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Biel

«Pandemie-Situation» als Sündenbock

Weil der Kanton keine Pop-Up-Restaurants an Weihnachtsmärkten erlaubt, musste das Chalet Gipfeltreff schliessen – trotz erteilter Bewilligung durch das Regierungsstatthalteramt Biel. Beim Betreiber herrscht Frust und grosses Unverständnis.

Nur während gut einer Woche war der «Gipfeltreff» in Betrieb. Peter Samuel Jaggi

von Carmen Stalder

Der Bieler Weihnachtsmärit geht in diesem Jahr glühweinfrei über die Bühne – mit ein paar wenigen Ausnahmen. Im Holzchalet auf dem Zentralplatz darf das Heissgetränk auch im Corona-Winter ausgeschenkt werden, ebenso im Winter-Café von «Chez Rüfi» – und bis am Donnerstag war das auch noch im Chalet Gipfeltreff an der Ecke Nidaugasse/Dufourstrasse möglich. Bereits in den nächsten Tagen wird das Chalet allerdings zurückgebaut. Doch was ist passiert?

Nach Artikel 8 der Covid-19-Verordnung des Kantons Bern dürfen auf Märkten keine Speisen und Getränke zur Konsumation vor Ort angeboten werden. Darunter fällt auch das Chalet Gipfeltreff. Trotzdem hat das Regierungsstatthalteramt Biel den Betreibern rund um Marc Zahnd (bekannt als Organisator des Stars of Sounds-Festivals) eine Bewilligung erteilt. Diese wurde nun jedoch widerrufen.
Für Zahnd eine unverständliche Wendung. «Ich habe immer Verständnis gezeigt für die Massnahmen. Doch das ist absolute Willkür», sagt er. Man habe alle Details des Schutzkonzeptes strikt eingehalten, sei gar «übervorsichtig» gewesen.


Eigentlich ein klarer Fall

In Zusammenarbeit mit den Gemeinden und dem Amt für Gemeinden und Raumordnung informieren die Regierungsstatthalterinnen und Regierungsstatthalter laufend über die Corona-Regeln und ihre Auslegung. Die Information vom 10. November hält fest: «Nicht erlaubt sind Pop-Up-Restaurants am Rande beziehungsweise in unmittelbarer Nähe von Märkten, weil so das Verbot gemäss Art. 8 Covid-19-Verordnung umgangen wird [...].»

Damit wäre der Fall eigentlich klar: Das Chalet direkt am Märit hätte den Betrieb am 3. Dezember gar nicht erst aufnehmen dürfen. Seit der entsprechenden Information war schliesslich fast ein Monat vergangen. Warum hat also das Regierungsstatthalteramt Biel überhaupt eine Bewilligung erteilt? Diese Frage blieb gestern unbeantwortet. Trotz mehrmaligem Nachfragen wollte beim Regierungsstatthalteramt niemand telefonisch Auskunft geben. Am Abend erhielt das «Bieler Tagblatt» lediglich eine schriftliche Stellungnahme – verfasst von Justizdirektorin Evi Allemann (SP) und Regierungsstatthalterin Romi Stebler (FDP).

Im Schreiben heisst es: «Der Entscheid entspricht der sich ständig ändernden Pandemie-Situation und der schrittweisen Klärung der Auslegung der rechtlichen Vorgaben.» Das Gesuch für den Weihnachtsmärit habe sich rollend entwickelt und sei bereits vor dem Amtsantritt der Regierungsstatthalterin hängig gewesen. Und: «Als die Regierungsstatthalterin die nötigen Bewilligungen erteilte, war das Chalet bereits in Betrieb.»

Eine Aussage, die vor allem Fragezeichen hinterlässt. Auf die Frage, ob die Bewilligung also fälschlicherweise erteilt worden war, geht die Antwort nicht ein. In Anbetracht der Vorgeschichte kann jedoch davon ausgegangen werden: Der Stellungnahme ist zu entnehmen, dass Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) Evi Allemann in einem Schreiben darum bat, Romi Stebler «im Hinblick auf die Pandemie-Lage zu sensibilisieren».

Allemann nahm folglich Kontakt mit der Bieler Regierungsstatthalterin auf und teilte ihr die Erwartung mit, dass die kantonalen Vorgaben zur Pandemieeindämmung eingehalten werden. Oder in anderen Worten: Der Kanton machte Stebler deutlich, dass sie die Bewilligung widerrufen müsse – was sie nun per Datum von gestern getan hat.


Hohe Kosten

Als er von der drohenden Schliessung erfahren hatte, versuchte Marc Zahnd in diversen Gesprächen, den Entscheid doch noch zu kippen – ohne Erfolg. Am Donnerstag um 21 Uhr mussten die Mitarbeitenden das Chalet dichtmachen. Für Zahnd bringt die plötzliche Kehrtwende ein Team ohne Arbeit und «unglaubliche Kosten» mit sich – schon nur für die eingekaufte Ware, auf der er nun sitzen bleibe.

Dem Regierungsstatthalteramt mache er allerdings keinen Vorwurf, da habe man es nur gut gemeint. Dass sich jetzt aber plötzlich der Kanton eingeschalten habe, könne er nicht verstehen. Wenigstens hätte man ihn doch bereits während des Aufbaus des Chalets kontaktieren sollen, findet er. «Aber so, wie es jetzt gelaufen ist – damit hätte ich wirklich im schlimmsten Traum nicht gerechnet.»

Auch der Bieler Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) kann die Intervention des Kantons nicht nachvollziehen: Nach seiner Ansicht sei das Chalet in der Nidaugasse ein eigenständiger Gastronomiebetrieb mit eigenem Schutzkonzept und damit gleich zu beurteilen wie irgendein anderes Gastronomieunternehmen in der Innenstadt. Die Argumentation, wonach das Chalet zusätzliche gesellschaftliche Kontakte fördern würde, teilt Feurer nicht.

«Sinn und Zweck der kantonalen Verordnung ist, dass die Besucher auf Märkten Esswaren und Getränke nicht im dichten Gedränge beim Herumgehen konsumieren. Ein separierter Gastronomiebetrieb mit eigenem Schutzkonzept verstösst aber aus unserer Sicht nicht gegen dieses Ziel», sagt der Sicherheitsdirektor. Feurer findet: Wolle der Kanton Kontakte insgesamt verhindern, müsste konsequenterweise über ein generelles Verbot von Märkten diskutiert werden.

Die kantonale Unterscheidung zwischen dem Chalet in der Nidaugasse und jenem auf dem Zentralplatz findet Feurer nicht einleuchtend: Ein temporäres Restaurant in derselben Zone ziehe nicht mehr Publikum an als das andere, unabhängig davon, ob es nun inner- oder knapp ausserhalb des Bieler Weihnachtsmarkts liege. Er verstehe deshalb, wenn diese rechtliche Unterscheidung in Sachen Betriebsbewilligung nicht auf grosses Verständnis stosse.


Zügeln ist zu kompliziert

Gemäss Romi Stebler wird nun gemeinsam mit der Stadt Biel und dem Betreiber des Chalets nach Alternativen weiter weg vom Weihnachtsmarkt gesucht. Für den «Gipfeltreff» ist dieser Zug jedoch längst abgefahren. Zahnd erklärt, dass man das Holzhaus nicht einfach an einen anderen Ort zügeln könne, um eine räumliche Trennung zum Weihnachtsmärit zu schaffen. «Mit der gesamten Infrastruktur wäre das viel zu kompliziert und würde mindestens eine Woche dauern.» Glühwein im «Gipfeltreff» – eine Geschichte, die damit nach nur einer Woche bereits wieder vorbei ist.

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