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Mit Fluchen und Humor gegen Alltagssorgen

Iris Reeves verbringt ihre Freizeit vorwiegend in der virtuellen Welt. Mit Witz und Schalk will sie ihren Zuschauern ein Lächeln entlocken – damit verdient sie Geld. So unbeschwert wie ihre Videos verlief ihr Leben aber nicht.

Die Bieler Youtuberin Iris Reeves führt ein Leben im virtuellen Scheinwerferlicht. Für zahlreiche Teenager ist sie ein Vorbild. (Anita Vozza)
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von Esthy Rüdiger

«Weisst du noch, als ich im Ausgang war, an Silvester?», fragt Iris Reeves ins Telefon. Sie verkneift sich das Lachen, prustet um ein Haar los. «Ja?», tönt es aus dem Lautsprecher. Es ist ihr bester Freund. «Ich habe mich da vollgesoffen. Dann habe mit jemandem rumgemacht, bin mit ihm auf die Toilette. Und habe nicht an Schutz gedacht. Ich bin am Arsch!» Wenig später ruft sie lachend ins Handy:«Verarscht!»

Was die junge Frau tut – Leute am Telefon reinlegen – haben tausende von Jugendlichen schon vor ihr getan. Aber Iris Reeves, die ihren echten Nachnamen nicht öffentlich lesen will, filmt sich dabei. Dann stellt sie den Film auf das Videoportal Youtube, wo ihn jeder sehen kann. Genauso wie zahlreiche andere Comedy-Videos des Teenagers: Sie filmt sich dabei, wie sie mit ihrer Schwester in Barcelona vor dem Hotelzimmer-Spiegel tanzt. Und wie sie sich wiederum ohne Spiegel zu schminken versucht.

20'000 Zuschauer pro Video

Wenn Iris Reeves spricht, tut sie das melodiös und mit einer stetigen «Was willst du?»-Attitüde im Unterton, so authentisch, wie sie nur bei einem Teenager vorkommt. Ihr braunes, krauses Haar hat sie geglättet und auf den Lippen einen glänzenden, rosa Lipgloss aufgetragen. Die Kleidung ist schlicht, um den Hals liegt eine feine Goldkette mit Dreiecks-Anhängerchen.

Die 17-jährige Bielerin sitzt mit aufrechter Haltung auf dem Bett ihres Teenagerzimmers. An der weissen Wand hängen Fotos von Freunden, auf der gegenüberliegenden Seite ein grosses Regal mit Schulordnern.  Auf den ersten Blick macht es kaum den Anschein: Das Zimmer ist auch ihr Video-Studio. Die Comedy- und Beautyvideos der Halbbrasilianerin sehen sich regelmässig um die 20'000 Menschen an. 9500 Zuschauer wollen informiert werden, wenn Iris Reeves ein neues Comedy-Video hochlädt. Auf ihrem Beauty-Kanal sind es gut 13'000. Ihr erfolgreichstes Video – ein Tutorial, wie mit Eyeliner möglichst realistische Tattoos gezeichnet werden – wurde fast 165'000 mal angesehen.

«Ich würde mich als aufgedreht beschreiben. Huere aufgedreht. Und sympathisch.» Der Teenager trägt sein Herz unzensiert auf der Zunge. Wörter wie «Shit», «huere» oder «verreckt» fallen bei ihr so beiläufig wie Späne beim Hobeln. Ihre Augen funkeln, wenn sie über ihr Hobby, Youtube, spricht. Aus eigener Erfahrung habe sie erlebt, wie wenige Minuten auf Youtube einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern können. «Ich will, dass die Leute ihre Alltagssorgen wenigstens für fünf Minuten vergessen, wenn sie meine Videos sehen», sagt sie.

«Es hiess, ich sei nicht lustig»

Iris Reeves Leben war nicht nur von Lächeln und Unbeschwertheit geprägt. Mit Youtube angefangen hat sie, erst nur als Zuschauerin, mit gerade einmal dreizehn Jahren – weil sie in der Schule nicht viele Freunde hatte. «Ich ging nach der Schule lieber nach Hause und sah mir Videos an, anstatt mich mit Klassengspänli zu treffen», sagt sie. Youtuber kamen zu jener Zeit zu einem grossen Teil aus England und den USA. Iris hat auf diese Weise ihr heute astreines Englisch gelernt.

Mit vierzehn Jahren begann sie, ihre ersten Videos auf das Videoportal zu laden. In englischer Sprache und unter diversen Pseudonymen. «Als meine Klassenkameraden den Kanal entdeckten, gab’s Spott und Häme: Ich sei nicht lustig und die Videos seien lächerlich.» Sie löschte ihren Kanal, eröffnete einen neuen. Auch dieser wurde von den Mitschülern entdeckt. Das gleiche Spiel von vorne. Mehrmals.

Dann fasst das Mädchen einen Entschluss: Sie bewirtschaftet ihr Youtube-Konto unbeirrt weiter, lädt Videos hoch. Sollte sie 2000 Abonnenten erreichen, würde sie sich nicht mehr verstecken. Sie würde ihr Konto auch für ihre Freunde öffentlich machen und auf ihren privaten Social-Media-Kanälen promoten. Sie schafft es bei Weitem.

