Sie sind hier

Abo

Amazonas-Riff

«Roboter schlägt brutal gegen den Rumpf»

Die Unterwasser-Aufnahmen zu realisieren, erweist sich als äusserst schwierig. Als die Forscher dann doch scharfe Fotos sehen, sind sie begeistert. Derweil ist Jéròme Tschudi als Arzt stärker gefragt als auf der Überfahrt.

Optiomistisch: Jérôme Tschudi (links) mit Kollegen auf der Esperanza. Im Hintergrund wird der Versuch unternommen, den Tauchroboter zu Wasser gelassen. Bild: zvg
  • Dossier

Tagebuch: Jérôme Tschudi

Donnerstag, 5. April
«Am Vorabend zeigt Fabio Nascimento zwei seiner Dokumentarfilme: von der letztjährigen Expedition zum Amazonas-Riff und zur Antarktis. Der Unterschied könnte grösser nicht sein. Die Bilder sind so betörend, dass ich nicht einschlafen kann und wach bin, als ich für die Wache geweckt werden soll. Wir sind nun 45 Personen an Bord, das Durchschnittsalter ist gestiegen. Damit habe ich als Bordarzt sofort mehr zu tun. Ich behandle Blutdruck, Schlafstörungen, Nervosität, Nikotinentzug. Ein abgebrochener Backenzahn bedarf zahnärztlicher Behandlung. Ich bewundere die Professionalität des Ersten Offiziers, der den Transfer an Land organisiert.

Wir sind am Zielort angekommen. Die Esperanza schleppt ein torpedoförmiges Sonar hinter sich her, das ein Relief des Meeresbodens aufzeichnet, aufgrund dessen die Wissenschaftler bestimmen können, wo sich der Einsatz des Tauchroboters lohnt. Den Nachmittag verbringen wir mit dem Aufsuchen einer bestimmten Stelle des Riffs. Für einen ersten Augenschein wird eine Kamera hinunter gelassen, was infolge starker Strömung nur nach Beschwerung mit mehreren Kilo Blei gelingt und mehrere harte Stunden Arbeit bedeutet.


Freitag: Geringe Toleranz
Punkt um 8 Uhr werde ich durch Lärm und Vibrationen unsanft geweckt. Der Kapitän hat begonnen, die Esperanza genau an der gewünschten Position zu halten. Das erfordert höchste Konzentration, herrschen doch ein starker Wind von Beaufort 6, Wellen und ein an Richtung und Stärke wechselnder Strom. Die Toleranz ist gering: Entfernt sich das Schiff zu stark vom Standort, können Verbindungskabel zur Kamera oder zum Tauchroboter reissen. Das hätte sehr hohe Kostenfolgen und würde das Scheitern der Forschungsmission bedeuten. Um 9 Uhr wird der Tauchroboter dann erfolgreich gewassert. Die See geht jedoch zu hoch, sodass der Tauchgang abgebrochen wird. Ein zweiter Versuch mit der Unterwasserkamera misslingt, weil die Kamera wegen der starken Strömung den Meeresboden nicht erreicht.

Abends unterhalten uns unsere Gäste mit brasilianischen Tänzen. Für mich als etwas unterkühlten Schweizer eine gelungene, energiegeladene Vorstellung. Die Journalistin der «Deutsche Welle» in Brasilien sagt, für ihre deutschen Kollegen seien die Brasilianer «ganz nett, aber ein bisschen laut».


Samstag: Übungskritik
Die See geht hoch und die Wellen brechen um uns herum. An eine Wasserung des Tauchroboters ist heute Morgen nicht zu denken. Um 13.30 Uhr ist eine Neubeurteilung vorgesehen, wie bei einem verschobenen Skirennen.
Nachmittags ertönt plötzlich ein Befehl zum Wassern von zwei Schlauchbooten. Es stellt sich heraus, dass diese für die Kameraleute bestimmt sind, die Aussenaufnahmen der Esperanza machen. Zurück an Bord folgt die Übungskritik. Vorgehen und Zeiten wurden offenbar eingehalten. Ich habe erstmals aktiv daran teilgenommen und profitiere von der aufbauenden Kritik des Ersten Offiziers.

Abends dann habe ich ein interessantes Gespräch mit Hugo, einem der Techniker der Firma, welche die Tauchroboter vermietet. Neben Greenpeace arbeitet die Firma auch für Öl- und Gasfirmen, für die Suche nach Wracks, für marine Archäologie oder für die Armee.


Sonntag: Staubwolke 
Wie geplant versinkt der Tauchroboter um 6 Uhr in den Fluten. Er liefert erste verwertbare Bilder vom Meeresgrund auf knapp 200 Meter Tiefe. Die Wasserproben können entnommen und analysiert werden. Leider löst sich der bewegliche Teil des Roboters nicht aus seiner Verankerung, sodass die Umgebung bildmässig nicht erfasst werden kann.

