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Wochenkommentar

«No Billag»: Als ob ein Wald brandgerodet würde

Oh, wie viele Gründe es doch gibt, mit der SRG unzufrieden zu sein: Sascha Ruefers Geplapper in den Fussballspielen. Eine unausgewogene «Arena» mit einem einseitig provozierenden Moderator. Allzu brave Comedy. Allzu freche Comedy.

Tobias Graden

Eingekaufte oder abgekupferte Formate, die dann erst noch weniger peppig rüberkommen als bei den ausländischen Originalen. Zu viel ländliche Schweiz. Zu wenig ländliche Schweiz. Fehlende intelligente Gefässe, die eine urbane, weltoffene Zielgruppe ansprechen. Altbackene Eigenproduktionen. Mutlose Musikauswahl im Radio. Es geht noch weiter: Diese ausufernde Sendervielfalt. Die Kaderlöhne. Arbeitsverhältnisse und Selbstverständnisse, die tatsächlich an Beamtentum und «Staatsfernsehen» gemahnen. Lange Jahre eine Spitze, die «abgehoben» wirkt und sich erst noch so provozierend proeuropäisch äussert. Der permanente Versuch, trotz Gebührengeldern auch private Mittel stärker anzuzapfen und damit unter Ausnutzung der Marktmacht Private stärker zu konkurrenzieren, wie mit der Werbekooperation Admeira. Ein Gebührenzwang, der nicht nur alle Haushalte umfasst, sondern auch Betriebe, damit eine Art «Doppelbesteuerung» darstellt und erst noch auch jene erfasst, welche die Programme gar nicht nutzen.

Ja, es gibt in der Tat viele Gründe, mit der SRG unzufrieden zu sein. Sie bietet viel Angriffsfläche: Einerseits ganz grundsätzlich, durch ihr System, indem sie grossteils von der Allgemeinheit finanziert wird. Anderseits inhaltlich durch ihr tägliches Programm, so wie jedes Medium seine Inhalte zur Diskussion stellt.

Und weil man aus ganz vielen verschiedenen Gründen der SRG gegenüber kritisch sein kann, planen offenbar – so macht es derzeit den Anschein – viele Menschen, diese Kritik mit einem Ja zur so genannten «No-Billag-Initiative» zum Ausdruck zu bringen. Doch lesen wir doch mal nach, was diese Initiative tatsächlich will. Relevant sind dabei einerseits besonders die Absätze 4 und 5, die nach einer Annahme der Initiative in Artikel 93 der Bundesverfassung über Radio und Fernsehen wie folgt lauten würden. Absatz 4: «Er (der Bund, Anm. d. Red.) subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. (...)» Absatz 5: «Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.» Relevant ist anderseits, was entfällt. So definiert heute der Absatz 2 den Auftrag von Radio und Fernsehen und erläutert deren Funktion im föderalistischen schweizerischen Staatswesen: «Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.»

Womöglich klingt dieser Absatz 2 in manchen heutigen Ohren nicht nur abgehoben oder abstrakt, sondern schlicht anachronistisch. Bei vielen Menschen scheint heutzutage das unmittelbare eigene Bedürfnis der handlungs- und haltungsbestimmende Imperativ zu sein (Klammerbemerkung: man registriert diese empathiefreie Haltung auch im Kleinen, etwa bei falschparkierenden Ärzten): Ich zahle nur für das, was ich selber auch brauchen kann, was mir nützt, wovon ich profitiere. Warum soll ich mit meinen Gebührenfranken ein Tessiner Programm finanzieren, wenn ich doch nie TSI schaue, weil ich gar nicht Italienisch verstehe? Von rätoromanischen Sendungen brauchen wir da gar nicht erst zu reden. Und wer Fussball sehen will, soll eben den entsprechenden Pay-TV-Kanal abonnieren.

Im Prinzip ist dies eine radikal-libertäre Haltung. Sie fordert die gänzliche Deregulierung, stellt die Macht des Ökonomischen über alles. Nur was sich am Markt behaupten kann, hat eine Daseinsberechtigung. Aber die Schweiz funktioniert in ganz vielen Bereichen nicht so. Mit dem Geld, das ich im Mittelland verdiene und dort versteuere, finanziere ich beispielsweise Infrastruktur in Randgebieten mit, auch wenn ich nie in dieses oder jenes entlegene Bergdorf reise. Das ist die «idée suisse»: ein überaus komplexes, fein austariertes System des Ausgleichs, das Zusammenhalt sichert und kontinuierlich neu ausbalanciert wird.

So verhält es sich auch mit dem Angebot und den Leistungen der SRG. Gewiss, die technischen und konzeptionellen Entwicklungen der elektronischen Medien im globalen Markt haben Angebote geschaffen, die teils qualitiativ hochstehend sind und für die Konsumenten auch hierzulande gerne ihr Geld ausgeben – man denke etwa an aufwändig produzierte Serien amerikanischer Streamingdienste. Wer allerdings der Meinung ist, in der Schweiz brauche es auch Radio- und TV-Angebote, die spezifisch auf die hiesigen Gegebenheiten eingehen, der kann die Existenzberechtigung von öffentlich-rechtlichem Radio und Fernsehen nicht ernsthaft in Frage stellen. Es ist verfehlt anzunehmen, in einem Kleinstaat mit 8,4 Millionen Einwohnern, vier Sprachgruppen, 26 Kantonen und zahlreichen regionalen Befindlichkeiten und Begebenheiten liesse sich ein solches Angebot allein auf dem Markt finanzieren, und sei es auch in reduzierter Version (das gilt übrigens auch für die Region). Dazu ist dieser Markt zu klein und zu fragmentiert.

Denn dieser Initiative geht es nicht darum, auf das Programm der SRG Einfluss zu nehmen. Es geht nicht darum, sie zu verkleinern, zu verändern oder zu verbessern. Sondern es geht darum, in der Schweiz künftig jegliches öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen zu verbieten. Es ist, als ob man einen vielfältigen, artenreichen Wald, der auch Tiere von ausserhalb nährt, brandrodete und sagte, es werde dann schon jemand wieder aufforsten. Das kann man wollen. Besonders konstruktiv ist es nicht. Und auch nicht schweizerisch.

E-Mail: tgraden@bielertagblatt.ch

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