veranstaltung an der Murtenstrasse 33. Das Ziel: ein Meinungsaustausch. «Eine Möglichkeit für alle, sich einzubringen», sagt Koller. lsg

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Fraktionen und neue Stadträte

Folgende Fraktionen nehmen heute an der ersten Sitzung in der Legislatur 2017 - 2020 die Ratstätigkeit auf:

SP/PSR/Juso 19 Sitze

SVP/Die Eidgenossen 11 Sitze

Grüne 8 Sitze

FDP/EDU 7 Sitze

GLP 4 Sitze

PRR 4 Sitze

BDP/EVP 4 Sitze

Ohne Fraktion:

Bürgerbewegung Passerelle 2 Sitze

Partei der Arbeit 1 Sitz

11 Stadträtinnen und Stadträte nehmen heute erstmals im Bieler Stadtparlament Platz:

Sandro Bundeli (SVP)

Luca Francescutto (SVP)

Olivier Waechter (SVP)

Patrick Widmer (SVP)

Julien Stocker (GLP)

Susanne Clauss (SP)

Levin Koller (Juso)

Miro Meyer (Juso)

Maurice Rebetez (PSR)

Myriam Roth (Grüne)

Judith Schmid (PdA) lsg

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Heute wird gewählt

Der Bieler Stadtrat wählt heute das Stadtratspräsidium und die Kommissionsmitglieder.

  • Das Stadtratsbüro (Stadtratspräsident, Vizepräsidium und Stimmenzähler) wird gewählt; Hugo Rindlisbacher (Die Eidgenossen) wird zum neuen Stadtratspräsidenten und damit zum höchsten Bieler gewählt; das Amt wird er bis im April 2018 ausfüllen.
  • Geschäftsprüfungskommission (GPK): Die sieben Mitglieder sowie das Kommissionspräsidium und das Vize-Präsidium werden gewählt.
  • Kommission A5: Die neun Mitglieder sowie das Kommissionspräsidium und das Vizepräsidium werden gewählt.
  • Interkommunale Kommission Agglolac: Die vier Bieler Mitglieder und das Vizepräsidium werden gewählt; die neunköpfige Kommission setzt sich aus fünf Vertretern aus Nidau und aus vier Vertretern aus Biel zusammen.
  • Der Stadtrat wählt die Schulkommissionen (deutsche und französische).
  • Der Beauftragte für Datenschutz wird bestimmt.
  • Die Zuteilung der Direktionen für die Legislaturperiode 2017 - 2020 an die Mitglieder des Gemeinderats wird vorgenommen; der Gemeinderat unterbreitet dem Stadtrat den Vorschlag, in der Direktionszuteilung im Vergleich zur Legislatur 2013 - 2016 keine Änderungen vorzunehmen; der Vorschlag sieht also nebst Stadtpräsident Erich Fehr als Vorsteher der Präsidialdirektion Sivlia Steidle (PRR) als Finanzdirektorin, Beat Feurer (SVP) als Direktor Soziales und Sicherheit, Cédric Némitz (PSR) als Direktor Bildung, Kultur und Sport sowie Barbara Schwickert (Grüne) als Direktorin Bau, Energie und Umwelt vor; bis heute hat keine Regierungspartei Anspruch auf eine andere Direktion angemeldet. lsg

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