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Biel

Lange bleibt hier niemand am Boden

Vor einem Jahr hat in Biel die Kletterhalle Grip eröffnet. Die Wände hoch und danach mit Freunden im Bistro etwas trinken – so das Konzept. Wie fällt die Bilanz aus nach diesem Coronajahr?

  • 1/4 Wohin geht die Reise? Robert Rehnelt (links) und Keith Norman. Copyright Bilder: Matthias Käser
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Mengia Spahr
 
Am Rennweg 62 in Biel steht ein grosser Kubus. Wandert der Blick an der Glasfassade nach oben, entdeckt man Wände, die mit farbigen Griffen bestückt sind. An manchen Abenden tummeln sich hier zahlreiche Kletterinnen und Kletterer. Jetzt, um die Mittagszeit, ist es ruhig.
Hinter der Empfangstheke fällt ein erstaunlich geräumiger Bistrobereich auf. Der Mitarbeiter an der Kasse überblickt die zwölf Meter hohen Wände für das Seilklettern. Die Griffe an den Wänden leuchten wie neu, sie sind aber keineswegs unbenutzt. «Unsere Fitnessgeräte sind die Routen – die zu kletternden Strecken, die aus den Griffabfolgen entstehen – diese unterhalten und modernisieren wir», sagt Robert Rehnelt, der zusammen mit Keith Norman Geschäftsleiter der Kletterhalle Grip ist.
 
Mindestens zweimal jährlich werden sämtliche Griffe demontiert, mit einem Hochdruckreiniger von Magnesiastaub und Gummirückständen der Kletterfinken befreit und auf eine neue Art angeschraubt. So entstehen regelmässig neue Kletterstrecken in verschiedenen Schwierigkeitsgraden.
 
Drei Standbeine
 
Im Obergeschoss befindet sich der Boulderbereich. Die Wände sind hier kürzer und der Boden ist mit dicken Matten ausgerüstet  – Bouldern ist Klettern ohne Seil bis zu einer Höhe, von der man noch problemlos auf die Matten springen kann. Doch auch das erfordert eine Portion Mut. Um die Schwerkraft zu überwinden, braucht es einen guten Plan. Mal umgreifen die Hände einen Griff, mal liegen sie stützend auf oder pressen von unten dagegen, während die Füsse von Tritt zu Tritt wandern, um an Höhe zu gewinnen. Am obersten Griff wartet ein kleiner Glücksmoment.
 
Durch die Fensterfront geht der Blick auf die Hügelketten des nahen Juras, an dessen Kalksteinformationen die lokale Kletterszene seit Jahrzehnten unterwegs ist. Für Norman und Rehnelt ist klar: Das Bedürfnis nach einer Kletterhalle in Biel ist gross. Eigentlich hätte «Grip» am 3. April 2020 mit einem Tag der offenen Tür eröffnen wollen. Doch zu dieser Zeit befand sich die Schweiz im Lockdown. Die Eröffnung erfolgte dann am 15. Mai.
 
Die Grip Climbing Biel/Bienne AG hat drei Standbeine: den Kletterbetrieb, die Kletterkurse und das Bistro, das mit lokalen Produkten und Nachhaltigkeit wirbt. «Wir stellten uns vor, dass sich die Leute im Bistro treffen, Kletterpartner werden und zusammen Ausflüge an die Felsen unternehmen», sagt Norman. «Grip» solle ein Treffpunkt sein. «Bis heute können wir jedoch nicht beurteilen, ob unser Konzept aufgeht», fügt er an. Und Rehnelt ergänzt: «Wir konnten es nicht ausprobieren.» Denn in diesem ersten Jahr herrschte nie Normalbetrieb.
 
Geschwundene Zuversicht
 
Bei der ersten Schliessung im Frühling habe man die Zeit genutzt, um der Halle den letzten Schliff zu geben. Die erneute Schliessung im Herbst traf die Betreiber hart. In der Regel rentiert der Betrieb einer Kletterhalle im Sommer nicht, da die Leute im Freien klettern. Deshalb muss der Winterbetrieb die Sommerverluste auffangen. Dies ging ausgerechnet im ersten Betriebsjahr nicht.
 
Norman betont, wie froh sie über die Kurzarbeit und ein verzinstes Darlehen der Stadt Biel seien. Der Verzicht auf 20 Prozent des Gehalts sei bei eher tiefen Löhnen jedoch problematisch, sagt Rehnelt. Während der Wintermonate sei irgendwann die Arbeit ausgegangen, die Energie und Zuversicht seien geschwunden. Ein Lichtblick war die Durchführung eines nationalen Jugendwettkampfs Ende März. Doch es schwang ein Wermutstropfen mit: Um die neuen Routen für den Wettkampf zu schrauben, mussten schon vorhandene demontiert werden, ohne dass sie zuvor den Kundinnen zugänglich gemacht werden konnten.
 
