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Biel

Ohne Disco geht es nicht

Dass Menschen mit und ohne Behinderung in der Freizeit zusammenkommen und ein Austausch geschieht, ist weiterhin selten. Der Verein Kollektiv Inklusiv ändert dies.

Symbolbild: Pixabay

Es sind Pioniere. Die Menschen rund um Barbara Fivian vom Verein Kollektiv Inklusiv. Sie organisieren in Biel regelmässig Veranstaltungen, damit sich die verschiedensten Menschengruppen treffen und austauschen können.

In Bern gibt es seit den 90er-Jahren den Treff Domino, der von Insieme Bern betrieben wird, dem Verein für Menschen mit einer geistigen Behinderung und ihren Angehörigen. Dort begegnen sich Menschen mit Behinderung aus unterschiedlichen Institutionen. Sie spielen zusammen, essen zusammen. Bern ist aber weit weg, wenn es darum geht, als Bieler oder Seeländer mit einer Behinderung möglichst niederschwellig einen Abend zu verbringen.

Fivian und ihre Kolleginnen und Kollegen, die alle in sozialen Institutionen arbeiten, wissen um dieses Manko. Gemeinsam wollen sie etwas ändern. Seit drei Jahren finden Gespräche statt. Man tauscht sich aus, entwirft und verwirft Ideen und Konzepte. Schliesslich erfolgt im vergangenen September der Auftakt: Insieme Biel Seeland stellt die Räumlichkeiten im Ladenbistro am Rosius eingangs der Bieler Altstadt zur Verfügung. Die ersten Anlässe werden durchgeführt.

 

Zu wenig Platz
«Bereits nach der dritten Veranstaltung hatten wir im Bistro zu wenig Platz», erinnert sich Vorstandsmitglied Markus Fliri. Dank einer grosszügigen Spende von Insieme Biel Seeland und persönlichen Beziehungen können die Anlässe ins Gärbi Breihaus in der Bieler Altstadt zügeln. Dort finden sie nun, einmal monatlich, immer samstags, statt. Das Programm ist vielfältig: Grillabend und Konzerte, Countrynight und Spiele, Spaghettiplausch und Tanz.

Jeweils 30 bis 50 Personen nehmen teil, die Bandbreite ist gross: Die Menschen sind zwischen 20 und 70 Jahre alt. Zu den Anlässen werden sie von den Verantwortlichen der Heime und Institutionen gebracht, manche reisen selbstständig an. Besonders schön sei, so Fivian, dass diejenigen, die einmal dabei waren, in der Folge praktisch nie mehr fehlen. «Wir decken offenbar ein echtes Bedürfnis ab», so Fivian. «Wir sind aber auch erstaunt, wie rasch sich unser Angebot herumgesprochen hat.»

«Wenn mir jemand vor drei Jahren gesagt hätte, 2018 steht ihr da, wo wir jetzt stehen, dann hätte ich das nicht geglaubt», erklärt die Vereinsgründerin. Die Kraft und Freude im siebenköpfigen Vorstand zu erleben, sei ein Geschenk. «Jeder ist engagiert und ausgelastet mit der eigenen Arbeit und der Familie. Trotzdem kommen immer alle an die Sitzungen und es entsteht eine Dynamik, die ansteckt und mitreisst.»

 

Luft nach oben
Die Verantwortlichen sind zufrieden – aber auch selbstkritisch: Noch habe die Inklusion, also das Zusammentreffen und der Austausch von Menschen mit und ohne Behinderung, Luft nach oben. Dafür seien auch strukturelle Gründe verantwortlich. So finden die Anlässe zwischen 18 und 23 Uhr statt, um den Vorgaben der Institutionen zu entsprechen. «Viele Menschen gehen aber erst dann in den Ausgang, wenn bei uns bereits Lichterlöschen ist», so Melanie Häberli. Manche Heimvorschriften verbieten auch den Konsum von Alkohol. «Wir appellieren an die Eigenverantwortlichkeit unserer Gäste», erklärt Fivian. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das gut klappt.

Selbstverständlich bieten auch Heime Freizeitprogramme für ihre Bewohnerinnen und Bewohner an. Die Angebote richten sich aber meistens nach den heiminternen Strukturen und die Bewohner bleiben oft unter sich, zusammen mit den Fachleuten. «Wir sind hier freier und flexibler und das Ziel des Vereins ist es, die Besucher auch soweit wie möglich in das Programm einzubinden», sagt Markus Fliri.

 

Die Träume
Im Juni vor einem Jahr wird schliesslich der Verein gegründet. Momentan sind etwa 30 Menschen dabei und bezahlen einen Jahresbeitrag von minimal 10 Franken. Auch hier sind sich die Verantwortlichen einig: Mehr wäre schön. Die Anlässe im Gärbi sind kostenlos und werden mittels Kollekte finanziert. Der Verein ist schlank unterwegs: Bescheidene finanzielle Mittel, der Vorstand stammt aus den eigenen Freundeskreisen, die Arbeit wird unentgeltlich gemacht.

Natürlich sei da der Wunsch einer Professionalisierung. «Unser Traum ist es, einmal eine Stelle zu schaffen», sagt Häberli. «Wir möchten grösser werden, aktiver und breiter.» Noch bestehe eine Diskrepanz zwischen den Wünschen und der Realität. Lachend ergänzt sie: «Das ist aber eine positive Diskrepanz».

 

Hohe Hemmschwelle
Noch fehle auch die Laufkundschaft, noch komme es zu wenig häufig dazu, dass Nichtbehinderte am Gärbi vorbeilaufen und sich spontan dazusetzen würden. «Viele meinen, dass das eine geschlossene Gesellschaft ist», sagt Häberli. Die Hemmschwelle sei hoch – bei den Nichtbehinderten noch viel höher. Der Kommunikationsbedarf deshalb gross. «Aber nicht nur von uns, sondern von allen. Viel zu selten kommt es im Alltag zum Austausch der beiden ‹Welten›», erklärt Fivian. Deshalb sei es wichtig, sichtbar zu sein. «Wir sind momentan die einzigen auf dem Platz Biel mit einem solchen Angebot und haben eine gewisse Narrenfreiheit.» Pioniere zu sein, heisse auch immer, auszuprobieren. Funktioniert etwas oder nicht. Ohne was funktioniert es nicht? Alle lachen gleichzeitig und sagen: «Die Disco! Die muss einfach immer sein.»

 

Wichtige Fragen
Im November kommt es ein Jahr nach der Gründung zur ersten Vereinsversammlung. Fivian, Fliri und Häberli freuen sich darauf und auf die Themen, die sie diskutieren wollen: Wie können wir unsere Sponsorensuche verbessern? Können wir auch Anlässe für Kinder durchführen? Dann die Fragen an die Behinderten: Seid ihr zufrieden, wie es läuft? Wo könnt und wollt ihr euch einbringen?

«Wir können genauso von ihnen lernen», sagt Fivian. Gelebte Inklusion eben. Raphael Amstutz

Info: Der nächste Anlass im Gärbi Breihaus an der Gerbergasse 25 in der Bieler Altstadt findet am 20. Oktober statt. Auf dem Programm stehen ein Überraschungsmenü, Marshmallows selber machen, ein Workshop mit Schülerinnen und Schülern aus einer
8. Klasse aus Brügg sowie die obligate Disco, diesmal mit DJ Love.
Der Verein sucht Mitglieder: Informationen erhält man per Mail unter kollektivinklusiv@gmx.ch oder unter www.facebook.ch/KollektivInklusiv. Spenden nimmt der Verein gerne unter der IBAN CH54 0079 0016 9758 2667 7 entgegen.

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