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Corona-Blog

Mein tapferer Apfelbaum

Auf der Wiese vor meinem Balkon wächst ein Apfelbaum. Niemand weiss, wie alt er ist, wohl an die hundert Jahre.

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Brigitte Jeckelmann, Redaktorin Region

Bewachsen von grünem Moos und Flechten sind Stamm und Äste. Die Flechten bilden einen hellgrauen Belag, der ungesund aussieht. Es handle sich um eine Flechte der Gattung Lepraria, habe ich mir von Fachleuten der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft sagen lassen, denen ich ein Foto des Baums geschickt habe. Flechten sind Mischwesen. Sie bestehen aus Pilzen und Grünalgen oder Cyanobakterien und betreiben Fotosynthese wie Pflanzen. Die Wissenschaftler sagen, die Flechten schaden dem Baum nicht. Damit haben sie mich beruhigt, denn ich machte mir schon Sorgen um meinen tapferen Apfelbaum, der mir gerade in diesen Zeiten jeden Morgen mit seinem Anblick Mut macht – weil er selber mit unbändiger Lebenskraft Jahr für Jahr weiter wächst und blüht. Seine Äpfel sind eine frühe Sorte, sie werden manchmal schon im Juni reif, sind klein, knackig und schmecken säuerlich. Mal hat es mehr davon, mal weniger. Vor einigen Jahren hat man den Apfelbaum arg misshandelt: Man hat ihm die Krone flachrasiert und einen dicken Seitenast abgesägt. Es wird wohl Gründe dafür gegeben haben. Vielleicht waren die Äste morsch und daher für Menschen eine Gefahr, sollten sie abbrechen? Wie auch immer. Da stand er nun wie der einarmige Frankenstein. Für mich war klar: Das überlebt er nicht. Glücklicherweise lag ich falsch. In den folgenden Jahren bemühte sich der Baum sichtlich, sein Gleichgewicht wieder zu erlangen. Ganz oben auf der Krone wuchs schon bald wieder ein Ast empor, die Wunde des amputierten Arms ist zwar noch längst nicht geschlossen. Aber man erkennt, wie die Rinde versucht, die Verletzung zu überwallen. Der Ast auf der Krone ist inzwischen weiter gewachsen und wenn der ganze Baum Blüten und Blätter trägt wie jetzt im Frühling, dann sieht er wieder aus, wie ein Baum aussehen soll. Seine Krone ist wieder rund und buschig. Er reckt seine Äste der Sonne entgegen und wird auch dieses Jahr wieder Äpfel haben. Der tapfere Apfelbaum sagt mir täglich: Lass dich nicht unterkriegen, das Leben geht weiter und alles wird wieder gut.

bjeckelmann@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Coronablog, Apfelbaum, Natur

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