Sie sind hier

Abo

Biel

«Kinder sind nicht kleine Erwachsene»

Ein zehnter Geburtstag ist eine feine Sache, besonders, wenn man Kind ist. Wie feiert eine Klinik wie das Bieler Kinderspital Wildermeth ihr zehnjähriges Bestehen, wenn sie nicht einfach ein Fest für Erwachsene machen will? Langweilig darf es nicht werden, soviel steht fest. Überraschend wurde man bei der Kinderbaustelle des Terrain Gurzelen fündig.

  • 1/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 2/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 3/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 4/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 5/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 6/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 7/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 8/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 9/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 10/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 11/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
  • 12/12 Copyright: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt
zurück

Interview: Nandita Boger

Rodo von Vigier, das Kinderspital Wildermeth feiert sein zehnjähriges Bestehen am neuen Standort mit einer Kinderbaustelle auf dem Terrain Gurzelen. Welche Baustellen gibt es bei Ihnen?
Rodo von Vigier: Was uns derzeit sehr beschäftigt, ist die drastische Zunahme der Fälle in der Notaufnahme.

 

Welche Gründe gibt es dafür?
Es wird schneller ein ärztlicher Rat angefragt. Ich nenne es gelegentlich das «Syndrom der fehlenden Grossmutter». Früher wurde das Wissen über Gesundheit von Generation zu Generation weitergegeben. Heute ist zwar über das Internet sehr viel Wissen verfügbar, aber das schafft auch Unsicherheiten. Menschen wollen heute ihre Fragen sehr rasch beantwortet haben. Durch die Veränderung der Erwartungen müssen wir mehr Notfälle behandeln als früher. Das führt hie und da zu Baustellen bei den Ressourcen und Prozessen.

 

Sie sind seit 2012 Chefarzt Pädiatrie am Spitalzentrum in Biel. Was hat sich in der Kinderklinik unter Ihrer Führung verändert?
Das Spitalzentrum Biel hat ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem. Vor zwei Jahren haben wir nun noch das Sanacert-Qualitätslabel für familienorientierte Betreuung von Kindern und Jugendlichen erhalten. Im Zentrum steht die Verpflichtung, alle zehn Punkte der Charta der europäischen Vereinigung für die Rechte der Kinder im Spital einzuhalten.

 

Was noch?
Wir können Frühgeborene in der Neonatologie bereits ab der 32. Schwangerschaftswoche und ab 1250 Gramm Geburtsgewicht in unserer Klinik betreuen. Auch Frühgeborene, die im Inselspital in Bern zur Welt kommen, können früher zu uns zurückverlegt werden. Die wohnortsnahe Betreuung ist ein wichtiger Punkt für eine Kinderklinik. Deshalb ist es wichtig, dieses Angebot in unserer Region zu haben, obwohl die Anforderungen an Infrastruktur und Personal hoch sind.

 

Bei der Eröffnung 2008 galt die Kinderklinik als die modernste und schönste in der Schweiz. Ist sie das heute noch?
Die Kinderklinik ist ein sehr schöner Ort. Kinder und Eltern haben hier den notwendigen Platz und es gibt viel Licht und Farbe. Zudem sind wir bei Therapien und Behandlungen, die wir anbieten, absolut auf der Höhe der Zeit. Wir verfügen über nahezu alle technischen Möglichkeiten, die es derzeit gibt.

 

Was ist das Besondere bei der Führung einer Kinderklinik?
Die Rahmenbedingungen, die ein Kinderspital braucht, um dem Kind und seinem Umfeld gerecht zu werden, unterscheiden sich erheblich von denen einer Klinik für Erwachsene. Konkret bedeutet das, dass wir mehr Zeit, mehr Platz und mehr Personal brauchen. Aus diesem Grund sind die meisten Kinderkliniken defizitär.

 

Wie wirkt sich das aus?
Der Mehraufwand und der Mehrbedarf für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen werden im aktuellen Entschädigungssystem nicht genügend abgegolten. Dies ist ein gesamtschweizerisch und auch international wichtiges Thema. Der Aufwand, der in einer Kindermedizin betrieben werden muss, sollte von den Finanzierungssystemen angemessen berücksichtigt und entschädigt werden.

 

Was ist bei der Pflege von Kindern anders als bei erwachsenen Patienten?
Zentral ist: Kindermedizin tickt anders, denn Kinder sind nicht kleine Erwachsene! Zwei wichtige Punkte der Charta besagen, dass in einer Kinderklinik die Kinder von speziell geschultem Kinderpersonal betreut werden müssen und dass der Patientenweg eines Kindes vom Weg des erwachsenen Patienten absolut getrennt sein soll. Die Bedürfnisse von Kindern sind anders.

