Sie sind hier

Abo

Biel/Brügg

Politisches Ringen verhindert schnelle Lösung

Nach jahrelangem Stillstand im Fahrenden-Dossier haben sich die Gemeinden im Raum Biel geeinigt: Es braucht einen Transitplatz. Jetzt sind die Scheinwerfer auf Biel und Brügg gerichtet. Wer hat zuerst den Mut, sich im politisch heiklen Thema zu bewegen?

Ausländische Fahrende machen regelmässig in der Region Halt. Hier auf dem Expo-Areal im August letzten Jahres. Bild: Mattia Coda/A

Interview: Lino Schaeren

Es ist ein groteskes Spiel: Sind die Fahrenden nach einer illegalen Landbesetzung wieder weg, beginnt das Verbarrikadieren. Grundstücke werden mit grossen Jurasteinen, Schranken, Pfosten oder Gräben vor weiteren unerwünschten «Gästen» geschützt. Das geht seit Jahren so. Abhalten lassen sich die Fahrenden dadurch nicht. Sie räumen die Absperrungen aus dem Weg oder suchen sich ein anderes Gelände. Und dann beginnt das Ganze von vorne. Solange die Fahrenden in der Region Arbeit finden, funktioniert die Taktik des Vergrämens nicht. Das haben mittlerweile auch die meisten Entscheidungstragenden bei den Gemeinden der Agglomeration Biel eingesehen. Sie sind deshalb übereingekommen, dass man dem Problem nur Herr werden kann, wenn endlich ein offizieller Halteplatz geschaffen wird. Schnell und für eine befristete Zeit, damit sich eine Eskalation wie in diesem Frühjahr mit mehr als 100 Wohnwagen auf besetzten Gelände bis zur Eröffnung des offiziellen Platzes in Wileroltigen nicht wiederholt. Aber nicht nur: Wie das BT weiss, sind sich die Politikerinnen und Politiker mittlerweile einig, dass alleine mit Wileroltigen die Fahrendenfrage für den Raum Biel nicht beantworten wird. Zu klein ist der Platz und vor allem zu weit weg. Wie es weitergeht, hängt vor allem von Biel und Brügg ab. Der Kanton Bern hat auf dem Territorium dieser Gemeinden je eine Parzelle in Autobahnnähe angeboten, um darauf kurzfristig zumindest eine Übergangslösung zu schaffen. Ob es beim grundlegenden Bekenntnis zur Platzlösung bleibt, oder ob tatsächlich Bewegung in die Sache kommt, liegt also vor allem an zwei Männern: Biels Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) und Brüggs Gemeindepräsident Marc Meichtry (Brügg for you).

Beat Feurer, lange haben sich alle gewehrt, doch jetzt soll es also doch noch einen Platz für ausländische Fahrende im Raum Biel geben. Hatten Sie genug davon, die Augen vor der Realität zu verschliessen?

Beat Feurer: Die Frage ist, von welcher Realität Sie sprechen. Geht es darum, ob man mit den Fahrenden so weiterverfahren kann wie bisher, ohne ihnen eine Lösung anzubieten?

Man weiss längst: Die Fahrenden lösen sich nicht in Luft auf, wenn man sie fortjagt. Sie bleiben hier, weil sie hier Arbeit bekommen. Solange es keinen offiziellen Platz gibt, werden sie weiter Land illegal besetzen. Diese Erkenntnis ist auch in der Politik angekommen, nur spricht sie kaum jemand öffentlich aus. Auch Sie nicht. Liegt das daran, dass es auch eine weitere, eine politische Realität gibt?

Beat Feurer: Ja, es gibt auch eine politische Realität, die über die Jahre hinweg gewachsen ist. Ich glaube nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer schon immer prinzipiell gegen ausländische Fahrende gewesen sind. Die ablehnende Haltung hat sich in den letzten Jahren geformt. Das hat vor allem auch mit dem Verhalten der Fahrenden zu tun. Mit der Art und Weise, wie sie Gelände besetzen und insbesondere, in welchem Zustand sie diese dann zurücklassen. Damit haben sie das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit verspielt. Welcher Politiker stellt sich dann schon vor die Bevölkerung und fordert lautstark einen offiziellen Transitplatz für diese Leute? Gleichzeitig haben Sie recht: Die Fahrenden können sich nicht in Luft auflösen und sie können ihre Wagen auch nicht in der Luft parkieren. Es braucht Platz, wo sie Halt machen können. Die politische Herausforderung ist es jetzt, eine Brücke zu bauen zwischen diesen beiden Realitäten: Der Realität der Fahrenden und der Realität des fehlenden Vertrauens.

