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Biel

Schulraum weiterhin dringend gesucht

Der Bieler Stadtrat hat dem Gemeinderat eine Abfuhr erteilt: Er hat über den Kauf einer ehemaligen Fabrik, um darin eine Schule einzurichten, nicht einmal diskutiert. Das ist eine Ohrfeige für die Stadtregierung – und stellt den Bildungsdirektor vor Probleme.

Durchmischte Demonstration: Vertreter der Stiftung L’étrive und Klimastreikende vereinten sich gestern vor der Burg. Bild: Aimé Ehi

Lino Schaeren

Die Stadt Biel wird die ehemalige Fabrik am Grillenweg 4 nicht kaufen und in eine Schule umbauen. Das hat der Stadtrat gestern indirekt beschlossen, als er nicht einmal über das Geschäft diskutieren wollte. Wobei, eine Mehrheit hätte das eigentlich schon gewollt. Nur reichte das diesmal nicht: Da der Gemeinderat den Kredit über 2,6 Millionen Franken erst vor einer Woche nachträglich auf die Traktandenliste setzte, war eine Zweidrittelmehrheit nötig, damit das Parlament überhaupt auf das Geschäft eintritt. Diese Hürde wurde mit 35 Ja- bei 20 Nein-Stimmen klar verfehlt. Das Votum ist eine regelrechte Watsche für den Gemeinderat, der für sein Vorgehen harsch kritisiert wurde.

Doch der Reihe nach: Die Victorinox AG wollte die Liegenschaft am Grillenweg 4 seit 2017 verkaufen, die auf einem Grundstück der Stadt Biel steht. Als potenzielle Käuferin wurde die gemeinnützige Stiftung L’étrive gefunden, die in dem Gebäude ihre Behindertenwerkstatt installieren und ausbauen wollte. Über ein Jahr hat die Stiftung verhandelt, mit Victorinox, aber auch mit dem Kanton Bern sowie der Bank wegen der Finanzierung. Und: Mit der Stadt wurde über die Übernahme des laufenden Baurechtsvertrags diskutiert. Am Schluss waren sich alle einig – bis die Stadt Anfang Juni 2019 plötzlich Eigenbedarf anmeldete. L’étrive unterschrieb den Kaufvertrag mit Victorinox trotzdem, weshalb der Gemeinderat von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen wollte. Dieses ist nur vier Monate gültig, läuft also am 17. Oktober aus. Um dem zuvorkommen zu können, hätte der Stadtrat den entsprechenden Kredit für den Kauf der Immobilie gestern sprechen müssen.

 

SVP führt Widerstand an

Das Vorgehen des Gemeinderats hat niemandem im Stadtrat gepasst, das wurde schnell klar, als darüber debattiert wurde, ob die beantragte Dringlichkeit durch die Stadtregierung tatsächlich gegeben ist. Von einem «Aufsetzen der Pistole auf die Brust» (Christoph Grupp, Grüne) war die Rede, GLP-Fraktionschef Max Wiher zeigte sich «schockiert wie die meisten hier» über die Hintergründe des Geschäfts, der FDP-Vorsitzende Bernhard Leuenberger sagte, der Freisinn sei «masslos verärgert» und Thomas Brunner von der EVP hielt fest: «Wenn der Gemeinderat dieses Geschäft durchdrückt, kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass hier gegen Treu und Glauben verstossen wurde.»

Trotzdem wollten die Fraktionen Grüne, SP, GLP und und eine Mehrheit des Freisinns auf das Geschäft eintreten. Die Argumentation: Es sei undemokratisch, wenn ein Drittel der Anwesenden über ein Projekt entscheiden könne. Es müsse ein tatsächlicher Mehrheitsentscheid her. Das empfand auch Leonhard Cadetg (FDP) so, der seine erste Sitzung als Stadtratspräsident leitete. Ungewohnt für den Leiter der Parlamentssitzungen gab auch er gleich zu Beginn einen wertenden Kommentar ab: «Es ist nichts als fair, dass wir normale Bedingungen schaffen für dieses Geschäft», sagte Cadetg.

