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Wortsalat

Positiv mit Platon, 
positiver mit Tennis

Das Australian Open sei «positiver als erwartet» gelaufen, so gab es die Schweizer Tennisspielerin Belinda Bencic letzte Woche im BT zu Protokoll. Positiver? Darf man positiv steigern?

Bild: Matthias 
Knecht, 
Sprachgourmand

Es gibt Adjektive, da ist das Steigerungsverbot ab Werk eingebaut. Ideal ist so eines. Es geht auf Platon zurück und beschreibt ein unerreichbares 
Vorbild. Wer also idealer sagt, der macht nur klar, dass er die Wörter, die er verwendet, nicht versteht. Ähnlich verhält es sich mit optimal, ein Begriff, der in der Mathematik die bestmögliche Lösung beschreibt. Optimaler geht drum nicht, damit zeigt man höchstens, dass man keine Ahnung von Mathematik hat.

Nicht möglich ist die Steigerung auch bei Angelegenheiten, die keine Graubereiche zulassen. Eine Frau kann schwanger sein oder eben nicht; eine geometrische Form kann dreieckig sein oder nicht. Abstufungen sind hier nicht vorgesehen, eine Steigerung also Unsinn.

Auch das Begriffspaar wahr und falsch lässt keine Graubereiche zu. Es kann nur eins von 
beiden sein. Das ist in der Logik so, in Excel-Tabellen und auch im Gerichtssaal. Eine Steigerung von wahr ist nicht möglich, oder nur ironisch.

In die gleiche Kategorie des Schwarz-Weiss-Denkens fällt positiv und negativ. Ein Coronatest kann positiv oder negativ ausfallen, aber nicht positiver als ein anderer. In der Mathematik sind Zahlen entweder positiv oder negativ, sie können aber nicht positiver sein, allenfalls grösser. Das Gleiche gilt in der Elektrotechnik; wers nicht glaubt, soll seine Autobatterie kontrollieren: Es gibt hier nur einen positiven und einen negativen Pol, aber keinen positiveren Pol – allenfalls einen mit 
höherer Spannung.

Positiv und negativ ist das zentrale Begriffspaar des wissenschaftlichen Denkens. Es schliesst bewusst Graubereiche aus, um der Exaktheit willen. 
So entstand auch die moderne Wissenschaft im 19. Jahrhundert unter dem Schlagwort des Positivismus. Wer ausgerechnet diese Adjektive steigert, verdreht deren modernen Sinn ins Gegenteil: ganzheitliches Larifari statt genauer Aussagen.

Wer sich hingegen die Steigerung von positiv verkneift, entpuppt sich als gebildeter Mensch, der sich bei Platon ebenso auskennt wie bei Schwangerschaften oder in der Geometrie.

Machen wir also die Probe aufs Exempel und schauen im Wortschatz-Informationssystem des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache nach. Der Ursprung ist das lateinische positivus, also gesetzt oder gegeben. Bereits Ende des Mittelalters taucht es im Deutschen auf.

Auch der Zürcher Pfarrer und Aufklärer Johann Caspar Lavater verwendete das Wort ... doch Moment, was schrieb er da im Jahre 1793? Lavater lobte die «klarste, gedenkbarste, positivste, würdigste ... Schriftlehre». Grrr! Spielte Lavater heimlich Tennis?

Liebe Leserinnen, liebe Redaktion: Ich gebe mich in der gedenkbarsten Grammatikdiskussion des noch jungen Jahres 2022 geschlagen. Die Steigerung von positiv ist und bleibt auch im BT erlaubt. Aber schlechter Stil ists trotzdem. Damit gebe ich zurück ins Sportstadion.

Info: Matthias Knecht unterstützt das BT bei der Sprachpflege.


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