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Biel

Schwul im Altersheim

Wie bereiten sich Altersheime auf eine selbstbewusste Generation anderssexueller Menschen vor? Offenbar zu wenig. Zu diesem Schluss kommt der Bieler Arbeitskreis für Zeitfragen in einer Podcastreihe.

Ein homosexuelles Paar beim Frühstück: werden die beiden auch im Altersheim zusammen wohnen können? Bild: Keystone

Sarah Zurbuchen

«Alte Menschen werden im Zusammenhang mit Sexualität oft vergessen. Und erst recht, wenn sie zum LGBTIQ-Spektrum gehören», sagt die Theologin Luzia Sutter Rehmann vom Bieler Arbeitskreis für Zeitfragen der Reformierten Kirchgemeinde Biel. Der Thinktank «Sexualität im kirchlichen Kontext» publizierte letzten Sommer Video-Interviews zum Themenbereich «Ehe für alle». Sogleich meldete sich ein Mann mit einer Bitte: Man solle nicht die anderssexuellen alten Menschen vergessen. Anderssexuell, queer oder LGBTIQ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Asexuelle, Transmenschen oder Intergeschlechtliche.

Die Verantwortlichen des Thinktanks, Luzia Sutter Rehmann und Noël Tshibangu, nahmen den Ball auf. Sie machten sich Gedanken, führten Gespräche und recherchierten. Das Resultat ist eine dreiteilige Podcastreihe, in denen sich Expertinnen zum Thema «Queer altern» äussern und zu wichtigen Einsichten gelangen. «Es ist ein brennendes Thema», so Sutter Rehmann. «Dank des gesellschaftlichen Wandels gibt es mehr und mehr selbstsichere Seniorinnen und Senioren, die ihr Anderssein offen ausleben.» Zudem seien LGBTIQ auf juristischer Ebene heute besser geschützt als früher.

Gerade auch die Bedürfnisse dieser Menschen sollen ernstgenommen werden, sei dies in Alterseinrichtungen oder in der kirchlichen Seelsorge, findet Sutter Rehmann. Doch der Weg dahin, nimmt sie vorweg, sei noch sehr weit.

 

Altersheim für Queere

Braucht es neue oder andere Alterseinrichtungen für queere Alte? Davon ist der Verein «QueerAltern» überzeugt. Er ist derzeit daran, seine Vision umzusetzen: Das erste Altersheim für Menschen aus dem LGBTIQ-Spektrum soll in Zürich entstehen. Im ersten Podcast erzählt Vereinspräsidentin Barbara Bosshard, warum diese Institution nötig ist.

«Eine Einrichtung nur für anderssexuelle Menschen ist eine Möglichkeit. Die Thematik sollte aber auch in den herkömmlichen Altersheimen Einzug halten», so Sutter Rehmann. Und das sei bisher viel zu wenig der Fall. Das bestätigt auch die erste wissenschaftliche Studie zum Thema. Sie wurde 2016 von der Fachhochschule St. Gallen, der Hochschule Luzern und der Fachhochschule Bern verfasst (siehe «Nachgefragt» auf dieser Seite). Eine der Erkenntnisse: LGBTIQ-Menschen haben auch im Alter alternative Lebensentwürfe und andere Anliegen als Heterosexuelle. In Pflegeinstitutionen und Ausbildungsstätten wird dies bisher aber kaum zur Kenntnis genommen.

 

Ernstgenommen werden

Was muss sich konkret ändern? Grundsätzlich gehe es zuerst einmal darum, die Bedürfnisse dieser Menschen zu kennen. «Toleranz alleine reicht nicht», sagt Luzia Sutter Rehmann. Das wird auch im dritten Podcast deutlich, in dem die Seelsorgerin Kerstin Söderblom zu «Seelsorge an einer Minderheit» spricht. Homosexuelle, Asexuelle, Bisexuelle, Transmenschen oder Intergeschlechtliche seien oft ihr Leben lang als sündig, krank oder «falsch» diffamiert worden. Seelsorge, so Söderblom, müsse sich etwa bewusst sein, dass zu persönlichen Verlusten und Krankheiten von betagten LGBTIQ-Personen noch Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung dazukommen. «Dabei wollen diese Menschen dasselbe wie wir alle», so die Leiterin des Arbeitskreis für Zeitfragen: «In ihrer Wesensart wahr- und ernstgenommen werden.» Erst wenn sie sich nicht mehr verstecken müssten, könnten sie sich an einem Ort auch wirklich zuhause fühlen.