Gutes Taschengeld zum Lohn

Heute verdient Iris Reeves Geld mit ihren Youtube Accounts. Pro Klick, nicht pro Abonnent. Wie viel, darf sie nicht sagen. Einzig: «Es ist ein gutes Sackgeld zu meinem Lehrlingslohn.»

Wie fast alle Youtuber mit hohen Zuschauerzahlen arbeitet auch Iris Reeves mit Firmen zusammen. Etwa mit dem Lehrlingsportal Gateway Solutions. Sie ging als Botschafterin an die Lehrlingsmesse in Zürich, warb am Gateway-Solutions-Stand für das Portal. Zusätzlich soll sie diverse Videos drehen, die im weitesten Sinn mit Lehrstellensuche zu tun haben. Kreative Einschränkungen hat sie dabei nicht.

«Ich kann mich sehr gut mit Jugendlichen identifizieren, die Mühe haben, eine Lehrstelle zu finden», sagt Iris. Für sie war zwar früh klar, dass sie Zeichnerin Fachrichtung Architektur werden wollte – «also Hochbauzeichnerin», ergänzt sie. Doch eine Lehrstelle blieb aus. Nach langer Suche kam sie in ein Bieler Architekturbüro. Aus Gründen, die sie nicht näher kommentieren will, wechselte Iris kurz nach Antritt die Lehrstelle und landete in Bern.

Heute ist Iris Reeves im dritten Lehrjahr. Der Job gefällt ihr. Ihre Kollegen wissen von ihrem «Hobby» und finden toll, an welche Events sie dieses bringt. Wie bekannt Iris bei Schweizer Teenagern ist, wissen sie nicht.

Die junge Frau plant, die Berufsmatur zu absolvieren und vielleicht Architektur zu studieren. Festlegen will sie sich aber nicht. Von Youtube zu leben, ist für sie noch schwer vorstellbar. «Natürlich wär’s schön – aber in der Schweiz fast unmöglich.»

Sich nicht auf eine Sache zu verlassen, hat ihr auch ihr Job zur Genüge gelehrt. Vor wenigen Tagen, eineinhalb Jahre vor dem Lehrabschluss, erfuhr sie vom eingeleiteten Konkursverfahren ihrer Firma. Sie wird erneut die Lehrstelle wechseln müssen.

Heute scheut sie keine Kritik

«Momentan verläuft mein Leben ziemlich stressig. Youtube kommt deshalb ein wenig zu kurz», so Iris Reeves. Lädt sie sonst ein Video pro Woche und Kanal auf Facebook, ist es derzeit eines pro Monat. Obwohl sie mit dem englischsprachigen Beauty-Kanal begonnen hat und dort auch die höchsten Zuschauerzahlen verzeichnet, bewirtschaftet sie heute hauptsächlich ihren schweizerdeutschen Comedy-Kanal.  

Im Gegensatz zu früher scheut sie negative Kritik nicht mehr. In einem Video liest sie die Hass-Kommentare mit Inbrunst vor, um dann entweder zu kontern oder zu zeigen, wie egal ihr solche Kommentare sind. Manche Kommentare sind jenseits des guten Geschmacks:«Falls du dich umbringen wills, helf’ ich dir gerne», steht unter einem ihrer Videos.

Iris Reeves zeigt sich mittlerweile unbeirrt ob solchen Sprüchen. «Als mir das erste Mal jemand gesagt hat, ich hätte eine grosse Nase, war ich unglaublich verletzt. Dabei weiss ich, dass es Bullshit ist.» Menschen, die im Internet Hass-Tiraden schreiben, hätten selbst ein Problem und würden die Anonymität im Internet ausnützten, sagt sie. «Ein erfüllter Mensch, der seinen Träumen nachgeht, hat keinen Grund, solchen Scheiss zu schreiben.»

Beste Freunde sind Youtuber

Als sie mit Youtube begann, hörte sie im persönlichen Umfeld viel Kritik. Je bekannter sie wurde, desto weniger Sprüche kamen. «Heute sagt mir niemand mehr ins Gesicht, dass er mich scheisse findet. Die negativen Stimmen beschränken sich auf das Internet.» Iris Reeves’ beste Freunde sind allesamt auch Youtuber. Der weitere Freundeskreis schliesst aber auch Teenager fernab des Videoportals mit ein.

Die Eltern waren erst skeptisch, als sie von der Online-Identität ihrer Tochter erfuhren. Dann sahen sie den Erfolg ihrer Tochter und ihre Freude, Videos zu produzieren. Sie erlebten, wie Iris auf der Strasse erkannt wurde und Zuspruch erhielt. Die Eltern revidierten ihre Meinung und unterstützten fortan ihre Tochter.

Iris Reeves hat sich zur selbstbewussten jungen Frau gewandelt. An manchen Tagen trägt sie ihr Haar deshalb auch kraus. «Mittlerweile finde ich meine Naturhaare schön», sagt sie in einem Video. Es könne schon sein, dass das Internet, der viele Zuspruch und die Aufmerksamkeit ihr zum nötigen Selbstbewusstsein verholfen haben. «Aber ich wurde auch älter und damit reifer.»

Auf ihre Parallelidentität angesprochen, wiegelt Iris ab: «Ich bin authentisch. Genau so wie ich mich im Internet gebe, bin ich auch privat und im Geschäft. Naja, vielleicht fluche ich nicht so oft bei der Arbeit.»

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