Gewonnen hat aber eine Minderheit, angeführt von der SVP, die zusammen mit der Fraktion Einfach libres geschlossen gegen das Eintreten auf das Geschäft stimmte. Unterstützt wurden sie von einzelnen Abweichlern von FDP und SP. Die Minderheit, die ausnahmsweise die Abstimmung gewann, wollte damit «ein Zeichen setzen, dass wir die Gangart des Gemeinderats nicht akzeptieren», wie SVP-Fraktionspräsidentin Sandra Schneider sagte. Die Gewinner der Abstimmung verhinderten, dass inhaltlich über das Geschäft diskutiert wurde – und dass sich der Gemeinderat hätte rechtfertigen müssen. So blieben die Vorwürfe vage und im leeren Raum hängen: Von einer ungenügenden Kommunikation unter den Gemeinderatsdirektionen war die Rede, von fehlender Weitsicht und Vision. Und die Frage blieb unbeantwortet: Wieso ist die Stadt nicht früher aktiv geworden, wieso das Geschäft nicht bereits im August oder zumindest ordentlich im September traktandiert?

 

Vertreter der Stiftung jubeln

Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR) zeigte sich enttäuscht über das Ergebnis. Sie wollte das Votum des Parlaments aber nicht kommentieren: «Ich interpretiere den Entscheid des Stadtrats nicht.» Auch Fragen, ob der Gemeinderat im abgewiesenen Geschäft Fehler gemacht habe, wollte sie nicht kommentieren. «Wir hätten uns gerne die Vorwürfe angehört und diese kommentiert. Doch das hat der Stadtrat verhindert», sagte Steidle.

Etwas offener kommunizierte Bildungsdirektor Cédric Némitz (PSR), der sich nun in aller Eile erneut auf die Suche nach neuem Schulraum machen muss. Er möchte zum Beispiel, dass Steidle eine Kirche für ihn kauft: Im Victorinox-Gebäude hätten bereits im kommenden August die ersten Klassen eröffnet werden sollen. Némitz hielt fest: «Der Austausch unter den verschiedenen städtischen Abteilungen hat nicht optimal funktioniert. Da müssen wir über die Bücher.»

Freude hatten hingegen die auf der Zuschauertribüne anwesenden Vertreter der Stiftung L’étrive: Sie bekundeten lauthals ihre Freude, fielen sich in die Arme. Das Vorkaufsrecht der Stadt wird nun am 17. Oktober ungenutzt auslaufen, die Stiftung wird die ehemalige Fabrik wie geplant kaufen und beziehen können.

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Biel ruft Klimanotstand aus

Gut 100 Minuten hat der Bieler Stadtrat gestern Abend darüber debattiert, ob die Stadt den symbolischen Klimanotstand ausrufen soll. Gefordert hat dies eine überparteiliche Motion von Juso, SP und Grünen, die mit der Ausrufung auch das Engagement der Klimastreikbewegung honorieren wollen: Der Klimanotstand ist eine der zentralen Forderungen des Klimastreiks. Unterstützt wurden die Motionärinnen und Motionäre auch vom Gemeinderat: Die Stadtregierung zeigte sich in ihrer Antwort auf den Vorstoss bereit, den Klimawandel als existenzbedrohende Krise anzuerkennen und die Bevölkerung entsprechend zu informieren und zu sensibilisieren. Bau-, Energie- und Umweltdirektorin Barbara Schwickert (Grüne) verwies gestern im Rat darauf, dass inzwischen bereits rund 1000 Städte in 17 Ländern den Notstand ausgerufen haben, so auch etliche in der Schweiz. Frankreich hat als Land den Klimanotstand verhängt. «Die Klimabewegung ist eine Bewegung, die Boden findet und wächst und dadurch mehr Wirkung entfalten kann», so Schwickert.

Widerstand gegen den Klimanotstand, kam von bürgerlicher Seite. FDP und SVP lehnten die Motion ab, «wir widersetzen uns diesem symbolischen Akt und wollen stattdessen lieber über konkrete Massnahmen reden», sagte etwa Peter Bohnenblust (FDP). Anders als die SVP zeigte sich der Freisinn gegenüber einem Klimareglement offen, das klare Ziele bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen auf Stadtebene setzt. Dieses wurde gestern nicht mehr diskutiert und auf die Oktobersitzung verschoben. SVP-Sprecher Olivier Waechter hingegen verwies darauf, dass Biel als kleine Stadt in dieser Welt sowieso nichts ausrichten könne und Parteikollege Martin Scherrer schob nach, dass «Panikmache und das Herbeireden des Weltuntergangs alles andere als zielführend» sei. Levin Koller (Juso) erwiderte, dass es sich bei den Anstrengungen, den Klimawandel einzudämmen, keinesfalls um eine Hysterie, sondern «um ein Gebot der Vernunft» handle. Der Stadtrat folgte letztlich den Motionären und dem Gemeinderat und rief mit 33 Ja- zu 22 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung den Klimanotstand aus.

Die Klimajugend auf der Tribüne und Teile des Saals reagierten mit Applaus. lsg

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