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Wochenkommentar

Kein Nein an die Romands – eher: jetzt erst recht

BT-Chefredaktor Bernhard Rentsch äussert sich im Wochenkommentar zur Zukunft der Zweisprachigkeit im Kanton Bern nach dem Entscheid in Moutier, in den Kanton Jura zu wechseln.

Bernhard Rentsch

Das Bild mit den rot-weissen Fahnen auf dem Bahnhofplatz in Moutier prägt die Erinnerung an die Ereignisse am letzten Sonntag: Die Kleinstadt im Berner Jura hat mit letztlich klarer Mehrheit an der Urne entschieden, nicht mehr bernisch zu sein. Die mit gelb und schwarz ergänzten Symbole fehlen, der stolze Berner Bär ist eingerollt und zottelt von dannen.

Das Ja mit 2114 gegen 1740 Stimmen für einen Wechsel zum Kanton Jura ist hoffentlich das definitive Ende eines jahrzehntealten Konflikts, der ausserhalb der Region nie so richtig nachvollzogen werden konnte. Wer nicht zu den direkt beteiligten Verliererinnen und Verlierern gehört, atmet auf: endlich.

Der Kanton verliert bis in rund fünf Jahren – so lange dauert nun der Transferprozess – also knapp 7500 Bürgerinnen und Bürger. Das mag auf die Bevölkerungszahl von über einer Million als Klacks gelten. Es fehlen auf einen Schlag aber auch 7500 französisch sprechende Bernerinnen und Berner. Die Konsequenzen für die Romands im Kanton Bern geben in der Folge entsprechend zu diskutieren.

Eine Minderheit wird somit noch minderheitiger. Allerdings – als Exkurs in die Welt des Sprachgebrauchs: Das Adjektiv minderheitig gibt es nicht, jedenfalls nicht für den Duden. Minderheitig ist also auch nicht steigerbar und fällt in die gleiche Kategorie wie schwanger, tot, positiv oder prozentual. Gemäss dieser Logik hat das Resultat keinen bedeutenden Einfluss auf die Minderheit der französisch sprechenden Menschen im Kanton Bern. Minderheit bleibt Minderheit.

Und diese Minderheit bleibt wertvoll. Und sie soll (noch) mutiger werden. Jetzt erst recht. Die Zweisprachigkeit im Kanton wird zuweilen als Lust und Last bezeichnet. Genauso, wie die Mehrsprachigkeit im kleinen Land Schweiz immer wieder zu Diskussionen anregt. Der Ertrag für die Gesellschaft ist allerdings grösser als der Aufwand. Das Ächzen beim Wörtli-Büffeln in der Schule, die zusätzliche Energie beim regelmässigen Sprachwechsel in zweisprachigen Regionen oder der Aufwand für Übersetzungen sind zu leisten, um den Mehrwert des Zusammenlebens zweier Kulturen zu fördern. Denn es sind nicht «nur» zwei Sprachen, es sind andere Gedankengänge, Einstellungen und Vorgehensweisen, die im täglichen Leben beiden Sprachgruppen begegnen und den Alltag bereichern. Das clichémässig Strebsame und Zielstrebige der Deutschschweizer ergibt mit einer Spur Laissez-faire der Romands die ideale Mischung. Es stünde uns respektive der ganzen Bevölkerung im Kanton Bern gut an, diesen Standortvorteil mit Stolz zu betonen und ihn nicht mit internen Grabenkämpfen zu torpedieren. Gerade die aktuelle Pandemie hat dem krisengeschüttelten Tourismus im Oberland gezeigt, dass «die Welschen» ja an sich gern gesehene Gäste sind, und zwar nicht allein aus wirtschaftlichen Überlegungen. Auch hier: viel mehr Miteinander als Gegeneinander.

Der Kanton Bern ist sich dieses Mehrwerts bewusst und schützt die Minderheit. Die Position als Brückenkanton zwischen Romandie und Deutschschweiz ist geografisch gegeben und zu fördern. Das Ja zur Zweisprachigkeit muss von Politik, Wirtschaft und der ganzen Bevölkerung weiterhin richtig eingeschätzt werden – auch ohne Moutier.

Biel als kleine Metropole am Jurasüdfuss und damit quasi das Eingangsportal zum französisch-sprachigen Teil im Kanton Bern muss und soll im Nachgang zum politischen Entscheid in Moutier nicht sofort reagieren. Biel ist und bleibt offen für die Anliegen der Menschen aus dem Berner Jura. Aber aufkommende Gelüste, auch für sie zur Zentrale zu werden, sind besser sehr defensiv zu bewirtschaften. Die Gemeinden zwischen dem Seeland und dem Kanton Jura sollen sich vorerst selbstständig koordinieren und neu organisieren. Wenn im erwähnten mehrjährigen Transferprozess dann das eine oder andere Anliegen über die Bergketten schwappt, ist dies hilfeleistend mit Interesse zu prüfen. Seine Rolle im Kanton Bern definiert Biel nicht allein mit dem Berner Jura im Rücken – diese Rolle ist generell stets zu prüfen und zu stärken. Sich vermehrt politisches und wirtschaftliches Gehör zu verschaffen, ist ein Anliegen, das unabhängig von der Jurafrage als ständige Aufgabe für jede Region gilt. Uns hilft die Zweisprachigkeit.

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