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Westast

«Müssen wir in Biel aus Solidarität zwei Löcher in Kauf nehmen?»

Kein anderes Thema beschäftigt die Bielerinnen und Bieler derzeit so stark wie die Autobahn – die gebaute und die noch nicht gebaute. Das Komitee «Westast – so nicht!» hat vor Kurzem eine Variante zum Westast vorgestellt: «Westast – so besser!» soll nur die Hälfte kosten, eine kürzere Bauzeit aufweisen und ohne die beiden Anschlüsse «Bienne Centre» und «Seevorstadt» auskommen. Peter Bohnenblust ärgert sich über diese Angaben, «die einem Wunschzettel gleichen». Daniel Sigrist hält dagegen und sagt, wie das offizielle Projekt die Wohnqualität verschlechtere.

copyright: Frank Nordmann
  • Dossier

Interview: Deborah Balmer


Für welche Strecke sind Sie in den letzten Wochen bereits über den Ostast gefahren?


Peter Bohnenblust: Einmal fuhr ich vom Brüggmoos ins TCS-Center im Bözingenfeld, ein anderes Mal nutzte ich den Anschluss Orpund, um dann über den Ostast und das Brüggmoos heimzufahren.
Daniel Sigrist:Vor gut einem Jahr bin ich an einer Mitgliederversammlung von Pro Velo mit dem Fahrrad durch die Tunnels gefahren. Seither nicht mehr.


Welchen Eindruck haben Sie seit der Eröffnung von der Stadt?


Bohnenblust: Es gibt seither ganz klare Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere für einzelne Quartiere. An der Madretschstrasse sowie rund um den Kreuzplatz hat es weniger Autos. Wenn eines Tages die ganze Autobahn gebaut ist, werden auch Quartiere rund um die Bernstrasse profitieren.
Sigrist: Letzthin war ich auf der Madretschstrasse unterwegs und hatte auch das Gefühl, dass der Verkehr abgenommen hat. Als Velofahrer hatte ich aber noch immer den Eindruck, dass man vom motorisierten Verkehr viel zu schnell überholt wird. Da muss mit der Hilfe der verkehrlich flankierenden Massnahmen noch einiges geschehen, damit man den Entlastungseffekt beibehalten kann.


Peter Bohnenblust, was dachten Sie, als Sie das erste Mal von der Alternativ-Variante «Westast – so besser!» hörten?


Bohnenblust:Positiv ist, dass die Gegner die Autobahn als notwendig betrachten. Aber gleichzeitig muss ich natürlich sagen: Damit wird ein breitabgestütztes Projekt wie der Westast, das nach einem langen demokratischen Prozess entwickelt wurde, in Frage gestellt. «Westast – so besser!» kommt mir vor wie ein Wunschzettel, den das Gegen-Komitee unter den Tannenbaum legt, dabei aber mit falschen Fakten und Zahlen operiert.


Wieso?
Bohnenblust: Es wird beispielsweise gesagt, dass die Variante nur die Hälfte kostet, was so nicht stimmt. Weiter wird auf dem Wunschzettel aufgeführt, dass der Bau keinen Lastwagenverkehr generieren wird, was ebenfalls falsch ist.
Sigrist: Der Westast war nie so breit abgestützt, wie man nun ständig hört. Die Opposition war schon immer da. Seit dem Jahr 2000 war ich selbst in einer Verkehrskommission zur Autobahn, die Umweltverbände leisteten bereits massiven Widerstand gegen die Autobahn, auch bereits bevor es die Arbeitsgruppe Stöckli gab, die verschiedene Projekte verglich.


Peter Bohnenblust wirft Ihnen Wunschdenken vor.
Sigrist: Die Zahlen stimmen, sonst hätten wir sie nicht so veröffentlicht.
Bohnenblust: Ihr schreibt beispielsweise von 1,1 Milliarden Franken hohen Kosten, klammert dabei aber den Porttunnel aus. Da fehlen doch 260 Millionen Franken. Und wie will man ohne Lastwagen das Material abtransportieren?


Was sagen Sie dazu, Herr Sigrist?


Sigrist: Natürlich gibt es auch bei unserem Vorschlag Lastwagenfahrten. Die werden aber im Brüggmoss direkt auf die Autobahn geleitet, weil wir unseren Tunnel von dort aus bohren. Im Gegensatz dazu belasten beim offiziellen Projekt 600000 Lastwagenfahrten das städtische und regionale Strassennetz wegen der offenen Baugruben «Bienne Centre», «Seevorstadt» und Bernstrasse. Bei der Alternative gibt es keine offenen Baugruben.
Bohnenblust: Ich kritisiere, dass bei «Westast – so besser!» zu stark auf Biel fokussiert wird. Genau deshalb verlangen wir vom Pro-Komitee eine Prüfung der Fakten, damit man sieht, ob es sich dabei tatsächlich um eine echte Alternative handelt. Man sollte das ganz neutral prüfen.  