Während wir das nächste Planquadrat ansteuern und das Sonar hinter uns herziehen, arbeiten die Angestellten der Firma fieberhaft an ihrem Roboter. Beim zweiten Tauchgang nachmittags landet der Roboter in einer Gestein- und Staubwolke auf dem Meeresgrund, bleibt aber wegen der starken Strömung zu instabil, um das ROV (Remote Operated Vehicle) ausfahren zu können.

Nach heutigen Kenntnissen erstreckt sich das Amazonas-Riff bis nach Französisch-Guyana. Die Ölfirma Total habe innert 48 Stunden eine Erlaubnis für Probebohrungen erhalten, Greenpeace dagegen warte seit November auf die Erlaubnis, in den französischen Gewässern tauchen zu dürfen, heisst es hier.

Die Algenplage in der Saragossa See ist nicht zu übersehen. Ronaldo, Expeditionschef der Wissenschaftler, erklärt mir, dass sie sich infolge des Klimawandels explosionsartig vermehrten. Sie hätten mittlerweile die afrikanische Küste erreicht. An Stränden verwesen sie stinkend. Es hätten deswegen bereits zwei brasilianische Ferienorte die traumhaften SträndeS schliessen müssen.


Montag: Gedrückte Stimmung
Der heutige Einsatz des Tauchroboters endet unerfreulich rasch. Die Strömung ist so stark, dass sie das tonnenschwere Ungetüm sogleich Richtung Heck transportiert, wo das Kabel vom Propeller erfasst wird. Der Roboter schlägt brutal gegen den Rumpf. Das daumendicke Kabel ist beschädigt. Soweit erkennbar sind die Kabel im Inneren jedoch intakt geblieben.

Wie in solchen Fällen üblich, erfolgt die Information tröpfchenweise. Die Stimmung ist bedrückt. Um 17 Uhr gibt es eine Krisensitzung vor versammelter Crew: Die bisher gewonnenen Bilder sind von mässiger Qualität. Sie zeigen das Riff mit gut erkennbaren Schwämmen und einigen Fischen. Der Untergrund ist kalkhart. Es handelt sich also tatsächlich um ein Riff. Das Resultat der Wasserproben muss noch abgewartet werden. Die Strömung ist weiterhin extrem stark und verunmöglicht weitere Untersuchungen mit dem Tauchroboter.


Dienstag: Beeindruckt
Die Schlauchboot-Teams bringen frühmorgens drei Journalisten an Land und bringen nachträglich bestelltes Forschungsmaterial zurück an Bord. Das nimmt den Grossteil des Arbeitstages in Anspruch. Ich kann erstmals richtig beim Bergen der Boote mitmachen, was Spass macht.

Das Roboterkabel wurde weniger stark beschädigt, als angenommen. Man hat sich darauf geeinigt, weitere Tauchgänge zu unternehmen, wenn die Strömung nicht mehr als zwei Knoten beträgt.

Fabio, der braun gebrannte Filmer, konnte aus dem Filmmaterial einige scharfe Fotos herauskristallisieren. Die Forscher sind begeistert. Der 32-Jährige hat in Brasilien Journalistik studiert und in Paris einen Bachelor of Arts in Film und einen Master in Dokumentarfilm gemacht. Ausser für Greenpeace arbeitet er unter anderem für «National Geographic», Médecins sans frontières, die Unesco oder die «New York Times». Seine Filme wurden mehrfach preisgekrönt. Regie, Schnitt und Vertonung macht er selber. Er spricht Portugiesisch, fliessend Französisch und Englisch. Dieser bescheidene und unkomplizierte junge Mann und sein  Engagement für die Umwelt und für sozial benachteiligte Menschen beeindrucken mich enorm.


Mittwoch, 11. April
Auf der Wache diskutieren wir die Probleme mit den stark schwankenden Strömungen. Ideal wäre die Kombination eines Schiffs mit einem dynamischen Positionierungs-System (DPS) und mit aktiver Kompensation der Belastung auf dem Tauchroboterkabel. Solche Spezialschiffe können ihre Position genau halten. Wird das Schiff von einer Welle angehoben, wird das Kabel akut belastet, die Kabelrolle gibt nach und umgekehrt, sodass die Belastung ziemlich konstant bleibt. Doch so etwas kostet viel Geld.

Unsere Schlauchboote müssen nochmals ausrücken. Die Zahnpatientin fuhr gestern mit an Land, kam aber nicht rechtzeitig zur Rückfahrt zurück. Also wird sie heute abgeholt. Aus Sicherheitsgründen fahren immer zwei Schlauchboote zusammen. Ansonsten sind wir bereit für weitere Taten.» Bearbeitung: pst

Nachrichten zu Biel »