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Biel

«Muss mich immer noch rechtfertigen»

Tiefere Löhne, ungleiche Voraussetzungen: Das sind Gründe, warum Bielerinnen am Frauenstreik teilnehmen. Auch die Gemeinderätinnen Silvia Steidle und Barbara Schwickert legen ihre Arbeit am 14. Juni nieder.

Engagieren sich für den Frauenstreik: Anne-Valérie Zuber, Margrit Wick-Werder, Silvia Steidle, Franziska Schutzbach, Nicole Ding und Luzia Sutter Rehmann (von links). Peter Samuel Jaggi

Interview: Carmen Stalder

Es gibt viele Gründe, warum Frauen schweizweit am 14. Juni auf die Strasse gehen: Ungleiche Löhne, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder stereotype Rollenbilder zum Beispiel. An einem Diskussionsforum im Wyttenbachhaus haben sich Bielerinnen genau zu diesem Thema ausgetauscht: Welche sind ihre Gründe zu streiken?
Die gebürtige Spanierin Itziar Marañón, Mitorganisatorin des Frauenstreiks in Bern, vermochte die anwesenden Frauen mit ihrer engagierten Rede zu motivieren. Davon anstecken liessen sich auch die beiden Bieler Gemeinderätinnen Silvia Steidle (PRR) und Barbara Schwickert (Grüne).

Silvia Steidle und Barbara Schwickert, werden Sie am Frauenstreik teilnehmen?
Silvia Steidle: Bis jetzt war ich ziemlich unentschlossen. Nach dem heutigen Abend werde ich am 14. Juni dabei sein.
Barbara Schwickert: Ja, auch ich werde am Frauenstreik teilnehmen.

Was ist Ihr persönlicher Streikgrund?
Schwickert: Für mich gibt es ganz viele Gründe. Die Lohnungleichheit finde ich besonders wichtig – auch, wenn das bei uns in der Stadtverwaltung sehr gut ist, da schauen wir darauf. Aber gerade in der Privatwirtschaft ist das immer noch ein riesengrosses Problem und etwas, das mich enorm stört. Deshalb steht für mich wie auch schon 1991 dieser Grund ganz stark im Vordergrund.
Steidle: Von den Frauen wird immer noch erwartet, dass sie andere Voraussetzungen mitbringen als Männer. Dass wir mit Charme vorgehen müssen, dass wir in der Politik nur dabei sein können, wenn wir nicht als «richtige» Frau auftreten. Es reicht mit Fragen wie «Kannst du denn das neben deinem Kind noch machen?» Es empört mich, dass ich mich heute immer noch dafür rechtfertigen muss, eine Frau zu sein.
Schwickert: Es ist ja auch spannend, dass wir beide Direktionen haben, die nicht die klassischen Frauendirektionen sind.
Steidle: Wie zum Beispiel Soziales und Schule oder Bildung und Kultur.
Schwickert: Aber wir haben so handfestes wie die Finanzen oder die Baudirektion, wo man nach dem verbreiteten Klischee eher den Männern zutrauen würde, dass sie dort kompetent sind.

Können Sie sich als Gemeinderätinnen für die Interessen von Frauen einsetzen?
Schwickert: Ja, diese Möglichkeit gibt es. Zum Beispiel wenn es um Fragen im Zusammenhang mit Kinderbetreuung geht. Aber eigentlich ist es der Gesamtgemeinderat, der an diese Themen denkt. Es ist nicht so, dass ich Silvia anrufe und ihr sage, dort sind Frauen betroffen oder dass sie sagt, jetzt müssen wir da genau hinschauen.
Steidle: Lohngleichheit haben wir kürzlich thematisiert oder Vertretungen im Kader der Frauen und in städtischen Betrieben. Das sind Themen, die jetzt aufs Tapet kommen – aber es gibt deswegen keinen Streit zwischen den Frauen und Männern im Gemeinderat.

Hatten Sie es in Ihrer Karriere schwerer als Ihre männlichen Kollegen?
Steidle: In der beruflichen Karriere schon. Da wurde ich etwa in Vorstellungsgesprächen gefragt, wie ich die Betreuung meines Kindes organisieren wolle, ob ich das schaffen werde. Klassische Fragen, die man einem Mann nicht stellen würde. Als ich zur Gemeinderätin gewählt worden bin, hat mir eine ältere Frau gesagt, dass ich jetzt nicht etwa ein Kind bekommen solle, weil es unmöglich wäre, mit all diesen Verpflichtungen eine gute Mutter zu sein. Damals war ich bereits seit einem Monat schwanger (lacht).
Schwickert: Als ich für den Gemeinderat kandidiert habe, war es für mich als linke Politikerin eher ein Vorteil, dass ich eine Frau bin. Bei uns ist es fast schon etwas schwierig für die Männer: Solange die Geschlechterparität nicht ausgeglichen ist, müssen genügend Frauen auf die Listen. Im Berufsalltag als Gemeinderätin erlebe ich eigentlich nie, dass weniger zugehört wird oder ein Argument weniger gilt, weil es von einer Frau kommt. Ich bin in einer sehr männerdominierten Direktion, aber auch hier gibt es kein Problem, die Akzeptanz ist vorhanden.
Steidle: Zu Beginn meiner politischen Karriere war ich als französischsprechende junge Frau fast überfordert wegen der Anzahl an Anfragen. Ich hatte das Gefühl, überall sein zu müssen, um eine gewisse Quote zu erfüllen.

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Stadt Biel: Mit Überstunden streiken

In Bezug auf den Frauenstreik vom 14. Juni stellt sich bei vielen Unternehmen die Frage, wie man  mit den Absenzen der Mitarbeiterinnen umgehen will: Gibt man ihnen frei oder müssen sie mit Konsequenzen rechnen? Gestern hat sich der Bieler Gemeinderat dazu geäussert. «Wenn es die betrieblichen Verhältnisse zulassen, kann jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter in Absprache mit dem oder der Vorgesetzten frei nehmen», schreibt der Gemeinderat. Dafür müssten jedoch Überstunden kompensiert, ein Ferientag beansprucht oder ein Antrag auf unbezahlten Urlaub gestellt werden.
Die Regierung hält fest, dass die Stadt Biel bezüglich Lohnungleichheit bereits gut aufgestellt sei, da durch das 2017 eingeführte Lohnsystem alle Ungleichheiten «weitestgehend aufgehoben» werden konnten. Bleibt die Frage, ob es sich nicht widerspricht, wenn man für die Teilnahme an einem Streik die Erlaubnis des Arbeitgebers braucht? «Nein», sagt Stadtpräsident Erich Fehr (SP) gegenüber dem «Journal du Jura». Man spreche zwar von einem Frauenstreik, in Wirklichkeit handle es sich aber um ein politisches Ereignis. Und in einem solchen Fall müssten die Angestellten frei nehmen.

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