Marc Meichtry, ist es nicht gerade Aufgabe der gewählten Politikerinnen und Politiker, auch gegen Widerstände Lösungen in gesellschaftlichen Fragen zu finden?

Marc Meichtry: Natürlich. Als wir 2018 und 2019 in Brügg einen temporären Transitplatz zur Verfügung gestellt haben, haben wir das nicht getan, weil wir die Fahrenden so gerne hatten. Sondern weil ich die Schnauze voll hatte, dass sie jedes Jahr versucht haben uns zu diktieren, wie sie leben wollen. Indem wir einen Platz eröffneten, haben wir den Spiess umgedreht und unsere Regeln durchsetzen können. Ich bin ein Menschenfreund und sehr sozial. Aber es ist nichts anderes als normal, dass gewisse Spielregeln eingehalten werden müssen. Sonst wird man ausgenutzt. Dafür braucht es aber auch das nötige Spielfeld, für das Regeln festgelegt werden können. In diesem Fall ist das ein offizieller Platz. Die Bevölkerung hasst nichts mehr, als wenn nichts gemacht wird. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, solche Probleme zu lösen. Wenn wir Jugendliche haben, die randalieren, unternehmen wir schliesslich auch etwas dagegen.

Beat Feurer: Einverstanden. Genau hier liegt aber die politische Herausforderung: Die Bevölkerung erwartet von uns Lösungen, gleichzeitig wissen wir, dass es massive Opposition gibt gegen solche offiziellen Transitplätze. Das macht es für Politikerinnen und Politiker schwieriger, diesen Weg trotzdem zu gehen.

Marc Meichtry: Das stimmt. Aber jetzt stell dir einmal vor, ihr hättet diesen Frühling, als in Biel 150 Gespanne Halt gemacht hatten, gesagt: Wir räumen konsequent auf, bieten aber ab sofort einen offiziellen Platz für 25 bis 30 Wohnwagen an, auf dem nach unseren Regeln gespielt wird. Da hätte niemand etwas dagegen gehabt. Stattdessen habt ihr gezögert und euch auf der Nase herumtanzen lassen. Dieses Verhalten wird als viel schlimmer wahrgenommen, als wenn eine Lösung präsentiert werden kann.

Sie, Beat Feurer, hatten ein Projekt für einen provisorischen Transitplatz beim Werkhofareal ausgearbeitet, der im Frühjahr 2021 hätte eröffnet werden können. Dann haben Sie aber die Notbremse gezogen, weil Sie merkten, dass in zwei Jahren keine andere Gemeinde freiwillig diese Last übernehmen würde. Sie fordern regionale Solidarität ein?

Beat Feurer: Alleine aus unserer Perspektive braucht es keinen Platz auf Bieler Boden: Wir haben die Kapazitäten und das Fachwissen in der Verwaltung, um den repressiven Weg weiterzugehen. Wenn wir Hand bieten, wollen wir helfen, das Problem für die gesamte Region zu lösen und ja, dafür braucht es eine regionale Solidarität. Beim von Ihnen angesprochenen Projekt kam zudem hinzu, dass das Terrain beim Werkhof weniger lange als erhofft zur Verfügung gestanden hätte. Es war also auch eine Frage von Aufwand und Ertrag – um einen solchen Platz bereitzustellen und zu betreiben, braucht es Infrastruktur und personelle Ressourcen. Jetzt stehen ja aber zwei andere Grundstücke in Aussicht, die der Kanton ins Spiel gebracht hat: Eines im Bözingenfeld und eines im Brüggmoos. Auch da geht es um eine temporäre Lösung bis maximal Ende 2024.

Wie realistisch ist es denn, dass im Bözingenfeld oder im Brüggmoos noch in diesem Sommer ein Transitplatz eröffnet wird?

Beat Feurer: Ich glaube nicht, dass das noch in diesem Jahr der Fall sein wird. Für eine regionale Lösung ist vorgängig das Gespräch unter den Gemeinden nötig. Oder wie siehst du das, Marc?

