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Biel

Maskenpflicht für Kinder: Notwendiges Übel oder Zumutung?

Diese Frage stellen sich Eltern von Erst- bis Viertklässlern, die ab Montag wie ihre älteren Gspändli mit Maske zur Schule gehen müssen. Selbst Befürworterinnen sind nicht begeistert.

Die jüngsten Primarschülerinnen und -schüler müssen ab nächster Woche ebenfalls einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Keystone
von Carmen Stalder
 
Im Zug, im Einkaufszentrum, bei der Arbeit – man ist es sich mittlerweile gewohnt, an vielen Orten eine Maske zu tragen. Auch in den Schulen hat der Mund-Nasen-Schutz längst Einzug gefunden. Mädchen und Jungen ab der 5. Klasse müssen ihn im Unterricht seit Ende November erneut tragen. Nun hat der bernische Regierungsrat am 22. Dezember beschlossen, dass die Maskenpflicht nach den Schulferien schon ab der 1. Klasse gilt. Es ist ein Weihnachtsgeschenk, das viele Eltern, Lehrerinnen und Schüler noch so gerne zurück an den Absender schicken würden. Die verschärfte Coronamassnahme stösst vielerorts auf Unverständnis, sie löst Ängste und Frustration aus.
 
Einige Eltern wehren sich: Sie haben eine Petition lanciert, die sich gegen die Maskentragepflicht ausspricht. Stand gestern sind bereits knapp 12'000 Unterschriften zusammengekommen. Petitionärin Bettina Tanner argumentiert, dass die Anwendung der Maske bei jüngeren Kindern oft nicht korrekt erfolge und das zuverlässige Tragen einer Maske über längere Zeit schwierig sei. Die Masken könnten zu gesundheitlichen Nebenwirkungen führen, behinderten den Spracherwerb und das Lesenlernen.
Hunderte der Unterzeichnenden stammen aus Biel und dem Seeland, darunter eine Mutter aus Meikirch, deren Kinder von der neuen Regelung betroffen sind. «Das ist schlicht eine Zumutung!», sagt sie.
 
Mit Maske im Gesicht funktioniere der Sauerstoffaustausch schlecht. Sie wisse von Mädchen und Jungen, die unter Symptomen wie Kopfschmerzen oder gar Angstzuständen leiden würden. Kinder könne man auch anders vor dem Virus schützen, ist sie überzeugt: mit natürlichen Wirkstoffen aus der Pflanzenwelt, Spurenelementen oder Vitamin C. Noch wisse sie nicht, wie sie mit der Maskentragepflicht für ihre Kinder umgehen soll.
 
Ein radikaler Schritt ist, die Kinder aus der Schule zu nehmen und auf Homeschooling umzusteigen. Eine Lehrerin aus dem Seeland weiss aus Eltern-Chats von solchen Fällen. Ihre Kolleginnen wüssten teilweise nicht, wie viele Kinder nach den Ferien tatsächlich im Klassenzimmer auftauchen werden. Sie selbst habe bisher alle Massnahmen mitgetragen und stelle sich nicht in die Ecke der Verschwörungstheoretikerinnen. Aber auch ihr gehe die Maskentragepflicht ab der 1. Klasse zu weit. Sie sorge sich um scheue und zurückhaltende Kinder wie ihre eigene Tochter, die nun gänzlich verstummen könnten. «Die Mehrheit wird die Massnahme tragen. Doch mit jeder neuen Regelung werden ein paar weitere Kinder abgehängt», so die Befürchtung der Lehrerin.
 
Wunsch nach Normalität
 
Selina Weibel, Musiklehrerin und Mutter aus Nidau, hat die Petition ebenfalls unterzeichnet. Sie bezeichnet die neue Regel als Experiment an Kindern. Aus eigener Erfahrung wisse sie, dass Masken die Beziehung zur Lehrperson beeinträchtigten. Gerade beim Spracherwerb seien die Kinder auf die Mimik angewiesen. «Da Kinder bei einer Ansteckung keine schweren Verläufe haben, ist es besser, wenn sie Corona durchmachen. Wir brauchen die Kinder, um die Immunität in der Gesellschaft zu erreichen», so Weibel. Sie wünscht sich eine Rückkehr zum normalen Schulalltag ohne Masken und ohne Testen. Regelmässiges Lüften reiche aus. Mit ihrer siebenjährigen Tochter habe sie bereits über das Thema gesprochen. Diese wolle weiterhin zur Schule gehen und dort ihre Gspändli treffen. «Ich habe ihr gesagt, dass sie die Maske ablegen soll, sobald sie sich nicht mehr wohl fühlt», so Weibel. Die Musiklehrerin selbst hat genug von all den Massnahmen – und als Konsequenz ihren Job auf die Sommerferien hin gekündigt.
 
