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Biel

Kraulen lernen mit dem Kopf im Suppentopf

Heute endet das turbulente Schuljahr 2019/20. Während der Schulschliessung haben sich die Lehrer gute Noten verdient. Sie waren bisweilen ganz schön kreativ.

Zufrieden mit seinen Mitarbeitenden: Reto Meyer, Abteilungsleiter Schule und Sport bei der Stadt Biel. Bild: Matthias Käser

Lino Schaeren

Es war Freitag, der 13., als der Bundesrat beschlossen hat, die Schulen zu schliessen. Ein Horrorszenario für viele Familien: Übers Wochenende musste die Betreuung der Kinder ab Montag sichergestellt werden.

Und die Lehrkräfte? Die mussten einen Fernunterricht aus dem Boden stampfen. Ganze acht Wochen, vom 15. März bis zum 11. Mai, wurde aus der Distanz unterrichtet. Teils aus dem leeren Klassenzimmer, teils von zuhause aus. Per Post, Mail, Telefon, Chat, Videokonferenz. Seit genau so lange – acht Wochen – läuft nun der Präsenzunterricht wieder, wenn auch mit Einschränkungen. Jetzt geht es aber erst einmal in die Pause – denn heute beginnen die Sommerferien. Zeit für die Stadt Biel, auf die fluchtartige Schliessung der Schulen zurückzublicken. Und Corona-Bilanz zu ziehen.

«Viele müde Gesichter»

Diese fällt grundsätzlich positiv aus. Bildungsdirektor Cédric Némitz erzählt: Als er am Morgen des 15. März eine Runde bei den Bieler Schulen drehte, habe er erwartet, eine katastrophale Zustände anzutreffen. «Weil wir nicht vorbereitet waren.»

Stattdessen fand er ruhige Verhältnisse vor, die Familien konnten praktisch für jedes Kind eine Lösung finden, nur wenige der gut 6200 Schülerinnen und Schüler mussten die Notbetreuung in der Schule in Anspruch nehmen. Némitz war bewegt: Er spricht rückblickend Eltern und Lehrkräften ein grosses Lob aus für ihre schnelle Handlungsfähigkeit.

Bilanz gezogen hat er gestern aber nicht allein. Zum Schuljahresende hat er auch jene zu Wort kommen lassen, die an der Front stehen. Schulleiterinnen und Verantwortliche für Tagesschulen, die Schulärztin und ein Vertreter des Elternrats.

Letzterer heisst Peter Hützli und sitzt nicht nur im städtischen Gesamtelternrat, sondern auch in der deutschsprachigen Schulkommission. Er, selber Vater von zwei Schulkindern, zeigte sich «tief beeindruckt» davon, wie die Lehrerinnen und Lehrer die schwierige Situation gehandhabt haben. «Als der Bundesrat am Freitag die Schulen schloss, erhielt ich keine zwei Stunden später erste Informationen, am Sonntag stand bereits der Wochenplan und erste Lernvideos wurden verschickt», erinnert sich Hützli. Beim Austausch mit anderen Eltern habe er von sehr unterscheidlichen Erfahrungen gehört: Einige hätten die zusätzliche Familienzeit genossen und sich gar eine längere Zeit mit Unterricht zuhause gewünscht. «Gleichzeitig habe ich aber auch viele müde Gesichter gesehen.»

Die acht Wochen wurden aber auch zur grossen Herausforderung für die Lehrpersonen. «In der Krise war unsere Arbeit mehr administrativer als pädagogischer Natur», konstatiert René Bickel, Lehrer an der Sekundarschule Châtelet. So habe es etwa alleine drei Wochen gedauert, die zentrale Plattform éduclasse einzurichten, auf der alle Daten abgelegt und ausgetauscht werden können. Gleichzeitig mussten die Lehrerinnen und Lehrer aber auch kreativ sein, da gerade manuelle Fächer wie Kochen oder Werken schwer aus der Distanz zu unterrichten sind. Reto Meyer, Leiter der städtischen Abteilung Schule und Sport, erzählt deshalb die Anekdote eines Schwimmlehrers: Dieser hatte für seine Schülerinnen und Schüler ein Lernvideo aufgenommen, damit diese zuhause die Atmung beim Kraulen üben konnten. Wie das funktioniert? Mit dem Kopf in einem grossen, mit Wasser gefüllten Suppentopf. Dazu Trockenübungen mit rudernden Armen und das Luftholen aus dem Topf im richtigen Moment. Klingt komisch – und ist es wohl auch. Aber was soll der Schwimmlehrer machen ohne Hallenbad?