Marc Meichtry: Wir haben riesiges Glück, dass die Fahrenden jetzt in der Region Belp sind und wir Ruhe haben. Aber wenn sie zu uns zurückkommen, werden wir uns ärgern, in dieser Zeit untätig geblieben zu sein. Dann fängt das Ganze nämlich wieder von vorne an. Wir drehen uns im Kreis und das nervt mich. Ich verstehe nicht, wieso wir nicht endlich Gas geben statt ständig auszuweichen und auf Zeit zu spielen.

Sie können ja das Angebot des Kantons annehmen und erneut in Brügg einen Transitplatz eröffnen.

Marc Meichtry: In Brügg wäre die Freude nicht gross, wenn ich jetzt vorschlagen würde, bereits wieder die Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig wären andere Gemeinden bereit, eine finanzielle Abgeltung an die Standortgemeinde zu entrichten. Das hat die letzte regionale Aussprache gezeigt. Das sehe ich als Chance. Brügg macht derzeit finanziell schwierige Zeiten durch. Ich sage: Wenn wir Geld bekommen, das wir in ein sinnvolles Projekt investieren können, machen wir es vielleicht noch einmal für zwei Jahre. Damit schaffe ich mir kurzfristig kaum Freunde, aber das muss ich jetzt auch nicht mehr (Meichtry tritt Ende 2021 als Gemeindepräsident von Brügg zurück, die Red.).

Beat Feurer: Auch die Stadt Biel könnte relativ schnell entscheiden, einen Platz zu eröffnen. Daran liegt es nicht. Genau das schwebt auch vielen Gemeinden vor: Wenn Biel etwas macht, sind sie aus dem Schneider. Wir wollen das Problem aber nicht für, sondern mit der Region in den Griff bekommen. Wenn wir das zumindest mittelfristig gemeinsam schaffen wollen, braucht es regionale Absprachen. Und solche Verhandlungen brauchen Zeit.

Dass sich der Grossteil der Gemeinden einfach vom Problem freikauft, ist für Sie also ein zu einfacher Weg?

Beat Feurer: Finanzielle Abgeltungen sind eine Möglichkeit. Aber wie hoch sind diese? Und welche Gemeinde zahlt wie viel? Die Frage, wie es nach zwei Jahren mit einem Platz in Biel oder Brügg weitergehen würde, wäre damit auch noch nicht beantwortet. Da müssen wir ehrlich genug sein: diese Diskussion ist noch nicht zu Ende geführt.

Der Kanton bietet nur Hand für eine temporäre Lösung. Er sieht seine Schuldigkeit getan, sobald der definitive Transitplatz in Wileroltigen eröffnet wird. Haben Sie jemals daran geglaubt, dass der Platz in Wileroltigen auch die Probleme mit den Fahrenden im Raum Biel lösen wird?

Marc Meichtry: Niemals!

Beat Feurer: Wir müssen die Entwicklung nach der Eröffnung 2025 abwarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation bei uns dadurch nicht gelöst wird, ist aber gross. Heute sind sich die meisten Gemeinden einig, dass es im Raum Biel längerfristig eine Platzlösung braucht. Ein rein repressives Vorgehen bringt uns auf lange Sicht nicht weiter.

Marc Meichtry: Und der repressive Weg kostet auf Dauer mehr.

Beat Feurer: Das Vorgehen gegen illegale Landbesetzungen bindet auch Ressourcen, das stimmt. Wenn ich mir die Kosten für den Platz in Wileroltigen anschaue, bin ich mir aber nicht so sicher, ob der repressive Weg teurer ist (für die Erstellung des Platzes wurde vom kantonalen Stimmvolk ein Kredit von 3,3 Millionen Franken bewilligt, die Red.).

Marc Meichtry: Es ist ganz klar, dass wir bei uns einen kostengünstigeren Weg finden müssen als in Wileroltigen. In Brügg hatten wir den Platz mit dem Ziel betrieben, dass die Fahrenden mit der Platzmiete und der Gebühr für Strom und Wasser selber für die Kosten aufkommen. Die repressiven Massnahmen belasten die Steuerzahlenden viel mehr.

Beat Feurer: Auch da wäre ich mir nicht so sicher. Die Bussen, die wir bei Landbesetzungen ausstellen, bringen uns ziemlich viel Geld.

Die Bussen werden tatsächlich bezahlt?

