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Wahlen

Politikerinnen kämpfen für Gleichstellung

Familie, Beruf und politisches Amt unter einem Hut: Besonders für Frauen ist dies eine Herausforderung. Daher fordern nun welsche Frauen in der Politik mehr Unterstützung von Bund, Kantonen und Parteien.

Rechts und Links setzen sich für ein Ziel ein: Samantha Dunning (PSR), Monique Esseiva (PDC) und Anne-Caroline Graber (UDC) (v.l.). copyright/Susanne Goldschmid
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Hannah Frei


An der gestrigen Diskussionsrunde zum Thema «Welsche Frauen kandidieren für ein politisches Amt» im Rathaussaal in Bern zeigte sich ein ungewohntes Bild: Wo sonst überwiegend Männer politisieren, standen sich acht Politikerinnen aus dem Seeland und dem Berner Jura gegenüber. Alle kandidieren sie für den Regierungsrat, den Grossen Rat, den Bernjurassischen Rat oder den Rat für französischsprachige Angelegenheiten des Verwaltungskreises Biel. Organisiert wurde der Anlass vom Gleichstellungsnetzwerk «Réseau égalité Berne francophone», um die französischsprechenden Frauen in der Politik kurz vor den kantonalen Gesamterneuerungswahlen in den Fokus zu stellen. Denn diese sind in den oben genannten politischen Ämtern deutlich in der Minderheit.


28 Prozent sind Frauen


Der einzige anwesende Mann war Staatsschreiber Christoph Auer, der die Diskussionsrunde eröffnete: «Seit 600 Jahren wurde in diesem Gebäude debattiert und politisiert. In dieser langen Zeit waren es fast ausschliesslich Männer, die über die Geschicke des Staates Bern entschieden haben.» Bei der ersten Berner Grossratswahl unter Beteiligung von Frauen im Jahre 1974 lag der Frauenanteil bei 5 Prozent. Heute sind die Frauen mit 45 Sitzen von 160 vertreten – rund 28 Prozent.
Doch laut Auer ist dies kein Grund zur Freude. «Wir sind noch immer weit entfernt von einer ausgeglichenen Vertretung der Frauen und Männer im Kantonsparlament», sagte Auer. Die Einführung einer Quote, wie sie beispielsweise für die Sitze im Grossen Rat für den Berner Jura existiert, sei für den Frauenanteil jedoch keine Lösung. Denn es liege nicht daran, dass zu wenig Frauen gewählt würden, sondern daran, dass zu wenige kandidieren. «Bei den letzten Wahlen entsprach der Anteil der gewählten Frauen fast zu 100 Prozent dem Anteil der Kandidaten», sagte Auer. Deshalb sei es wichtig, mehr Frauen zu ermuntern, sich für eine Wahl aufzustellen und zudem auch die Parteien zu motivieren, mehr Frauen auf ihre Wahllisten zu setzen.


Gesellschaft helfe nicht mit


Obwohl die Podiumsteilnehmerinnen aus unterschiedlichen Parteien stammen, waren sie sich in diesem Punkt alle einig: «Der Grund dafür, dass sich zu wenig Frauen politisch engagieren, liegt in unserer Gesellschaft», sagte Samantha Dunning, Grossrätin und Co-Präsidentin der «Parti Socialiste Romand» (PSR) aus Biel. Männer müssten weniger kämpfen, um im Berufsleben und der Politik erfolgreich zu sein. Zum einen gebe es für Mütter in der Politik nicht genügend Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Zum anderen sei der gesellschaftliche Druck auf die Frauen viel stärker. «Wir werden dazu ermutigt, sowohl unsere politische als auch unsere berufliche Karriere für das Familienleben hintenan zu stellen», sagte die junge Mutter und Assistenz-Doktorandin für Migrationsforschung an der Universität Neuenburg.


Studentin, Mutter und Grossrätin: Dies wäre laut Dunning ohne die Unterstützung ihres Partners, ihrer Familie und ihrer Partei nicht möglich. «In meinem Umfeld wird die Chancengleichheit grossgeschrieben», sagte sie. Daher helfe sowohl ihr Mann als auch ihre Familie bei der Kinderbetreuung mit. Und auch die PSR biete Müttern wie ihr Hilfe an, um Privates und Karriere vereinbaren zu können. «Dies sollten alle Parteien tun», sagte Dunning. Denn schliesslich gelte es auch für die Parteien, die Frauen für ein politisches Amt zu motivieren und diese schliesslich auf die Liste zu setzen. «Es ist zwar schwierig, andere Frauen zu überzeugen. Aber jede Diskussion kann helfen, eine Frau zu ermutigen», sagte Dunning.


Ungleicher Lohn hindert


Dass Frauen in der Gesellschaft auch heute noch ungerecht behandelt werden, findet auch Béatrice Sermet-Nicolet, Präsidentin der Kulturabteilung des Rats für französische Angelegenheiten des zweisprachigen Amtsbezirks Biel. Als Beispiel nennt sie die Lohnungleichheit. Und auch in der Politik herrsche keine Chancengleichheit zwischen Mann und Frau. «Dabei ist es unser Recht in der Politik mitzuwirken», sagte sie. Dies ist auch in der Kantons- und der Bundesverfassung verankert. Mehr Frauen zu motivieren sei auch eine Aufgabe des Bundes und der Kantone, die bisher nicht ausreichend wahrgenommen werde. «Uns Frauen wird nicht genügend Kompetenz zugesprochen», sagte Sermet-Nicolet.


Beendet wurde die Runde von Grossratspräsidentin Ursula Zybach, die von der fehlenden Kompetenzzuschreibung ein Liedchen singen kann. Sei es bei Grossanlässen, bei denen ihr Mann stets vor ihr begrüsst werde, in der Annahme, er sei die wichtigere Person als sie.
Aber auch wenn sie unbegleitet unterwegs sei, wie beispielsweise bei ihrem letzten Besuch als Mitglied der Geschäftsprüfungskomission bei der Sanierung der Schulanlage Gymnasium Strandboden. «Als ich auf dem Weg zwischen den Schulgebäuden dem Rektor des Gymnasiums Biel-Seeland begegnete, grüsste ich ihn mit Namen. Er grüsste zurück und fragte mich, ob ich die Sekretärin der Kommission sei», sagt Zybach. Auch wenn sie sich im Voraus nicht auf der Website des Gymnasiums schlaugemacht hätte, wäre es ihr wohl nie in den Sinn gekommen, den Rektor zu fragen, ob er der Hauswart des Gymnasiums sei.

Stichwörter: Grosser Rat, Frauen, Welsch, Politik

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