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Biel

«Konsum und Wirtschaftswachstum 
sind reine Blendwerke»

Er bewegt sich meist auf zwei Rädern, liest beim Einkaufen das Kleingedruckte und streicht zurzeit Museumswände: 
der Grafiker Andreas Bachmann. Der 53-Jährige engagiert sich für eine postfossile, faire und menschliche Zukunft.

«Biel hat einen guten Groove»: Andreas Bachmann in seinem Atelier. Bild: Matthias Käser
  • Dossier

Aufgezeichnet:
Sarah Zurbuchen

Ich bin Vegetarier, aber mache seltene Ausnahmen, etwa bei Einladungen. Eigentlich fände ich eine vegane Lebensweise aus ethischen und ökologischen Gründen vernünftig. Das im Alltag aber konsequent umzusetzen, ist sehr anstrengend und zeitaufwändig. Auch riskiert man dabei schnell, sich sozial zu isolieren.

Der Montagmorgen ist mein Museumsmorgen. Ich arbeite zu 40 Prozent im Neuen Museum Biel, wo ich Unterhaltsarbeiten übernehme und beim Ausstellungsauf- und abbau Hand anlege. Im Moment befinden wir uns in einer spannenden Phase, denn wir sind daran, eine der grössten Ausstellungen in der Geschichte des Museums vorzubereiten.

Sie heisst «Hello, Robot» und widmet sich der Robotik und dem Design als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Zurzeit streiche ich die Wände der Räume in den Farben Weiss, Rosa und Schwarz. Auch vom Aufwand her ist die Ausstellung eine Herausforderung. So erwarten wir drei Lastwagen vollbepackt mit Robotern und Maschinen, die dann Teil der Ausstellung werden. Das Konzept bestimme nicht ich, ich führe nur aus. Ich liebe die Teamarbeit im Museum, sie ist abwechslungsreich und ich bin immer sehr gespannt darauf, wie das Endergebnis aussehen wird.

Mittags fahre ich mit dem Velo in die Altstadt. Ich bin selbständiger Grafiker und betreibe dort das «Grafikartelier». Noch, denn ich ziehe bald in den neuen Coworkingraum «Der Ort» an der Marktgasse. Dort werden künftig Menschen arbeiten und sich vernetzen, die sich für ökologische und soziale Anliegen einsetzen.

Das Fahrrad ist übrigens das Fortbewegungsmittel meiner Wahl: Es ist schnell, günstig und schont die Ressourcen. Biel wäre eigentlich die ideale Velostadt, es gibt aber immer noch einige sehr gefährliche Strassenabschnitte. Als Velofahrerin oder Velofahrer musst du immer bereit sein, die Bremse zu ziehen, auch wenn du Vortritt hast. Das ist überlebenswichtig.

Es erstaunt sicher niemanden, wenn ich sage, dass ich auch ein dezidierter Gegner von Autobahnen wie dem Westast bin. Die Zukunft der Innenstädte ist autofrei. Es braucht ein Umdenken, wenn wir etwas ändern wollen. Noch mehr Autobahnen sind der falsche Weg.

Nachmittags gehe ich meiner Arbeit als Grafiker nach. Seit Corona erhalte auch ich – wie viele andere – spürbar weniger Aufträge, offensichtlich hat die Pandemie Auswirkungen auf verschiedenste Berufssparten. Deshalb widme ich mich im Moment hauptsächlich der «Vision 2035», bei der ich im Vorstand bin und für die ich das Layout gestalte.

Die Bieler Zeitung erscheint dreimonatlich und beschäftigt sich mit Themen des Wandels, wie etwa Nachhaltigkeit, Ressourcen, Konsum oder soziale Stadtentwicklung. Sie symbolisiert damit, wofür ich einstehe: die sogenannte Transition, der Wandel in eine postfossile, faire und menschliche Zukunft, und zwar selbstermächtigt. Das heisst, jeder und jede tut, meist in Gruppen, das was möglich ist, um diesem Ziel ein Stück näher zu kommen. Das können auch kleine, einfache Schritte und Projekte sein.

Unsere Gesellschaft muss wegkommen von der Idee, dass unser Glück von Konsum und Wirtschaftswachstum abhängt, das sind reine Blendwerke. Das Stichwort ist Suffizienz: die Frage nach dem rechten Mass, gekoppelt mit dem Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch. Und was macht uns denn wirklich zufrieden und glücklich? Sind es nicht eher Menschlichkeit und Gemeinschaft als Geld und Luxus?

Ich diskutiere gerne mit Menschen, die anderer Meinung sind. Aber ich mag es nicht, zu missionieren, Leute zu bekehren. Toleranz ist für mich genau so wichtig, und das erwarte ich auch von meinem Gegenüber.

Mein Leben gestalte ich sehr bewusst. So gehöre ich beim Einkaufen zu den Etikettenlesern. Ich will wissen, welche Inhaltsstoffe ein Produkt hat und woher diese kommen. Auch versuche ich, so wenig Abfall wie möglich zu produzieren. Seit einigen Jahren verzichte ich zudem bewusst aufs Fliegen. Mit der Teilnahme an Aktionen wie dem «Critical Mass» oder den Klimademonstrationen versuche ich, meine Vision eines Wandels kundzutun und meine Mitstreiterinnen zu unterstützen.

Mir macht der Zustand unserer Welt zunehmend Angst. Die Menschen spüren schon am eigenen Leib die Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung. Wir befinden uns längstens in einer planetarischen Notsituation. Deshalb bin ich auch bei «Extinction Rebellion» dabei, einer Organisation von Umweltaktivistinnen, die mit gewaltfreien Aktionen auf Missstände in diesem toxischen System aufmerksam machen wollen.

Doch es gibt auch vieles, das mir Hoffnung macht. Ich freue mich sehr über die Klimajugend. Das sind tolle junge Leute. Wie nachhaltig die Bewegung ist, weiss ich nicht, ich bin aber überzeugt, dass sie schon auf der Diskussions- und Bewusstseinsebene vieles bewirkt hat.

Auch in Biel selbst gibt es für mich viele Hoffnungsschimmer: Diese Stadt ist unvergleichlich, ich fühle mich hier sehr wohl. Sie hat einen guten Groove, ist offen, engagiert und kreativ. Und auf der Ebene der Transition existieren zahlreiche kleinere und grössere Projekte. Das ist wunderbar.

Nach Feierabend nehme ich, wenn die Energie noch reicht, an einer buddhistischen Meditationsgruppe teil, dabei meditieren wir 45 Minuten lang und tauschen uns anschliessend aus. Auch die innere Transition, der innere Wandel ist wichtig, damit wir uns in eine andere Richtung bewegen. Davon bin ich überzeugt.

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