Beat Feurer: Ja. Es ist eine oft gemachte, aber falsche Vermutung, dass diese Bussen sowieso nicht beglichen würden. Die Fahrenden kommen hier her, um zu arbeiten und Geld zu verdienen und können sich die Bussen leisten. Es ist zudem in ihrem Interesse, keine offene Schuld bei uns zu haben. Sie wollen ja schliesslich wiederkommen.

Die Gemeinden im Raum Biel sind sich also grundsätzlich einig, dass auch langfristig nur ein Transitplatz das Problem lösen kann. Die Junge SVP bringt sich deshalb schon wieder in Stellung: Sie will verhindern, dass im Kanton Bern nebst Wileroltigen ein zweiter solcher Platz gebaut wird. Wird das Thema komplett verpolitisiert?

Beat Feurer: Eine schwierige Frage. Ich denke, in manchen Themen kann eine gewisse populistische Haltung helfen, überhaupt eine Diskussion auszulösen. Hier geht es aber um Menschen. Da habe ich wenig Verständnis für ein solches Vorgehen. Leider sehe ich in den Fragen rund um die Fahrenden gerade in meiner Partei keine praxistauglichen Lösungen, die präsentiert werden. In diesem Thema fürchte ich, wird teils auch einfach politisiert, um den eigenen Namen in den Vordergrund zu rücken und nicht, um tatsächlich ernsthaft über ein Thema zu sprechen.

Sie, Marc Meichtry, haben sich 2018 trotz vergifteter Stimmung als erster getraut, eine temporären Platz anzubieten. Hatten Sie nie Angst, sich politisch am Fahrenden-Dossier die Finger zu verbrennen?

Marc Meichtry: Nein, nie. Das entspricht nicht meiner Art. Ich hatte ja auch nicht viel zu verlieren. Hätte es eine riesige Opposition gegeben, hätte ich halt etwas initiiert, das letztlich nicht geklappt hat. Das ist alles. Es braucht manchmal einfach etwas mehr Mut. Gleichzeitig sehe ich, dass es in einer Stadt wie Biel mit einem Parlament etwas komplizierter ist, zu politisieren.

Beat Feurer: Die Kompetenz, einen Platz für Fahrende zu eröffnen, liegt auch in Biel beim Gemeinderat, nicht beim Parlament. Der Gemeinderat wird jetzt in einem nächsten Schritt einen Grundsatzentscheid fällen, ob er sich einen temporären Platz im Bözingenfeld vorstellen kann. Das Geschäft ist in Vorbereitung und wird nach den Sommerferien diskutiert. Gibt der Gemeinderat grünes Licht, können wir mit der Region die nötigen Diskussionen führen. Vielleicht kommt ja zumindest ein kleiner Turnus infrage, zwei Jahre in Biel und dann zwei Jahre in Brügg zum Beispiel. Aber das sind nur Gedankenspiele. Auch müssten wir sensibel vorgehen, was die Nachbarschaft betrifft: Ein Platz für Fahrende im Bözingenfeld direkt neben der Asylunterkunft würde sicher Reaktionen auslösen. Deshalb ist aus meiner Sicht eine Doppelnutzung des Terrains ausgeschlossen. Und: Wenn ich zu Beginn dieses Gesprächs von Vertrauen gesprochen habe, finde ich es auch wichtig, dass wir uns einmal mit Vertretenden von Fahrenden an einen Tisch setzen. Ich will mir auch ihre Sicht der Dinge anhören.

Sie haben Fahrende zum Gespräch eingeladen?

Beat Feurer: Noch nicht. Ich will zuerst den Gemeinderatsentscheid abwarten. Mir geht es darum, dass wir gegenseitig verstehen, was wir tun können, um das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen.

Marc Meichtry, Sie sehen, in Biel stehen viele Diskussionen an, auch Grundsatzentscheide sind noch ausstehend. Wenn Sie tatsächlich noch in diesem Jahr eine Lösung wollen, werden Sie nicht darum herumkommen, noch einmal in Brügg einen Transitplatz zu eröffnen.

Marc Meichtry: Es gibt ausländische Fahrende, die sich nicht benehmen und eine absolute Schweinerei zurücklassen. Es gibt aber auch viele anständige, die eine gute Lösung verdient haben. Ihnen zuliebe packe ich es vielleicht wirklich noch einmal. Zuerst muss ich jetzt aber ein paar Tage ans Meer, um Energie zu tanken. Danach gehe ich es an. Wir müssen jetzt vorwärtsmachen.

Stichwörter: Fahrende, Biel, Brügg

Nachrichten zu Biel »