 

Wie sieht für Sie kinderfreundliche Gestaltung eines Spitalzimmers aus?
In jedem Zimmer muss es Platz haben für ein Elternbett. Auch das ist eine Bedingung der Charta: Das Kind hat Anrecht, jederzeit, Tag und Nacht, eine Bezugsperson bei sich zu haben. Ein Spitalzimmer in der Kinderklinik muss also grösser sein als ein Erwachsenenzimmer. Mit Licht, Platz, Farben und dem Zugang zu altersangepassten Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten sind die Voraussetzungen für ein kinderfreundliches Spitalzimmer erfüllt.

 

Wie können sich Eltern auf den Spitalaufenthalt ihres Kindes vorbereiten?
Für chirurgische Eingriffe laden wir Eltern und Kind zu einer Voruntersuchung ein. Das wird bewusst und systematisch gemacht, damit der Überraschungseffekt so gering wie möglich ist. In der Pädiatrie kommt aber die Mehrheit der Spitalaufenthalte über einen Notfall zustande. So besteht für die Eltern kaum die Möglichkeit, sich vorzubereiten. Eltern und Kind individuell angepasst zu unterstützen gehört aber zu unseren Kompetenzen.

 

Was ist Ihr persönliches Rezept, um einem Kind die Angst vor dem Spital zu nehmen?
Indem ich alles vermeide, was ihm Angst machen könnte. Das heisst, ich untersuche ein Kind auch, wenn es auf dem Schoss der Eltern sitzt, falls es die Nähe und Wärme der vertrauten Bezugsperson braucht. Wir verfügen zudem über ein grosses Repertoire an nichtmedikamentösen Massnahmen zur Schmerz- und Angstbehandlung. Dazu gehören auch Spielsachen und Ablenkung.

 

Was noch?
Ich versuche immer, altersgerecht zu informieren. Deshalb sind die Aktivitäten im Rahmen des Jubiläums auf der Kinderbaustelle so wichtig für uns. Unser Ziel ist es, früh Berührungsängste mit dem Spital abzubauen. Dafür nutzen wir jeden Anlass. Durch die Auseinandersetzung ist die konkrete Situation «Spitalaufenthalt» nicht mehr so beängstigend. Allerdings setzen wir beim Fest auf der Gurzelen lieber auf das Thema Gesundheit als auf Krankheit. Wir fördern das Wissen der Familien in Gesundheitsfragen. Damit unterstützen wir Menschen in ihrer Fähigkeit, gesund zu bleiben und Krankheiten vorzubeugen.

 

*************************

 

Vor zehn Jahren war die Kinderklinik Wildermeth eine Baustelle
1999 fusionierten das Regionalspital Biel und das Kinderspital Wildermeth zum «Spitalzentrum Biel». Genau 100 Jahre nach der Eröffnung des Kinderspitals Wildermeth, 2003, hiess dann der Grosse Rat den Kredit für das Neubauprojekt gut. Damit konnte die Fusion zwischen dem Regionalspital und dem Kinderspital auch baulich vollzogen werden. Für Um- und Neubau wurde ein Investitionskredit von 15 Millionen Franken gesprochen. Trotz vieler Herausforderungen und des Umbaus unter laufendem Betrieb konnte mit den Bieler Architekten Wahli Rüfli und Bauzeit Architekten ein ästhetisch und funktional überzeugendes Resultat erzielt und 2008 eingeweiht werden. Die äussere Form entstand aufgrund baurechtlicher Rahmenbedingungen. Im Innern wurden Farbe und Licht als Gestaltungselemente eingesetzt und grosszügige, spannende Verkehrsflächen geschaffen, die von den Besuchern auch zum Aufenthalt gerne genutzt werden.

 

*************************

 

Spielend lernen Kinder am besten
Gurzelen Drei Wochen lang haben Kinder gehobelt, gehämmert und gesägt, um ein Spital zu bauen. Ein Rundgang durch die daraus entstandene, etwas andere Klinik, gibt Einblick in die Hintergründe.
Sechs gelbe Bauhelme wuseln zwischen Absperrbändern und abenteuerlich aussehenden Holzkonstruktionen umher.  Unter den Helmen sechs Kinderköpfe, aufgeregt und mit glühenden Wangen. Ungeduldig rennen sie ihren Besuchern voraus. Sie sind die Baumeister des Kindespitals auf dem Terrain Gurzelen, und ihre Gäste sind die Kinderärzte der Kinderklinik Wildermeth.

