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Biel

«Mit der Zeit wird man zum Velopsychologen»

Seit über 40 Jahren flickt Christian Stauffer im «Grüene Huus» Velos. Als Jugendlicher hat er das nötige Werkzeug zusammengesucht und an Samstagnachmittagen Reparaturen angeboten.

Christian Stauffers rückenschonende Eigenkreation ist für einen grossen Menschen gebaut. Bild: Peter Samuel Jaggi
  • Dossier

Aufgezeichnet: Mengia Spahr

Das "Grüene Huus" war schon viel_ Pfarrhaus, Jugendtreff, Töpferwerkstatt und Fotostudio - jetzt ist es eine Velowerkstatt. Mein langjähriger Mitarbeiter und ich diskutieren gerne über Politik. Ich bin bei der Partei der Arbeit. Aber als Laden kann man keine politische Position beziehen. Also versorgen wir die Leute mit politischer Satire. Wir möchten auch unsere Lehrlinge sensibilisieren. Manche von ihnen wissen nicht einmal, wie viele Kantone es inder Schweiz gibt, oder was der Unterschied zwischen National- und Ständerat ist. Wir wählen die Lernenden sorgfältig aus. Lieber bilden wir niemanden aus als eine Person, die nicht passt. Schulnoten interessieren mich nicht. Wichtig sind mir Disziplin, Courage und die Art und Weise, wie sich jemand in die Gemeinschaft einbringt. Dass Frauen die Lehre absolvieren, ist immernoch eine Seltenheit. Im Betrieb hatten wir bisher zwei Lehrtöchter.

Ich interessierte mich schon in jungen Jahren für kaputte Plattenspieler, Wecker oder Radios. Ich sezierte die Dinge und studierte, wie sie funktionieren. Ich erkannte beispielsweise, dass der Kondensator des Radios kaputt war, kaufte im Elektronikshop einen neuen und lötete diesen ein. Wenn das Teil dann wieder funktionierte, war das Erfolgserlebnis riesig. Klar ging manchmal etwas schief – mal hat etwas Feuer gefangen oder enorm gestunken und war dann völlig zerstört. Durch das Flicken kam ich zu den Velos. Denn an diesen quietscht oder schleift immer etwas. Danach kamen die Töffli-Geschichten, die ersten Motorfahrräder. Vom Grossvater bis zum Bruder besass jeder eines.

Nach der Schule begann ich die Handelsschule, das war jedoch nichts für mich. Ich hatte Glück und fand in Brügg eine der raren Lehrstellen als Velomechaniker. Noch im ersten Lehrjahr begann ich mit einem Kollegen an den Samstagnachmittagen im «Grüene Huus» Velos zu flicken. Das war 1980 und ich war 16 Jahre alt. Das Haus war schon immer grün gestrichen. Die Farbe passte zur Zeit, in der die Sorge um den Umweltschutz aufkam. Manchmal brachten uns die Leute auch kaputte Staubsauger oder einen Föhn. So etwas konnte man damals noch reparieren. Heute ist eine Reparatur im Vergleich zu einem Neukauf oft viel zu teuer. Ausserdem kann man keine Ersatzteile mehr bestellen und die Technologie ist «vermurkst» und vergossen wie in einem Smartphone, sodass man nichts mehr auseinandernehmen kann.

Privat hat niemand von uns ein Auto. Wir sind alle viel mit dem Fahrrad unterwegs. Unsere Lehrlinge haben ihre Rennboliden und der Werkstattchef macht oft Veloferien. Er besitzt wohl ein Dutzend Fahrräder und liebt alle. Einige hat er aus Schrottvelos zusammengebaut. So entstehen wunderschöne Velos. Auch ich hatte meine Zeit, in der ich auf dem Sattel ganz Frankreich durchquerte. In Paris waren meine Freundin und ich die einzigen Velofahrer. Und man «blochte» mit vielleicht fünf Gängen durch den Jura. Da hat man in den Steigungen das Velo gestossen. Nun bin ich älter, gehe viel mit dem Hund laufen und bin auf dem Elektrovelo unterwegs.

Es gibt Dinge, die man als Velomechaniker nicht gerne macht. Wenn jemand mit einem total verdreckten Fahrrad kommt, das neu vielleicht 299 Franken gekostet hat, und den Anspruch hat, dass dieses nach der Reparatur wieder wie neu daherkommt, nerven wir uns. Dann benötigt man alleine für das Einstellen der schlechten Bremsen eine halbe Stunde, aber unsere Arbeit darf ja nicht zu teuer kommen, wenn das Velo so billig ist.

Manchmal ist der Umgang mit den Besitzern schwieriger als die Reparatur des Velos. Anfangs war ich verärgert, wenn ausländische Kunden den Preis runterhandeln wollten. Bis ich verstanden habe, dass in ihren Herkunftsländern gefeilscht wird. Man muss sich immer gut überlegen, wie man etwas so rüberbringt, dass die Kunden mit uns und dem Angebot zufrieden sind. Mit der Zeit wird man zum Velopsychologen – also für die Menschen, nicht für die Velos.

Wir spüren, dass die Leute wegen der Coronapandemie mehr Velo fahren als sonst. Normalerweise haben wir zu dieser Jahreszeit für grössere Arbeiten drei Wochen Wartezeit – jetzt sind es vier. Man hört im Moment oft, es gehe den Velohändlern gut. Das entspricht jedoch nicht ganz der Wahrheit. Wir dürfen zwar arbeiten, haben viele Aufträge und Kundenkontakt, aber wir erreichen bei Weitem nicht den gewohnten Umsatz. Denn 30 Prozent der Einnahmen machen wir mit dem Veloverkauf und momentan gibt es enorme Lieferengpässe, da die meisten Fahrradteile in Asien produziert werden und dort alle Fabriken geschlossen waren.

Es können nur Schweizer Velos geliefert werden, die viel teurer sind. Davon verkaufen wir nicht viele, aber das Schöne an hochwertigen Fahrrädern ist, dass die Besitzerinnen sie oft mehr wertschätzen und besser pflegen. Mein persönliches Ding sind Oldtimer: ein altes Dreigang-, ein Engländer- oder ein Militärvelo. Damit komme ich gut zurecht und ich kenne alle Tricks, die es für die Reparatur braucht.

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