Das heisst, Sie nehmen das Gegen-Komitee endlich ernst?


Bohnenblust: Wir haben das Gegen-Komitee immer ernst genommen. Doch nun liegen viele Behauptungen vor. Die Hauptfrage ist doch noch immer: Wird die verkehrliche Entlastung erreicht? Dieses Ziel haben doch alle. Wenn sich tatsächlich zeigt, dass der Vorschlag die gleiche oder sogar die bessere Wirkung in Bezug auf Verkehr und die Lebensqualität hat, sind wir die Letzten, die sich dem widersetzen werden.
Sigrist: Ich denke tatsächlich auch, dass wir nun endlich ernst genommen werden. Das Pro-Komitee ist zuvor nie offiziell auf uns zugekommen. Viel mehr wurden wir als Lügner und Verzögerer hingestellt.
Bohnenblust: Weil es falsche Zahlen gibt.
Sigrist: Im offiziellen Projekt gibt es ganz viele Zahlen, die nicht stimmen, etwa Verkehrszahlen. Und es wird mit beschönigenden Bildern gearbeitet. Nehmen wir die Bernstrasse. Dass dort auf halber Strecke ein Kasten an die Oberfläche ragen wird, wurde nie irgendwo dargestellt.
Bohnenblust: Es hat eine Mitwirkung stattgefunden, die Rechtsregeln sind eingehalten worden. Es tut mir Leid, wenn die Leute unter Mitwirkung Mitbestimmung verstehen. Nicht alle Argumente konnten aufgenommen werden, das ist so. Es war ein langer Prozess, doch nun ist das Produkt da. Man muss es nur noch in den Ofen legen und dann rausnehmen.
Sigrist: Ich möchte mich nochmals zur Partizipation der Gruppe Stöckli äussern. Interessierte waren damals nicht eingeladen, sondern ein paar Fachleute und Politiker. Wir sind nun aber innerhalb von zwei Jahren von einer Bewegung mit 15 Leuten zu einer mit 1850 Mitgliedern angewachsen. Das heisst doch: Es gibt ein sehr grosses Bedürfnis in der Bevölkerung, mitzureden. Dank unserem Komitee wurde erst richtig über das Projekt informiert.


Wie das?


Sigrist: Wir informierten auf Stadtwanderungen über das Ausmass und den Eingriff der beiden Anschlüsse. Nur mit Hilfe der Pläne kann man sich das nämlich nicht vorstellen.


Sie reden vom Anschluss «Bienne Centre» in dem die Altstadt von Nidau Platz fände.


Sigrist: Ja, wir haben das den Leuten gezeigt. Auch wir konnten die Dimensionen erst draussen erfassen. Es gab auf den Stadtwanderungen Personen, die von uns erfahren haben, dass ihr Haus abgerissen wird. Da sieht man doch die fehlende Informationspolitik seitens der Projektverfasser. Die Taktik war folgende: Man hält alles unter dem Deckel, macht eine 30-tägige Auflage und dann ist die Einsprachefrist vorbei und das Verfahren wird durchgezogen. Aber es ist eben kein Projekt, das auf Knopfdruck ausgelöst werden kann. Es sind 650 Einsprachen hängig, darunter gewichtige der Verbände. Ebenso gibt es Einsprachen der Städte Biel und Nidau. Nimmt man sie ernst, wird das Projekt viel teurer als vorgesehen.
Bohnenblust: Ich habe nie das Wort Knopfdruck verwendet. Ich sage, dass das Projekt bereit ist, um es in Gang zu setzen. Natürlich ist es beachtlich, dass das Gegenkomitee nun 1800 Mitglieder zählt. Es gibt da allerdings mehrere Dinge zu sagen:Erstens betrifft das Projekt die ganze Region, 170000 Mensch also, so gesehen ist der Anteil der Gegner klein. Sehr viele sind einverstanden mit dem Westast und äussern sich nicht dazu. Die Bevölkerung und die Wirtschaft brauchen diesen Anschluss. Das Zweite:Auch bei den Stadtwanderungen ging es nur um Biel. Alles, was rundherum geschieht, vergass man dabei. Der Eingriff für den Anschluss «Bienne Centre» ist zwar massiv, bringt aber viele Vorteile für das Entwicklungsgebiet rund um den Bahnhof. Man muss bedenken, was dort alles gebaut werden kann. Biel und Nidau werden dank des Westasts eine grosse städtebauliche Entwicklung vollziehen. Ich finde es gut, wenn die Bevölkerung weiss, was auf sie zukommt. Man darf es aber nicht übertreiben.
Sigrist: Sie sprechen von 170000 Einwohnern, da rechnen Sie aber mit Grenchen, Lyss, Erlach und dem ganzen Seeland. Die beiden Autobahnanschlüsse haben aber mit diesen Orten nichts zu tun. Müssen wir in Biel aus Solidarität die beiden Löcher und den Mehrverkehr in Kauf nehmen? Es ist klar erwiesen, dass die Anschlüsse mehr Verkehr in die Stadt pumpen. Viel eher erwarte ich aus Solidarität von einem Ipsacher, dass er auch mal mit dem Bähnli oder dem Velo in die Stadt fährt.


