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Mobilität

Mein Monat per Muskelkraft

Leben wie im 21. Jahrhundert, aber ohne Auto oder Zug. Nichts, was sich per Motor bewegt - geht das? Ein Bieler Student hat es probiert, 31 Tage lang. Klar, hat er viel Treibhausgase gespart. Aber es ist noch viel Spannenderes passiert.

Mättu Moseler mit seinem bevorzugten Transportmittel, dem Velo. Copyright: Nico Kobler
Matthias Knecht

Ein wenig aufs Auto verzichten kann ja jeder. Also fast jeder. Aber hier soll über jemanden berichtet werden, der weiter gegangen ist, viel weiter. Einen Monat lang verzichtete dieser Mensch auf alles, was sich die Menschheit in den letzten zwei Jahrhunderten an motorisierter Mobilität ausgedacht hat. Also kein Auto und erst recht keine Flugreisen. Auch das Motorrad blieb einen Monat lang in der Garage. Selbst Bahn und Bus waren tabu.

Dieser Mensch heisst Mättu Moseler, kommt aus Leubringen, und nein, wie ein Öko-Fundamentalist sieht er nicht aus. Das ist er auch nicht. Tiefenentspannt wäre wohl das passende Adjektiv für den 22-jährigen Teilzeitstudenten. Er sitzt an diesem Frühsommerabend draussen an der Bar, trinkt ein Bier, lacht viel, die Augen blitzen. Vielleicht ist das alles aber auch nur das Resultat seines Selbstversuchs, über den er hier erzählt.

31 Tage lang bewegte sich Moseler ausschliesslich per eigener Muskelkraft fort. Das hiess: Viel laufen und noch mehr Velofahren. 700 Kilometer auf dem Fahrradsattel kamen so im Monat Mai zusammen, von daheim an die Fachhochschule in Zollikofen, an die Arbeitsstelle in Bern, zur Freundin nach Bern. Und wieder zurück nach Biel. Und natürlich auch das Freizeitprogramm: das Pfadi-Wochenende in Aarberg, der Ausgang am Wochenende. «Ich habe auf nichts verzichtet», betont Moseler. Naja, ausser eben auf Motorenkraft.

Die schöne Landschaft gesehen

Klar ist man nach so einem Monat fit wie ein Turnschuh. Begonnen hat das selbst verordnete Experiment am 1. Mai. Da benötigte Moseler noch 1 Stunde und 15 Minuten für die 30 Kilometer Weg nach Zollikofen, wo er Lebensmittelwissenschaften studiert. Als er den Versuch am 31. Mai erfolgreich beendete, benötigte er nur noch eine Stunde für den gleichen Weg. «Ich habe auf dem Arbeitsweg eben auch regelmässig Sport getrieben», sagt Moseler. Aber der Trainingseffekt war nicht das einzige Ergebnis des Versuchs. Er habe auch begonnen, sein Leben und sein Umfeld anders wahrzunehmen.

Die erste Erkenntnis: Die Landschaft zwischen Biel und Bern ist «megaschön». Das jedenfalls erzählt Moseler schwärmend. Es gebe nur eine kleine Einschränkung, nämlich diesen Anstieg, der nach Suberg kommt. «Der stellt Oberschenkelmuskulatur und Psyche des besten Velofahrers auf die Probe.» Aber ja, da müsse man eben durch, bei einem solchen Selbstversuch. Man werde ja auch irgendwie belohnt, indem man am Ende diese Ruhe und Gelassenheit ausstrahle, wie sie sonst nur Sportler haben. Wenn man Moseler bei seinem Bier an der Bar so zuschaut, glaubt man es ihm sofort.

Und damit sind wir auch schon bei der zweiten Erkenntnis: Einen Monat lang Velofahren hat auch eine mental reinigende Wirkung, fast einen meditativen Charakter. Moseler beschreibt die Veränderung so: «Beim Pendeln im Zug starre ich nur auf das Handy, so wie die anderen. Auf dem Velo kannst du das aber nicht. So beginnen die Gedanken zu fliessen. Ich habe in diesem Monat auf dem Velo so viele Ideen gehabt wie noch nie.»

Das Erstaunlichste aber an diesem Monat per Muskelkraft – und damit die dritte Erkenntnis – war für Moseler dies: Er hatte plötzlich mehr Zeit als sonst. Und das, obwohl die Fortbewegung auf den ersten Blick aufwendiger war als sonst. Der Student vermutet: «Ich habe eben meine Wege besser geplant und meine Aufgaben besser eingeteilt. So hatte ich mehr Zeit zur Verfügung als sonst».

