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Biel

«Sanierungen sind keine geliebten Kinder»

Nach 23 Jahren geht der Leiter der Abteilung Hochbau in Pension. Jürg Saager hat saniert, gebaut, die immer gleiche Kritik gehört und manchmal schlecht geschlafen.

Jürg Saager ist über den Zaun geklettert und in Texas gelandet. Copyright: Matthias Käser
Interview: Mengia Spahr
 
Jürg Saager, weshalb wollten Sie vor dem Kongresshaus fotografiert werden?
Jürg Saager: Das Kongresshaus ist unser Wahrzeichen, und wird es bleiben. Es ist auch das Gebäude, das mich in Biel am meisten verfolgt. Der andere Grund ist Texas.
 
Das umstrittene Kunst-am-Bau-Projekt, der Zaun des Anstosses.
Gerade wegen der Kontroverse, die es ausgelöst hat, finde ich es eines der besten Kunst-am-Bau-Projekte. Als wir uns aus einer Auswahl von fünf Vorschlägen für Texas entschieden, wussten wir genau, welche Widerstände kommen. Ich finde das Kunstobjekt extrem spannend. Weshalb muss man über den Koppelzaun klettern, wenn man ja rein darf oder soll? Weshalb wendet sich die Tribüne vom Kongresshaus ab?
 
Ein Blick zurück: Sie haben 1998 die Stelle als Leiter des Hochbauamts angetreten. Hatten Sie vor, so lange zu bleiben?
Ich fing bereits 1993 an, bei der Stadtverwaltung zu arbeiten, als Projektleiter. Ich gebe zu, dass ich es mir damals nicht hätte vorstellen können. Das war ein ziemlich überalterter Laden, nicht sehr dynamisch. Ich kam aus der Privatwirtschaft und war mir anderes gewöhnt. Doch mit der Zeit kam ich zum Schluss, dass man als Architekt – und ich sehe mich auch heute noch als Architekten – auf einem solchen Posten mehr Einfluss auf die gebaute Umwelt nehmen kann, als wenn man in seiner Karriere ein oder zwei anständige Häuser baut.
 
Gibt es unter den Neubauten, die in ihrer Zeit entstanden, Objekte, auf die Sie besonders stolz sind?
Ich finde die Turnhalle im Plänkeschulhaus ein sehr gelungener Neubau. Das Gebäude verwebt sich sehr geschickt mit dem Bestehenden und hat trotzdem einen eigenen Charakter.
 
Und was ist Ihr grösstes Sorgenkind?
Das Kongresshaus. Wir konnten es ja um die Jahrtausendwende sanieren – auch dank des Schubs der Expo. Aber es ist ein Dauerbrenner. Das wird eine Riesenaufgabe für meinen Nachfolger und für die Politik. Dem Parlament und dem Volk die Sanierung zu verkaufen, dürfte sehr schwierig werden. Auch das Betriebskonzept muss aus meiner Sicht überdacht werden. Das wird alles sehr komplex.
 
Haben gewisse Projekte Sie bis in Ihre Träume verfolgt?
Was mich vor ziemlich genau einem Jahr stark belastet hat, ist die völlig unerwartete und heftige Opposition gegen das Ergebnis des Ried-Wettbewerbs (das Gewinnerprojekt sah den Rückbau des historischen Robert-Hauses vor, Anm. d. Red.). Da haben sich Teile der Bevölkerung vehement gewehrt und gingen direkt zu den Medien, ohne sich vorgängig genauer zu informieren. Mit Unterstellungen und Behauptungen, die sachlich nicht gerechtfertigt sind.
 
Wie war es sonst mit Kritik?
Was wir uns immer wieder anhören müssen, ist der Vorwurf, dass wir viel zu teuer bauen und die Architekten finanziell vergolden würden. Das kommt praktisch bei jeder Stadtratsdebatte, bei der es um Baugeschäfte geht. Man kann alles widerlegen, aber man bringt diese Kritik nicht weg. Genauso wenig wie die Behauptung, dass wir unsere Kredite überschreiten. Tatsächlich unterschreiten wir über 90 Prozent unserer Kredite. In der Politik wird aber nur über die anderen zehn Prozent gesprochen.
 
Regt Sie das auf?
Früher ärgerte ich mich mehr als heute. Nicht, dass es keinen Grund mehr gäbe, aber man lernt, damit umzugehen.
 
Nachhaltiges Bauen steht viel mehr im Fokus als vor 20 Jahren. Inwiefern hat dies Ihre Arbeit verändert?
Bei Planungs- und Wettbewerbsverfahren stehen heute ganz andere Kriterien im Vordergrund. Die technischen Anforderungen werden immer höher und die Gesetzgebung immer strenger. Mit dem Klimareglement der Stadt gab es einen weiteren Schub.
 
Sieht man das den Bauten an?
Ja, das sind Dinge, die die Architektur und das Stadtbild in einem Zeitraum stark prägen. In Biel ist das Vorzeigeobjekt das Quartier Gurzelen-Champagne, wo sehr hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit und die Ökologie gestellt werden. Da geht es auch um Verkehrsfragen, um autofreies Wohnen und so weiter.
 
Heute wird Bodenversiegelung oft stark kritisiert. Ist die asphaltierte Fläche der Esplanade zeitgemäss?
Auf der Esplanade ist der Boden nicht zu – nur in einem Teil. Das ergibt sich schon alleine durch das vollflächige Unterbauen mit einem Parkhaus. Es wurden dort ausserdem viele Bäume gepflanzt. Die Frage der Versiegelung diskutieren wir aber immer wieder. Auch die Beschattung ist ein Riesenthema. Nicht nur die Beschattung der Häuser und Fassaden, sondern auch die Beschattung der Aussenräume – damit sich die Stadt nicht zu sehr erwärmt.
 