Auch Corinne Siegenthaler aus Sutz, Mutter/Kind-Turnen-Leiterin und Mutter eines Erstklässlers und einer Drittklässlerin, unterstützt die Petition gegen die Maskenpflicht. Sie glaubt, dass die neue Massnahme nichts bringt, da die kleinen Kinder noch nicht richtig mit den Masken umgehen könnten. Ausserdem würden sie während der Pausen und auf dem Schulweg weiterhin keinen Schutz tragen und dort die nötigen Distanzen nicht einhalten. Dennoch hat sie versucht, ihre Kinder zum Maskentragen zu animieren: «Ich habe ihnen gesagt, dass sie damit zu den Grossen gehören.» Ob das tatsächlich klappe, lasse sie auf sich zukommen.
 
Appell für mehr Schutz
 
Neben der Petition gegen die Maskentragepflicht ab der 1. Klasse lief bis gestern auch eine Unterschriftensammlung für zusätzliche Schutzmassnahmen an Berner Schulen. Knapp 2000 Personen unterzeichneten den an den Regierungsrat gerichteten Appell. Die verschärfte Maskenpflicht wird darin ausdrücklich begrüsst, sie reiche jedoch nicht aus. Es brauche auch Massentests zum Schulanfang, gefolgt von repetitiven Tests und weiteren Massnahmen wie dem Einsatz von CO2-Filtern. Dies alles mit dem Ziel, den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten, die Kinder vor möglichen Langzeitfolgen zu schützen und zu verhindern, dass sie durch fehlenden Präsenzunterricht Nachteile erleiden. Lanciert wurde der Appell vom Verein Schule & Elternhaus Kanton Bern, mitgetragen wird er unter anderem vom Gesamtelternrat der Stadt Biel.
 
Dessen Präsidentin Cristina Zimmermann bestätigt, dass sie den Entscheid für eine Maskenpflicht ab der 1. Klasse unterstütze. Innerhalb des Gremiums gebe es allerdings ganz verschiedene Meinungen. Es würde sie auch nicht überraschen, wenn sich manche Eltern am kommenden Montag gegen die neue Regel wehren. Persönlich findet es die zweifache Mutter jedoch traurig, dass nun die Kleinen unter dem Verfehlen der Erwachsenen leiden müssten – sprich: unter der mangelnden Impfbereitschaft. Trotzdem nehme sie die Maskenpflicht als notwendiges Übel in Kauf und hoffe auf eine baldige Besserung der Situation. «Wir müssen unbedingt vermeiden, dass die Schulen erneut geschlossen werden», so Zimmermann.
 
Nur wenige Beschwerden
 
An den Schulen selbst scheint sich der Sturm der Entrüstung bisher in Grenzen zu halten. So heisst es von Reto Meyer, Leiter Schule und Sport der Stadt Biel, dass bisher lediglich vereinzelt Briefe eingegangen seien, in denen sich Eltern gegen die neue Maskentragpflicht ab der 1. Klasse aussprechen würden. Ähnlich tönt es aus Schüpfen: Nach dem Entscheid des Kantons hätten sich relativ wenige Eltern gemeldet, so Hauptschulleiterin Stephanie Suhr. Einzelne Nachfragen hätten die Maskengrösse betroffen. Die Gemeinde stelle den Kindern ab dem 10. Januar solche in passender Grösse zur Verfügung.
 
Und was sagt der Berufsverband Bildung Bern? Co-Geschäftsführer Stefan Wittwer ist von der Maskenpflicht ab der 1. Klasse ebenfalls überhaupt nicht begeistert. Trotzdem stehe der Berufsverband dahinter, schliesslich würden Masken dabei helfen, Ansteckungen, Fernunterricht oder ständige Quarantänemassnahmen zu verhindern. «Im Vergleich dazu ist die Maske das kleinere Übel.» Wichtig ist Wittwer allerdings, dass die Pflicht nur für eine kurze, zeitlich befristete Zeit auferlegt wird. Aktuell ist die neue Massnahme für 14 Tage vor-gesehen. Eltern von betroffenen Kindern rät er einen möglichst gelassenen, pragmatischen Umgang mit der Maske.
 
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Ist das Maskentragen für Kinder schädlich?

Die von Eltern mehrfach geäusserten Bedenken, dass die Schutzmasken für Kinder ein gesundheitliches Risiko mit sich bringen, werden von der Organisation Pädiatrie Schweiz nicht bestätigt. Bereits vor einem Jahr liess sie in einer Mitteilung verlauten, dass «das Maskentragen in diesen Altersgruppen medizinisch unbedenklich» sei.
 
Die Schweizer Covid-Task-Force, Pädiatrie Schweiz und Kinderärzte Schweiz bleiben gemäss ihrer neusten gemeinsamen Stellungnahme dabei: Im Falle einer länger anhaltenden und hohen Verbreitung des Coronavirus sollten zusätzliche Massnahmen wie das Tragen gut angepasster Masken in den Klassen und die Erhöhung der Testfrequenz ergriffen werden.

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