Sie sind hier

„Krawattenzwang“

Mit 55 befiehlt das Kleingedruckte: Risikogruppe

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, Chefredaktor „Bieler Tagblatt“, wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Mit 55 befiehlt das Kleingedruckte: Risikogruppe.

Bernhard Rentsch: Krawattenzwang
  • Dossier

Risikogruppe – ein Ausdruck, der aktuell ins Bewusstsein von uns allen gehämmert wurde. Einerseits sind damit Eigenschaften bei uns Menschen gemeint, die physischer oder psychischer Natur sind und nicht beeinflusst werden können. Andererseits sind es kalendarische Grenzen, die zuweilen etwas zufällig wirken. Die Tatsache, dass in jedem Lebensabschnitt das biologische und das kalendarische Alter stark differenzieren können, wird dabei wenig oder gar nicht berücksichtigt. Das biologische Alter verrät, in welchem Zustand unser Körper wirklich ist. Kalendarisch meint die rein rechnerische Differenz des aktuellen Jahrs minus Jahrgang.

Die kalendarische Definition, wer im aktuellen Fall den Risiken einer Pandemie mehr ausgesetzt ist, ist in der Tat zufällig, wenn auch statistisch untermauert. Aber klar, «alt» und damit besonders gefährdet fühlt man sich halt schon ziemlich lange nicht.

Während des ganzen Lebens gibt es viele kalendarische Grenzen, die die eine oder andere Diskussion erlauben. Das Alter für die Einschulung ist eine klassische Fragestellung. Ist das Kind mit 5, 6 oder 7 Jahren schulreif? Weiter geht es mit «wichtigen» Schritten mit 14, 16 und 18 Jahren. Das Recht, sich nach bestandener Prüfung mit Töffli oder Traktor «richtig» in den Strassenverkehr einzufügen, die offizielle Erlaubnis zum Bierkonsum oder schlicht das Erreichen der Volljährigkeit mit allen Rechten und Pflichten sind wesentliche Etappen auf dem Weg zum Erwachsensein. 20 heisst für die jungen Frauen und Männer Einrücken in die RS. Danach folgen insbesondere die Nullerschritte, die häufig in etwas grösseren Geburtstagsfeiern münden.

Zurück zur Bezeichnung Risikogruppe: Beiläufig wurde mir mit 55 Jahren vor Augen geführt, dass auch in diesem Alter eine Grenze überschritten wird. Bei leichtem Rückenschmerz helfen praktische Auflagen durch den Alltag. Die während einiger Stunden fühlbare Wärme sorgt dafür, dass nicht Medikamente eingenommen oder medizinische Abklärungen getätigt werden müssen. In der Regel ist das eine Massnahme, die wie in meinem Fall für Linderung sorgt. Aber oha lätz: Die aktuelle Anwendung lenkte den Blick auf das Kleingedruckte. Und da stand: Ab einem Alter von 55 Jahren soll die Wärmeauflage nicht mehr direkt auf die Haut aufgelegt werden.

Diskriminierung – so der Aufschrei. Aber dann: Nein, Risikogruppen werden eben statistisch nach dem Kalender bestimmt. Ob man will oder nicht.


brentsch@bielertagblatt.ch

Twitter:
@BernhardRentsch

Nachrichten zu Biel »