Man schaut also, dass man die Stadt nicht zubetoniert?
Zubetoniert ist so ein stehender Begriff. Man sagt: Wir verbetonieren die Städte, obschon es an vielen Stellen gar kein Beton hat. Tatsächlich versiegeln wir sie mit Asphalt. Ich wehre mich dagegen, dass Beton verteufelt wird. Das Material ist ja schon lange verschrien, man darf es fast nicht mehr mit gutem Gewissen einsetzen. Dabei bin ich ein grosser Beton-Fan.
 
Sie mögen Beton?
Ich finde Beton ein extrem anspruchsvolles und ästhetisches Material, das man sehr kreativ einsetzen kann. Für einfache Kuben und monolithische Gebäude aus Beton habe ich aus architektonischer Sicht eine grosse Affinität. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist Beton jedoch ganz klar schwierig, auch Recycling-Beton.
 
In Biel haben Sie jetzt aber nicht wirklich eine Beton-Handschrift hinterlassen.
Nein. Aber ich kann ja die Wettbewerbsgewinner auch nicht alleine küren. (lacht)
 
Sie sind ein Verfechter von Wettbewerbsverfahren.
Wir haben immer, wenn es möglich war, Wettbewerbe durchgeführt. Die Öffentlichkeit versteht oft nicht, dass die Architekten und die Planerinnen möglichst offene Verfahren wollen. Wettbewerbe werden häufig gegeisselt als Ressourcenverschleiss oder volkswirtschaftlichen Blödsinn.
 
Sind Sie das denn nicht?
Man kommt zum besten Ergebnis. Gerade bei grossen und komplexen Bauaufgaben ist es spannend, wenn man eine grosse Auswahl hat. Für die Sporthalle Esplanade hatten wir 125 Eingaben. Das ist gigantisch. Wenn man dann nach der Auswahl die anonymen Couverts öffnet und sieht, dass ein renommiertes Büro im ersten Rundgang ausschied, wird man schon nervös. Man fragt sich, ob man das Projekt nicht verstanden hat, ob es überragende Qualitäten hat, die die Jury nicht erkannte. Aber das passiert nicht, würde ich behaupten. 
 
Die Stadt sanierte meistens mit dem Messer am Hals. Hatten Sie auch mal die Nase voll davon, dass in Biel das Geld immer knapp ist?
Auch daran gewöhnt man sich. Wir haben einfach festgestellt, dass Sanierungen keine geliebten Kinder sind. Die Politik – um es auf sie abzuwälzen – kann sich weniger damit brüsten als mit einem Neubau. Ein grosser Teil der Sanierungen ist aufgeschobener Unterhalt, da die personellen und finanziellen Ressourcen fehlen. Das Dufourschulhaus, das wir jetzt sanieren, war schon ein Thema, als ich bei der Stadt anfing. Erst in der letzten Legislatur hat es sich der Gemeinderat auf die Fahne geschrieben.
 
Gibt es etwas, was Sie vor Ihrer Pension unbedingt noch zu Ende bringen wollten?
Vor fünf Jahren sagte ich, dass ich den Abschluss des Champagne-Schulhauses in Amt und Würde machen möchte. Zwei Jahre später war mein Ziel der Spatenstich und seit einem Jahr sage ich, dass das Geschäft für den Ausführungskredit zumindest auf den politischen Weg gehen soll. Es ist jetzt auf der Baudirektion und wird voraussichtlich noch in diesem Jahr vom Gemeinderat behandelt. Irgendwann im Frühling werde ich hoffentlich im Stadtrat auf der Tribüne sitzen.
 
Und danach? Bei Stellenantritt sagten Sie gegenüber dem BT, dass Sie gerne mal auf eine längere Reise durch Südamerika gehen möchten …
Ich war noch immer nicht in Südamerika. In den letzten Jahren besuchte ich sehr oft die grossen Städte von Nordeuropa. Ich kenne Hamburg und Kopenhagen wie meinen Hosensack und habe dort schon Architekturführungen mitorganisiert. Das will ich weiterhin machen. Auch möchte ich gerne weiter Wettbewerbe jurieren und bei Projektentwicklungen dabei sein. Im Moment kommt zur Freude über die bevorstehende Pensionierung etwas Wehmut, dass ich die grossen Projekte einfach abgeben muss. 
 
Habe ich das richtig verstanden: Sie machen Führungen in Hamburg und Kopenhagen?
Ja. Es gibt ein Netzwerk mit lokalen Führern. Ich stiess zufällig dazu. Aufgrund der Kenntnisse, die ich über die Stadt hatte, konnte ich Führungen machen.
 
Dann gefallen ihnen die nordischen Städte besonders gut?
Zuoberst stehen Hamburg und Kopenhagen. Dann Amsterdam, Rotterdam, Oslo …
 
Was ist mit Biel?
Ich mache in Biel oft Führungen für andere Stadtbaumeister und Berufskolleginnen. Da zeigt sich, dass die Aussenwahrnehmung viel besser ist als unsere. Es beginnt schon am Bahnhof. Wenn die Besucher ankommen, haben sie das Gefühl, sie seien in einer viel grösseren Stadt. Sie finden, dass wir hier in den letzten Jahren sehr viel erreicht haben trotz der schwierigen finanziellen Situation. Wir stehen nicht so schlecht da, wie wir uns das manchmal einreden. Übrigens enden meine Stadtführungen immer in Texas.

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