Eine Woche vorher hatten die Kinder die Klinik besucht, und Fragen gestellt. Die erste Station des Rundgangs ist ein grosser Schrank, einem ausrangierten Kühlschrank nicht unähnlich. Hier würden die Medikamente aufbewahrt, erklären die Kinder. Warum denn direkt beim Eingang, werden sie gefragt. Das sei am praktischsten, so könne man sich einfach bedienen, lautet die Erklärung. Mit kindlicher Logik geht es weiter in das selbst gebaute Spital. Ein langer, luftiger, gewölbeartiger Bauteil wird als Warteraum betitelt. Eine Vorzone, nicht drinnen und nicht draussen, endlos scheinend, wie die Warterei, die hier stattfindet. Schliesslich erreicht man den «Vermessungsraum». Entlang der Aussenwände stehen Bänke, alle dürfen sich setzen. «Ich bin Doktor Philipp, ich operiere», «und ich bin Doktor Mathias, ich helfe, wenn es an den Ohren oder am Hals weh tut», stellen sich die beiden Ärzte vor. Und schon entspinnt sich mit den Kindern ein Gespräch.

Die Kinderbaustelle bietet Raum, im Freien auf selbstbestimmte und spielerische Weise Erfahrungen zu sammeln. Genau das sei der Grund für die Zusammenarbeit, erklärt Marie-Pierre Fauchère, Leiterin Kommunikation und Marketing des Spitalzentrums Biel. Die Intensität der Erfahrung sei förderlich für das Lernen. Es gehe darum, den Kindern Selbstvertrauen zu geben, und sie in ihrer Wahrnehmung der Gesundheit zu bestärken. Die Baustellensituation ist dabei Inspiration und fordert die Kinder heraus. Was man denn alles vermessen müsse, in einem Messzimmer, und wozu, werden die Erbauer gefragt.

Über das richtige Messen von Grösse und Gewicht landet man bei der richtigen Dosierung von Medikamenten. Und dem Wachstum von Knochen. Und dem Unfall des Kindes, das von einer Treppe gesprungen sei und sich dabei den Arm gebrochen habe. Die Kinder, die am Samstag die Baustelle besuchen, können hier weiterspielen, oder weiterbauen.

 

 

*************************

 

Das Programm auf dem Terrain Gurzelen

Am Samstag findet von 10 bis 16 Uhr auf dem Terrain Gurzelen das Fest zum zehnjährigen Bestehen der Kinderklinik Wildermeth statt.

- Parcours zu Gesundheitsthemen: Trampolin / Gips- und Nähatelier / Ambulanz / Physiotherapie-Parcours
- Spielen: Kinderbaustelle und Kinderspital
- Unterhalten werden: Zauberer / Musik / Clown / Überraschung
- Hunger und Durst stillen: Saftbar / Glace / Kafoj / Buvette Buibui
- Der Anlass richtet sich an Familien mit Kindern bis 13 Jahre

 

*************************

 

Nachgefragt

«Schon fast 
eine Institution»

Die Kinderbaustelle auf dem Terrain Gurzelen ist in ihrer vierten Saison. Vereinspräsident Marc Schütz erzählt von der ursprünglichen Idee und der Realisierung der Zusammenarbeit mit dem Spitalzentrum Biel.

Marc Schütz, was bauen Sie am liebsten?
Marc Schütz: Projekte für die Zukunft unserer Gesellschaft. Und sonst Dachlattenbäume (lacht).

 

Wie kam die Idee für das Projekt Kinderbaustelle zustande?
Marion Ebert, die Projektleiterin, hat bereits einen Prototypen in Aarau initiiert und die Idee nach Biel gebracht. Wir wollten einen Ort, an dem Kinder Freiräume haben, das Umfeld mitgestalten und ihre Kreativität ausleben können.

 

Woher kam die Idee einer Zusammenarbeit mit dem Kinderspital?
Das Spitalzentrum Biel ist mit seiner Idee auf uns zugekommen. Wir haben einen kreativen Prozess durchgemacht, in dem wir nach Möglichkeiten und weiteren Ideen suchten und uns fragten, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte – und jetzt transformieren wir mit den Kindern einen Teil der Kinderbaustelle in ein Spital.

 

Und die Kinder waren sofort dabei?
Ja, wir bildeten eine Projektgruppe und haben die Idee ausgeschrieben; vierzehn Kinder haben sich angemeldet. Das Projekt ist somit auf sehr gute Resonanz gestossen.

 

Vor einem Jahr sah die finanzielle Lage der Kinderbaustelle nicht besonders vielversprechend aus.
Wir befinden uns in einer Phase, in der wir schon fast eine Institution sind. Dadurch kommen Betriebskosten ins Spiel. Das ist immer eine Herausforderung. Die Aufbauphase ist abgeschlossen und wir haben ein erfolgreiches Projekt lanciert. Ohne Finanzierung geht es aber nicht weiter.

 

Wie gehen Sie nun vor?
Wir suchen eine Fachperson, die uns unterstützt und sind immer in Kontakt mit Stiftungen, Sponsoren und Gönnern. Deswegen ist die Aktion mit dem Spitalzentrum Biel super für uns, damit wir einmal auf einer solchen Ebene und in einer solchen Partnerschaft etwas ausprobieren können. Interview: lou

Nachrichten zu Biel »