Sie sind hier

Abo

Regionalverkehr

Mitstreiter wenden sich vom Verein «Westast – so nicht» ab

Die umstrittenen Auftritte von Vorstandsmitgliedern des Vereins, der die Autobahnumfahrung verhindert hat, haben Konsequenzen. In einer Erklärung distanzieren sich die Mitstreiter. Ein Verband beendet gar die Zusammenarbeit.

Medienkonferenz der Behörden am 1. November: Der Auftritt der Westast-Gegner sorgte für Irritation. Bild: Barbara Héritier
  • Dossier

Julie Gaudio/pl

Aus den Empfehlungen des Dialogprozesses zum Westast der A5-Umfahrung ist die übergeordnete Projektorganisation Espace Biel Nidau entstanden. Gestern tagte das Gremium zum dritten Mal (siehe Zweittext). Wie schon die ehemalige Dialoggruppe setzt sich die neue Koordinationsorganisation aus Vertretern aller Interessengruppen zusammen: sanfte Mobilität, motorisierter Individualverkehr, Klimaschutz usw.

Auf der aktuellen Plattform der Projektorganisation stellt die Initiative «Westast – so nicht» eine Mehrheit von Personen, die das Autobahn-Umfahrungsprojekt des Bundes bekämpft hatten. Zu Espace Biel Nidau gehören verschiedene weitere Organisationen, die dasselbe Ziel verfolgen.

Nachdem der Bundesrat den A5-Westast abgeschrieben hat, stehen die ursprünglichen Anliegen nicht mehr im Vordergrund, erklärt Urs Scheuss vom Vorstand des Verkehrsclubs der Schweiz VCS: «Wir wollten die Autobahn mit den Anschlüssen im Stadtzentrum um jeden Preis verhindern und wären dafür bis vor Bundesgericht gezogen.» Deshalb hatte sich der Club «aus strategischen Gründen» den Protesten von «Westast – so nicht» angeschlossen. «Jetzt, wo das Projekt gebodigt wurde, ziehen wir uns zurück», so Scheuss. In Zukunft engagiert sich der VCS unabhängig von den Autobahngegnern auf der neuen Plattform Espace Biel Nidau.

 

Gehässiger Ton stört

Der Rückzug des VCS aus dem harten Kern der Anti-Westastbewegung hat weitere Gründe, wie Urs Scheuss unumwunden darlegt: «Wir missbilligen die Art und Weise, wie Vorstandsmitglieder von «Westast – so nicht» gegenüber Behördenvertretern auftreten, die ihre Aufgabe als Koordinatoren der Dialoggruppe wahrnehmen.» Das gelte besonders für die Kommunikation mit dem Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr und seiner Nidauer Amtskollegin Sandra Hess, ergänzt Scheuss.

Die Westast-Gegner waren am 1. November ohne Einladung an einer Medienkonferenz im Volkshaus erschienen und verlangten von den Behörden «mehr Transparenz». Hervé Roquet und Catherine Duttweiler vom Vorstand des Vereins «Westast – so nicht» nutzten den Anlass, Erich Fehr, Sandra Hess und Regierungsrat Christoph Neuhaus kritische Fragen zu stellen. Die drei Mitglieder der Exekutive waren zur Eröffnung einer dreitägigen Ausstellung über die Plattform Espace Biel Nidau gekommen.

In einer gemeinsamen Erklärung geben die Verbände VCS, Heimatschutz, Pro Velo, Fussverkehr und Netzwerk Bielersee Gegensteuer: Sie unterstützen die Arbeit der übergeordneten Projektorganisation Espace Biel Nidau und «sind gewillt, dabei auf der Basis von Vertrauen und gegenseitigem Respekt konstruktiv und kritisch mitzuwirken.»

Dieses Bestreben werde «durch die ständigen Angriffe des aktuellen Komitees ‹Westast – so nicht› auf die Behörden immer mehr verunmöglicht». Deshalb distanzieren sich die Verbände von dieser Organisation und fordern sie auf, ihr «Vorgehen zu überdenken».

Pro Velo hat sich noch nicht offiziell von den Autobahngegnern getrennt, aber die Entscheidung liegt auf dem Tisch: «Darüber werden wir sicher an unserer Generalversammlung Anfang Januar beraten», bestätigt Matthias Rutishauser, der Verantwortliche von Pro Velo Biel–Seeland–Berner Jura. Sein Verein sei grundsätzlich gleicher Meinung wie «Westast – so nicht». Deshalb setzte er sich für die rasche Umsetzung von kurz- und mittelfristigen Verkehrsmassnahmen ein. «Allerdings findet der aggressive Ton der Vorstandsmitglieder bei uns kein Gehör», so Rutishauser.

 

Rüder Ton «für den guten Zweck»

Hervé Roquet will nicht verhehlen, dass er und seine Kollegen von «Westast – so nicht» Klartext sprechen und gelegentlich einen rüden Ton anschlagen: «Wir stehen dazu, denn die Verwaltung sagt uns nicht die ganze Wahrheit, und das muss sich rasch ändern», so Roquet. Sein Verein habe Kenntnis von amtlichen Dokumenten, aus denen hervorgehe, dass die Behörden offenbar den Juratunnel mit einem Anschluss auf Stadtgebiet als einzige langfristige Lösung verfolgten. «Nach unserem Verständnis verstösst diese Haltung klar gegen den Konsens, den wir im Dialogprozess gefunden haben», sagt der Westastgegner.

Am 26. November erschien im «Bieler Tagblatt» ein Interview mit Erich Fehr. Der Stadtpräsident dementierte darin jeden Vorentscheid und bekräftigte, dass ein derartiges Projekt nicht zur Debatte stehe. Hervé Roquet erklärt, warum er trotzdem nachgehakt hat: «Wir haben die Konfrontation gewagt, um uns Gehör zu verschaffen, damit wir konstruktiv zusammenarbeiten können.»

