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Geschichte

Kartoffeln im Gurzelenstadion

Der Sportplatz Gurzelen – heute wie früher rege für sonntägliche Grümpelturniere oder Picknicks genutzt – wurde zeitweilig zum Kartoffelacker umgenutzt. Was heute abwegig erscheint, war in den Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges Normalität.

Während der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg ein Kartoffelacker: Das Gurzelenstadion. Bilder: zvg/Bruno Payrard/a
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Sabine Kronenberg

Schon in den 30er-Jahren, mit grossen wirtschaftlichen Einbrüchen, war die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr länger eine Selbstverständlichkeit. Sparen, Optimieren und sogar das Strecken von Lebensmitteln und Energiequellen gehörte zum Alltag. Nussschokolade, wie wir sie bis heute kennen, geht beispielsweise auf diese Mangelwirtschaft zurück: Nüsse streckten den teuren und raren Kakao und die Kakaobutter. Dem Kaffee wurde gerösteter Chicorée beigefügt. Beide Produkte findet man heute noch im Handel.

In den Kriegsjahren verschärfte sich diese Mangelwirtschaft weiter. Immer wieder wurde die Bieler Bevölkerung zum Sparen von Elektrizität und Kohle aufgerufen. Im Winter wurden die Busse in Biel nicht mehr beheizt. Lebensmittel und Energie wurden zunehmend kontingentiert. Die sogenannte «wirtschaftliche Landesversorgung», beziehungsweise deren Gewährleistung war bald in aller Munde. Die Befürchtung war gross, dass nebst der wirtschaftlich prekären Lage, je nach Kriegsverlauf sämtliche Importe versiegen könnten. Bereits war ein Gefälle zwischen Stadt und Land spürbar: Die Landbevölkerung litt weniger an der Mangelwirtschaft als die Stadtbevölkerung, da der Grossteil der Landbevölkerung sich immer noch weitgehend selbst versorgen konnte. Zwischen 1939 und 1940 hatte der Bund die Ackerfläche bereits um zusätzliche 37500 Hektare im Rahmen der Krisenbewältigung und Kriegsvorsorge erweitert. Mit dem Anbauplan Wahlen, benannt nach Friedrich Traugott Wahlen, einem Chefbeamten im Eidgenössischen Kriegsernährungsamt, kam die Idee auf, sich landwirtschaftlich wieder vollständig selbst zu versorgen. Die landwirtschaftliche Produktion sollte vermehrt auf Ackerbau setzen. So begann die Anbauschlacht.

In den Gemeinden sorgten die kommunalen Kriegsernährungsämter dafür, dass lokal Massnahmen zur Krisenbewältigung ergriffen wurden. In Biel kam es zu verschiedenen «Pflanzlandaktionen»: Die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung und Vertreter der Wirtschaft wurden zur Selbstversorgung mit Gemüse und Kartoffeln verpflichtet, «alle nicht in der Landwirtschaft beschäftigten und arbeitsfähigen Personen beider Geschlechter» sollten sich engagieren. Im Längfeld, auf der Champagne-Fläche, am Strandboden, im Mühlefeld, auf der damaligen Freifläche «Glacière», wo heute das Coop Center hinter dem Bahnhof steht und eben auf dem Gurzelensportplatz bewirtschafteten 20 anbaupflichtige Firmen, Freiwillige und Arbeitslose 45 Hektaren. Die Stadt stellte die Flächen zur Verfügung, die Anstalten Witzwil spendeten jeweils bis zu 5000 Setzlinge. Die Areale mussten oftmals, zumindest zu Erntezeiten, von «Flurwächtern» bewacht werden, um Diebstähle der reifen Lebensmittel zu verhindern. 1942 konnten so immerhin 58 Haushalte mit Gemüse und Kartoffeln versorgt werden. Die Landesversorgung und die Anbauschlacht wurden zum Symbol der Gemeinschaft und der Selbstbehauptung der Schweiz. Bis heute ist denn auch das Grosse Moos die «Gemüsekammer des Seelandes», eine Bezeichnung, die auf die prägende Zeit der Mangelwirtschaft und Anbauschlacht zurückgeht.

Und der Gedanke der Selbstversorgung wird wieder aktuell: Urban Gardening sorgt für ein Revival der Gemüsebeete im städtischen Raum, wenn auch aufgrund eines anderen Mangels: Abnehmende natürliche Ressourcen spornen heutige konsumsensible Kunden zum eigenen Anbau auch auf der Dachterrasse an. Der selbst angepflanzte Salat ist geradezu hip geworden.

Stichwörter: Gurzelen, Stadion, Geschichte

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