Pumpen die Anschlüsse Verkehr in die Stadt?  


Bohnenblust:Das stimmt eindeutig nicht. So wie die Autobahn heute geplant ist, zieht sie Verkehr ab und gibt ihn danach kanalisiert in der Stadt wieder frei. Es gibt einzelne Strassen, auf denen mehr Verkehr fahren wird als heute, das bestreite ich nicht. Aber der Westast befreit eben auch die Quartiere.
Sigrist: Ein Beispiel zeigt, dass das offizielle Projekt selbst die gesetzten Ziele nicht erfüllt. Heute wird die Salzhausstrasse von 13500 Fahrzeugen befahren, die Arbeitsgruppe Stöckli ging damals von 8765 aus, das Ausführungsprojekt rechnet nun aber mit 24400 Fahrzeugen. Da stimmt doch Grundsätzliches nicht.
Bohnenblust: Man muss doch das Gesamte anschauen und nicht einzelne Strassen. Die Bernstrasse hat mit dem Westast keinen Verkehr mehr. Auch über die Ländtestrasse fahren danach deutlich weniger Fahrzeuge. Der Faktencheck soll das alles vergleichen, danach sitzen wir wieder zusammen und schauen, wie es weitergeht.
Sigrist: Ich bin einverstanden damit, dass gewisse Strassen zu den Verlierern und gewisse zu den Gewinnern gehören. Das ist bei beiden Projekten der Fall. Was mich aber stört, ist, dass nie eine Interessensabwägung gemacht wurde. So heisst es etwa: Nach dem Westastbau könne man auf der praktisch verkehrsfreien Ländtestrasse flanieren. Doch wer flaniert schon dort? Dafür geht man doch an den See. Mit dem offiziellen Projekt werden aber innenstädtische Strassen stärker belastet. Man spricht beim Westast immer von Quartierentlastung. Ich frage also:Was ist ein Quartier? In Biel sind Arbeiten und Wohnen traditionellerweise gemischt. Quartiere sind auch Wohnquartiere. Es ist also ein Irrsinn für «Bienne Centre» so viel Geld auszugeben und damit die Wohnqualität runterzuschrauben und mehr Verkehr in die Stadt zu pumpen.


Beim Alternativprojekt wird beispielsweise die Bernstrasse stärker belastet, weil sie als Boulevard dient.


Sigrist: Ja, das offizielle Projekt verschweigt aber, dass die Bernstrasse eine Quartierfunktion haben kann: Mit unserem Boulevard werden die Seitenstrassen zur Bernstrasse entlastet. Beim offiziellen Projekt werden diese Strassen hingegen stärker befahren, weil man von den Seitenstrassen ja nicht in den Tunnel reinfahren kann.
Bohnenblust: Ich wiederhole nochmals: Der Faktencheck soll zeigen, ob das verkehrlich tatsächlich machbar ist oder nicht, danach können wir weiterdiskutieren.
Sigrist: Es geht dabei aber nicht nur um die verkehrliche Analyse, sondern um die Gesamtabwägung. Eine unabhängige Beurteilung ist dabei natürlich sehr wichtig.


In einem Interview sagte ein Wiener Professor für Verkehrsplanung, wenn seine Studenten auf die entsprechende Fragestellung den Westast vorlegen würden, würden sie durch die Prüfung rasseln. Die Bauweise sei veraltet. Was sagen Sie dazu?