 

Pro Velo will Anhörung abwarten

Pro Velo will seine Zusammenarbeit mit den Autobahngegnern nicht ohne Anhörung aufkündigen: «Wir erwarten von «Westast – so nicht» klare und anwendbare Positionen. Was wollen sie tun – und vor allem: wie?», erklärt Matthias Rutishauser.

Urs Scheuss geht strenger mit dem streitbaren Verein ins Gericht: Dieser habe «nicht verstanden», dass die neue Projektorganisation «nicht ganz dieselben Aufgaben wie die ehemalige Dialoggruppe» erfülle. Es gehe jetzt darum, politische Entscheide zu begleiten und nicht zu fällen. Der VCS wird diesen Auftrag bei den Beratungen im Auge behalten, so Scheuss.

Immerhin erklärt Hervé Roquet von «Westast – so nicht»: «Die Projektorganisation ist ein privilegierter Ort der Teilhabe für die Zivilgesellschaft.» Allerdings setze eine effektive Mitwirkung voraus, dass die Behörden das Gremium «transparent und unabhängig» informierten.

 

*********************************************************

Eine angeregte Diskussion – mit Zwischentönen

Ein Jahr ist vergangen, seit die Empfehlungen aus dem Dialogprozess zum A5-Westast verabschiedet worden sind. Passend zu diesem Jubiläum hat sich gestern Abend die Reflexionsgruppe der Projektorganisation Espace Biel Nidau getroffen, um zu erfahren, was seither passiert ist. Die Gruppe besteht aus den am Dialogprozess aktiv beteiligten Fachorganisationen und -verbänden. Im Stadtratssaal haben der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr (SP) und die Nidauer Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP) als Vertreter der Behördendelegation einen Einblick in ihre Arbeit gewährt und die angestrebten kurz- und mittelfristigen Massnahmen zur Verbesserung des Verkehrs in der Region vorgestellt. Ausserdem gab es einen Ausblick auf die nächsten geplanten Schritte.

Laut Fehr soll ein Schwerpunkt auf der verkehrlichen und städtebaulichen Umgestaltung des Bereichs zwischen Seefels und Bernstrasse liegen. Ein weiterer Fokus liege darauf, den Nutzen und die Machbarkeit des Porttunnels zu prüfen. In gemischten Gruppen haben sich die Mitglieder der Reflexionsgruppe anschliessend über das Gehörte ausgetauscht. Hess sprach danach von einer «sehr angeregten Diskussion». Die Mitglieder der Reflexionsgruppe bezeichneten die Sitzung als konstruktiv, man habe einen interessanten Einblick erhalten und sei auf gutem Weg. Immer wieder schlichen sich aber auch kritische Zwischentöne in ihre Voten ein. Es scheint, als ziehe sich ein unüberwindbarer Graben durch die Gruppe.

Als Vertreterin der Wirtschaftsverbände äusserte sich die Bieler Stadträtin Cécile Wendling (FDP): Man befürworte die Organisationsstruktur und das Rollenverständnis innerhalb der Projektorganisation. «Die Verbände werden sich engagieren und sachlich einbringen, das ist unser oberstes Ziel», so Wendling. Gleichzeitig erwarte man, dass das Komitee von «Westast – so nicht» seine Gesprächskultur so anpasse, «dass inhaltliche und nicht rein ideologisch geprägte Diskussionen geführt werden können». Andernfalls werde man die Zusammenarbeit überdenken.

In eine ähnliche Kerbe schlug Peter Bohnenblust als Vertreter des TCS, Sektion Biel-Seeland. Es gehe nun darum, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen – und zwar auch für die Schliessung der Lücke im Nationalstrassennetz. All dies benötige für die Umsetzung Zeit und Geld. Entsprechend halte er nicht viel vom Ampelsystem von «Westast – so nicht», das zeigt, wie weit die Behörden die Empfehlungen aus dem Dialogprozess umgesetzt haben. «Das Ampelsystem erweckt den falschen Eindruck, dass die Behörden nicht vorwärtsmachen. Es ist schade, dass damit Misstrauen gesät wird», so Bohnenblust. Er selbst sei der Auffassung, dass man sich auf gutem Weg befinde.

Urs Scheuss vom VCS lobte die Behördendelegation dafür, dass sie die Reflexionsgruppe über den aktuellen Stand der Dinge informiert habe. Man wisse nun, welche Schritte als Nächstes angegangen werden – etwa bezüglich Porttunnel und Schliessung der Autobahnlücke. Kritischer fielen die Voten der beiden Mitglieder von «Westast – so nicht» aus. Der Bieler Stadtrat Alfred Steinmann (SP) bedauerte, dass die Reflexionsgruppe keine Entscheidungskompetenz hat. Grundsätzlich habe zwar ein Einblick in den Stand der Arbeiten stattgefunden, es gebe aber noch viele offene Fragen. Als positiv hob er hervor, dass die sogenannte Seelandtangente als Alternative zum Westast nun doch noch überprüft werden soll. Nicht zuletzt zog Catherine Duttweiler eine Bilanz. Die Gespräche seien konstruktiv und interessant gewesen. Bezüglich der am Komitee geäusserten Kritik wolle sie den Ball zurückgeben: Im Gegensatz zu anderen sei es nicht die Art des Komitees, damit zu drohen, nicht mehr mitzuarbeiten.

Als Fazit lässt sich also sagen: Trotz der teils wohlwollenden Schlussfolgerungen lässt sich das vorhandene Konfliktpotenzial innerhalb der Reflexionsgruppe schlicht nicht leugnen.

Carmen Stalder

Nachrichten zu Biel »