Viel investiert
 
Die Hallenbesitzer sind in ihrer Freude über die Wiedereröffnung noch zurückhaltend. Die Unsicherheit, wie man den Sommer überstehe, nage am Team. «Wir und die Verwaltungsräte haben alle Geld in der Halle», führt Norman aus. Besonders Rehnelt sei persönlich stark betroffen: «Wenn die Halle zugeht, verliere ich meine wichtigste Arbeitsstelle – und einen grossen Teil meines Geldes.»
 
Für ihn und Norman ist die Halle eine Herzensangelegenheit. Norman bezeichnet sich als begeisterten Hobbykletterer. Schon immer habe er etwas auf die Beine stellen wollen und im Kletterhallenprojekt eine willkommene Abwechslung zu seiner IT-lastigen Arbeit bei einem Telekommunikations-Unternehmen gefunden. Er habe sich darauf gefreut, Pläne für den Betrieb des Bistros und Marketingkonzepte zu schmieden, sich jedoch im vergangenen Jahr vor allem mit Kurzarbeit und Finanzen beschäftigt.
 
Bei Rehnelt geht es nicht um Abwechslung: «Ich bin Trainer und Bergführer und brauche einen Arbeitsort.» Bereits vor rund 20 Jahren hat er in einer Lagerhalle in Nidau einen Boulderraum eröffnet und diesen später durch eine Kletterwand ergänzt. Es war von Anfang an klar, dass das Projekt eines Tages einer Überbauung weichen muss, und so begab er sich vor zehn Jahren auf die Suche nach einem neuen Standort. «Ich wollte eigentlich nie Hallenbesitzer werden. Wenn uns jemand eine Kletterhalle hingestellt hätte, hätte ich keine Energie in eine solche gesteckt», sagt er. Die Geschäftsführer betonen, dass «Grip» ein Gemeinschaftsprojekt ist. Der Verwaltungsrat besteht aus Leuten, die bereits seit Jahren an der Planung beteiligt sind.
 
«Grip» wie «griffig»
 
Vor vier Jahren ergab sich die Möglichkeit, neben dem ehemaligen Gebäude des Energie Service Biel (ESB), in dem seit vergangenem Oktober das Jugendkulturhaus X-Project untergebracht ist, von einem Investor einen Neubau errichten zu lassen. «Grip» ist darin eingemietet. Im Untergeschoss des Kubus soll dereinst ein Skatepark entstehen. Dadurch kam die Halle zu ihrem Namen: «Der rutschfeste Grip auf dem Rollbrett hat fast dieselbe Beschaffenheit wie das Material, das den Griffen Reibung verleiht», erklärt Norman. Und Kletterinnen sprechen von «gutem Grip», wenn die Felsstrukturen, an denen sie klettern, eine starke Haftung haben.
 
Man könnte annehmen, dass ein Kletterurgestein wie Rehnelt die regionale Szene kennt. Über die «Grip»-Kundschaft sagt er aber: «Es kommen Leute, die ich noch nie gesehen habe und die mir sagen, dass sie schon lange klettern. Wir haben über 2000 verschiedene Kunden aus dem Raum Biel.» Es gebe nur wenige Sportarten, die Personen mit ganz unterschiedlichen Niveaus gemeinsam ausüben können, sagt Rehnelt. Beim Klettern kann jede und jeder seine Strecke selber auswählen. Vom Mitglied des Regionalkaders bis zum Anfänger sollen im «Grip» alle eine Herausforderung finden. Einzig die superstarke Leistungskletterin werde nicht glücklich, weil die Wände zu wenig überhängen.
 
 Bouldern erfordert keine speziellen Voraussetzungen. «Man muss einfach beim Runterspringen abfedern können», so Rehnelt. Fürs Seilklettern ist jedoch der Besuch von Kursen zwingend. Sportklettern wurde in den letzten Jahrzehnten immer beliebter in der Schweiz und zahlreiche Kletterhallen schossen aus dem Boden. Damit einhergehend stellten sich vermehrt sicherheitstechnische Fragen. Seit rund zehn Jahren gibt es nun eine Interessengemeinschaft Kletteranlagen (IGKA), welche sich diesen annimmt und Standards für die ganze Schweiz schafft.
 
Verglichen mit anderen Hallen ist «Grip» von einer bescheidenen Grösse. An manchen Abenden müsse man wegen der Besucherbegrenzung schon mal Personen abweisen. Auch das Kursangebot in der Halle kann Rehnelt zufolge nicht weiter ausgebaut werden. «Wir werden von Anfragen für Kinderkurse überrannt.» Als im Frühling erste Lockerungsschritte möglich wurden, die Kletterhalle aber noch geschlossen war, hat «Grip» Outdoor-Kletterkurse an den nahen Jurafelsen durchgeführt. Dieses Angebot werde man beibehalten. Für die Sommermonate sind zahlreiche Ausflüge in die Klettergebiete der Region geplant, die in Partnerschaft mit dem Schweizer Alpen-Club (SAC) und dem Verein Kids-Sport durchgeführt werden sollen. So wächst «Grip» über die Kletterhalle hinaus und die Kalksteinformationen bleiben nicht nur eine schöne Kulisse hinter der Fensterfront.

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