«Ich wäre fast schwach geworden»

Nun soll der Verzicht auf motorisierte Mobilität hier nicht schöngeschrieben werden. Ja, es gab Tiefpunkte. So war das Wetter im Mai bekanntlich nicht gerade velofreundlich, nämlich oft regnerisch und kühl. Vier Mal kam Moseler denn auch völlig nass am Ziel an. Und zwar richtig nass. Mit kiloschwerer, vollgesogener Kleidung.

Der allertiefste Punkt war am 9. Mai erreicht, kurz nach dem Beginn des Experiments. Durchnässt stand Moseler mit einem Plattfuss irgendwo zwischen Wankdorf und Zolikofen. Da kam schon die Idee, aufs Tram umzusteigen. «Ich wäre fast schwach geworden», gesteht der Student.

Überhaupt gebe es ja so Tage, an denen nichts funktioniere. Die Autofahrer rücksichtslos. Die Zugschranke eine gefühlte Ewigkeit unten. Auch daraus habe er gelernt. «Ich lasse mich nicht mehr so schnell nerven. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen.»

Ein Zwischenstopp zum Duschen

Was ist jetzt das grösste Problem, wenn man einen Monat lang alles per Velo erledigt? Moseler muss nicht lange nachdenken. «Die Dusche», sagt er breit grinsend. Seine Teilzeitstelle ist nämlich in der berühmten Gelateria di Berna, 36 Velokilometer von seiner WG in Biel entfernt. Der angehende Lebensmittelspezialist ist Teil des Teams, das dort die legendäre Glace produziert. Um also nicht völlig verschwitzt zur Arbeit zu erscheinen, musste Moseler immer noch einen Zwischenstopp an der Fachhochschule in Zollikofen einlegen, wo den Studenten Duschen zur Verfügung stehen.

Und dann gibt es noch die Freundin. Sie wohnt in Bern, am anderen Ende der Stadt. «Da habe ich eben zuerst geduscht, wenn ich sie besucht habe.» Ein Problem sei das nicht gewesen, betont Moseler und fügt lachend hinzu: «Sie hat ja die Wahl gehabt, ob sie mich geduscht oder ungeduscht will.»

Einige Kilogramm Kohlendioxid

Als Moseler das Experiment am 31. Mai beendete, war er nicht nur deutlich schneller auf dem Velo geworden. Er hatte nach 16 Fahrten zwischen Biel und Bern  – und einigen sonstigen Ausflügen – auch rund 180 Kilogramm CO2 eingespart – im Vergleich zum Verkehrsmittel Töff. Im Vergleich zur Bahn wären es etwa zwei Kilogramm gewesen. Berechnungen dazu sind übrigens auf der Internetseite energie-umwelt.ch möglich.

Allerdings war der Schutz der Umwelt nur einer von drei Gründen, warum Moseler den Versuch gewagt hatte. Es sei auch eine «Challenge an die eigene Bequemlichkeit» gewesen. Und vor allem aber wollte er körperlich «erfahren», wie es um seine eigenen Mobilitätsansprüche steht. Moselers Fazit: «Meine Mobilität ist im grünen Bereich.»

Er würde es «auf jeden Fall» nochmals tun

Moseler selbst spricht übrigens nicht vom Muskelkraft-Monat, sondern von seiner ÖV-Diät, also dem Verzicht auf den öffentlichen Verkehr. Seine Erklärung: «Andere fasten oder verzichten auf Alkohol. Oder werden Vegetarier, was ja auch gut fürs Klima sei.» Solche Einschränkungen fielen ihm aber viel schwerer. Hingegen den motorisierten Antrieb eine Weile stillzulegen, das sei eben seine Form der Diät. Seine ÖV-Diät.

Würde er es nochmals machen? «Auf jeden Fall», antwortet Moseler, und die Augen leuchten wieder. «Allerdings nicht jetzt gerade.» Denn im Augenblick stehen die Prüfungen zum Semesterabschluss an, und die Vorstellung, ein wichtiges Examen wegen einer Velopanne zu verpassen, sei dann doch nicht angenehm. Anschliessend, in den Sommerferien, werde er auf jeden Fall darauf zurückkommen. Denn in die Ferien will er dieses Jahr sicher mit dem Velo aufbrechen.

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