Meinung der Eltern zählt

Gleichzeitig hat der Fernunterricht aber auch das Prinzip der Gleichbehandlung auf die Probe gestellt. Kinder mit unterschiedlichem familiären Hintergrund erhalten zuhause nicht dieselbe Unterstützung. «Es gibt Kinder, die in dieser Zeit überhaupt nicht gearbeitet haben», sagt Bickel und schiebt sogleich nach: «Dabei handelt es sich aber um eine Minderheit.» Dieselbe Beobachtung hat auch Iris Bachmann, Co-Leiterin der Primarschule Mühlefeld, gemacht. Dass sich die Schere zwischen den leistungsstärkeren und -schwächeren Schülern weiter geöffnet hat, glaubt sie indes nicht. «Wir hatten bereits vor Corona unterschiedliche Leistungsniveaus in unseren Klassen, daran haben diese acht Wochen nicht viel geändert.»

Elternvertreter Peter Hützli spricht hingegen von einzelnen Fällen, bei denen Kinder, die sowieso schon Mühe gehabt hätten, durch den Fernunterricht endgültig abgehängt wurden – und jetzt die Klasse wiederholen müssten. Reto Meyer relativiert jedoch sogleich: Es sei ausgeschlossen, dass ein Kind alleine wegen schlechter Leistung während der Pandemie sitzen bleibe. Er verweist auf den Kanton, der bereits Anfang April die Devise herausgegeben hat, für die Beurteilung nur Tests von vor dem 13. März zu berücksichtigen.

Eine Praxisänderung gab es hingegen beim Übertritt in die Oberstufe. Werden sich Eltern und Schule nicht einig, ob ein Kind für die Sekundar- oder die Realschule empfohlen werden soll, erfolgt normalerweise eine sogenannte Kontrollprüfung. Diese zeigt das effektive Leistungsniveau auf. Diese Prüfungen sind nun Corona zum Opfer gefallen. Meyer erklärt: In diesem Jahr zählt deshalb im Streitfall die Meinung der Eltern.

Beruhigende Zahlen

Doch zurück ins Klassenzimmer. Hier nahmen die Bieler Schülerinnen und Schüler ab dem 11. Mai wieder Platz. Die Rückkehr, sagt René Bickel, sei noch anspruchsvoller gewesen als der blitzartige Wechsel zum Fernunterricht. Denn es galt zahlreiche Vorkehrungen zu treffen. Distanzhalten? Da sind sich Primarlehrerin Bachmann und Sekundarlehrer Bickel einig: unmöglich. Bickel sagt: «Ab dem dritten Tag, als wieder in der ganzen Klasse unterrichtet wurde, war es wie vor der Krise.» Er hadert deshalb damit, dass im Kanton Bern nur während zwei Tagen in Halbklassen unterrichtet wurde. Und damit war er nicht alleine: In Biel gab es Anfang Mai einen kleinen Coronagraben: Vorab die Vertretenden der französischsprachigen Schulen hätten es gerne gesehen, wenn in Biel nach dem frankophonen Vorbild länger in Halbklassen unterrichtet worden wäre. Cédric Némitz und sein Team setzten aber auf das Deutschschweizer-Modell.

Die Skeptiker beruhigen konnte der Bildungsdirektor damals offenbar mit den offiziellen Zahlen. Er zeigte auf, dass es im gesamten Verwaltungskreis Biel bis dahin erst 19 Hospitalisierungen wegen Covid-19 gab (bis heute sind es 20). Und: Keines der über 6200 Bieler Schulkinder wurde bis zur Wiederaufnahme des normalen Unterrichts positiv auf das Coronavirus getestet. Daran hat sich nach acht Wochen Präsenzunterricht nichts geändert.

Stichwörter: Schule, Lehrer, Noten

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