Bohnenblust: Diese Aussage ist falsch. Das Projekt wurde ja immer wieder überarbeitet und angepasst. Es ist ein zeitgemässes Projekt und keines aus den 60er- oder 70er-Jahren, wie behauptet wird. Es stimmt, dass der Netzbeschluss aus dieser Zeit stammt. Das Projekt selber ist modern und angepasst.
Sigrist: Es ist ein veraltetes Projekt. Eine moderne Verkehrsplanung geht davon aus, dass sich der Verkehr am Stadtrand dosieren lässt. Mit Autobahnanschlüssen mitten im Zentrum ist das nicht möglich. Vor allem der Lokalverkehr wird darunter leiden. Die Murtenstrasse wird etwa so viel Verkehr aufweisen wie heute die Mühlebrücke. Die Zielsetzungen der Autobahn, die Situation für Velofahrer und Fussgänger zu verbessern, werden also nicht erfüllt. Mitten in der Stadt wird sich alles verschlechtern.


Damit die Wirksamkeit der Autobahn gegeben ist, braucht es die verkehrlich flankieren Massnahmen (vfM).


Sigrist: Der Ostast ist der sogenannte Lackmustest. Die Wirksamkeit der Autobahn ist nur gegeben, wenn diese Massnahmen umgesetzt werden. Sie müssen den Widerstand auf dem normalen Strassennetz erhöhen. Es darf nicht sein, dass Autofahrer wieder durch die Stadt fahren, weil die Strassen entlastet wurden und es keinen Stau mehr gibt.
Bohnenblust: Ich möchte festhalten, dass auch wir die verkehrlich flankierenden Massnahmen als notwendig betrachten.
Sigrist: Unsere Sorge ist es, dass die Massnahmen von den Quartieren abgeschmettert werden, man am Ende zwar die Autobahn und zwei Anschlüsse hat, die Strassen dann aber wie vorher befahren werden.
Bohnenblust: Bei gewissen Massnahmen macht es Sinn, zuerst zu schauen was passiert und erst dann zu reagieren. Nicht überall braucht es nämlich die maximale Massnahme.

Herr Bohnenblust, bitte antworten Sie kurz auf folgende Behauptungen: Eine Stadt kann man nur vom Verkehr befreien, wenn man ihm Widerstände entgegensetzt.


Bohnenblust: Das ist ein ideologisches Denken, das für die Situation in Biel nicht stimmt.


Die beste Variante der Autobahn wurde in der Vergangenheit bereits einmal verworfen.


Bohnenblust:Nein, der demokratische Prozess hat die beste Variante hervorgebracht.


Wie Mobilität in 20 Jahren aussieht, lässt sich nicht voraussehen.


Bohnenblust: Der Verkehr wird zwar ökologischer, aber er bleibt auf der Strasse.


Herr Sigrist, der Gegenvorschlag «Westast – so besser!» kommt viel zu spät.


Sigrist: Nein, denn was nicht gebaut ist, kann geändert werden.


Im Gegen-Komitee sitzen viele Grüne, die Strassen generell ablehnen.


Sigrist:Unter den 1800 Mitgliedern ist die Bandbreite gross. Wir sind ja nicht generell gegen den Westast, sondern gegen die beiden Anschlüsse.

 


Alle Bäume, die wegen dem Westast gefällt werden, werden anderswo wieder gepflanzt. Die Ökobilanz stimmt.


Sigrist: Nein, denn bis ein Baum den gleichen ökologischen Wert entfaltet wie ein alter Baum, dauert es bis zu 60 Jahre.


Schlussfrage an beide: Der Westast polarisiert. Wann haben Sie im privaten Umfeld das letzte Mal über dieses Autobahnteilstück gestritten?


Bohnenblust: Ich streite selten, diskutiere lieber. Das war zuletzt heute beim Mittagessen der Fall.
Sigrist: Auch ich diskutierte heute beim Mittagessen das letzte Mal darüber.

 

Zur Person:

Peter Bohnenblust
Jahrgang 1951
lebt in Biel
Fürsprecher, ehemaliger Staatsanwalt
Co-Präsident des Komitees Pro A5-Westast
Präsident TCS Sektion Biel-Bienne-Seeland
Stadtrat für die FDP

Daniel Sigrist
Jahrgang 1961
lebt in Biel
Raum-und Verkehrsplaner FH, Fachverband Schweizer Raumplaner. Führt ein eigenes Raumplanungsbüro in Biel
Gründungsmitglied und Vorstand des Komitees «Westast – so nicht!»

 

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