 

Wenig Verständnis

Auch die Kirche sei gefordert, etwa wenn ein Seelsorger nach der Biografie eines Menschen frage. Ein Beispiel: Sage eine Heimbewohnerin, sie sei nie verheiratet gewesen und habe auch keine Kinder, heisse das noch lange nicht, dass die Frau alleinstehend war. Vielleicht hat sie jahrelang in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gelebt und war in ihrer queeren Gemeinschaft gut aufgehoben.

Luzia Sutter Rehmann sieht die grösste Hürde bei den Mitbewohnerinnen und -bewohnern. «Viele Menschen aus dieser Generation haben wenig Sensibilität und Verständnis für alles, was sexuelle Vielfalt und Identität betrifft.» Da könne eine Transperson in einem Heim für den einen oder die andere schon fast zu einer Bedrohung werden, sagt sie. Auch Besuche aus der Community, die oft anstelle einer Familie zum sozialen Gefüge von anderssexuellen Menschen gehören, würden bei den Bewohnenden Irritationen auslösen.

Sutter Rehmann stellt deshalb die Frage: «Wie begegnen wir als Gesellschaft dieser Herausforderung?» Die Heimleitung und das Pflegepersonal können mit Weiterbildungen sensibilisiert werden, bei den Bewohnerinnen und Bewohnern brauche es wohl sehr viel Zeit. «Das sind Prozesse, die noch ganz am Anfang stehen.»

Info: Unter https://compass-bielbienne.ch/compass-blog/ finden Sie die drei Podcasts. Nr. 1: «Im Alter brauchen wir einander umso mehr». Nr. 2: «Heime sollten sich auf queere Menschen vorbereiten». Nr. 3: «Seelsorge an einer Minderheit – Toleranz reicht nicht».

 

 

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«Die eigene Identität leben»

Sabina Misoch ist Leiterin am Institut für Altersforschung der Ostschweizer Fachhochschule. Sie ist Mitverfasserin einer Studie zu queeren Menschen in Alterseinrichtungen und sagt: «Gerade im Alter möchte man sich nicht mehr verstecken müssen.»

 

Sabina Misoch, haben Homosexuelle oder Transgender im Alter andere Pflegebedürfnisse als ihre Mitmenschen?

Die Pflegebedürfnisse an und für sich sind dieselben, aber die Umstände sind andere. Oft ist das soziale Netz von LGBTIQ sehr altershomogen. Es gibt meist keine Kinder, die sich kümmern. So benötigen queere Menschen früher professionelle Pflege. Und im Heim geraten sie in Situationen, in denen sie auf wenig Offenheit stossen, anecken oder ausgegrenzt werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Etwa wenn ein homosexuelles Paar zusammen ein Zimmer beziehen möchte, dies aber nicht möglich ist; oder sie sich schämen, Hand-in-Hand durch die Gänge zu laufen. Das ist traurig, denn gerade im Alter, wenn man fragil ist, möchte man die eigene Identität leben und sich nicht verstecken müssen.

Alterseinrichtungen sind also zuwenig auf die Bedürfnisse von anderssexuellen Menschen vorbereitet?

Absolut, das zeigen die Ergebnisse unserer Studie. Zum Beispiel fehlt der Grundsatz der sexuellen Vielfalt in vielen Leitbildern. Auch in der Aus- und Weiterbildung ist der Umgang mit queeren Alten oft kein Thema.

Wie erklären Sie sich das?

Es ist einerseits erstaunlich, denn rund zehn Prozent der Menschen gehören zum LGBTIQ-Spektrum, es gab also schon immer anderssexuelle Menschen in Altersheimen. Aber die bisherigen Generationen haben ihre sexuelle Orientierung selten offen ausgelebt, die Heime wurden demzufolge nicht mit der Thematik konfrontiert. Und: Alte Menschen haben eine schlechte Lobby. Mit den Babyboomern kommt jetzt aber eine selbsbewusste queere Generation, die sich nicht verstecken will.

Wo sehen Sie die grösste Schwierigkeit?

Dahingehend einzuwirken, dass Mitbewohnende einen offenen und toleranten Umgang mit ihren anderssexuellen Mitmenschen pflegen. Doch das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. sz

Sabina Misoch
 Professorin

 

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